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Debatte um Preis des PalliativVerbands„Ich bin kein himmlischer Richter“

Autor Frédéric Valin war für den Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands vorgeschlagen. Der Leiter des Verbandes erklärt, warum die Nominierung nun zurückgezogen wurde.

Demenzkranke brauchen einen offenen und ehrlichen Umgang Foto: Stephen Shepherd/plainpicture
Interview von Clara Löffler

taz: Herr Hardinghaus, im letzten August veröffentlichte der Journalist Frédéric Valin in der taz den Text „Zwei Sorten Tod“, in dem er gegen die Liberalisierung der Sterbehilfe in Deutschland argumentiert. Dafür wurde er in der Kategorie „Medien und Öffentlichkeitsarbeit“ für den Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands nominiert. Im Nachhinein hat der Verband die Nominierung zurückgezogen. Warum?

Im Interview: Winfried Hardinghaus

ist Internist und Palliativmediziner, Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin am Franziskus-Krankenhaus Berlin, Vorstand und Gründer des Hospiz- und Palliativprojekts SPES VIVA. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands.

Winfried Hardinghaus: Leider wurden wir nach der Nominierung auf einen weiteren Artikel im nd über die Coronapandemie aufmerksam. Darin beschreibt Herr Valin, wie er eine demenzkranke Frau zu Hause betreute und mit ihr einkaufen ging. Sie wunderte sich, dass die Leute im Supermarkt keine Masken trugen, und er antwortete, dass alle Deutschen Nazis seien. Das ist aus hospizlicher Sicht diskriminierend.

Warum empfinden Sie die Aussage „Alle Deutschen sind Nazis“ diskriminierend? Man könnte den Satz zum Beispiel auch als ironische Überspitzung lesen.

Natürlich haben wir im Vorstand auch darüber nachgedacht, ob es sich um eine journalistische Zuspitzung handelt. Trotzdem hat Herr Valin der Dame gesagt, dass alle Deutschen Nazis seien. Es entspricht nicht der Würde eines Demenzkranken, sie anzulügen. In der Palliativmedizin meinen wir, dass man mit Demenzkranken immer offen und ehrlich umgehen sollte.

Der Ehrenpreis des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands gilt also nicht einem Text allein, sondern der ganzen Person?

Ja. Der Preis in der Kategorie „Medien und Öffentlichkeitsarbeit“ soll Menschen ehren, die die Themen Sterben, Tod und Trauer in die Öffentlichkeit tragen. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel drei junge Journalistinnen des WDR ausgezeichnet, die den Instagram-Kanal 21Gramm entwickelt hatten. (Der Kanal hat junge Erwachsene über die Themen Sterben, Tod und Trauer informiert. Im vergangenen Sommer wurde er eingestellt; d. Red.)

Hat der Verband die Nominierung von Herrn Valin auch wegen möglicher Kritik von außen zurückgezogen?

Ja, natürlich. Kritik von außen ist ein sehr wichtiges Kriterium, das angesprochen werden muss. Immerhin vertreten wir die Interessen vulnerabler Menschen.

Eigentlich stehen Herr Valin und der DHPV auf derselben Seite. Auch Sie sprechen sich immer wieder gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe aus. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen diese Liberalisierung?

Jedem steht es zu, sich für den assistierten Suizid zu entscheiden, wenn er alle Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung kennt. Ich bin kein himmlischer Richter. Ich sehe aber die Gefahr, dass der Suizid in unserer Gesellschaft normalisiert wird. Dass sogar Druck auf ältere Angehörige ausgeübt wird, den bequemeren Weg zu wählen, ihr Leben zu beenden. Dass die Betroffenen selbst ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen. Dass in 15 oder 20 Jahren, wenn wir einen besonders ausgeprägten Pflegenotstand in den Heimen haben, zunehmend von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden wird. Dass vielleicht das überlastete Pflegepersonal selbst darauf hinweist.

Sie sind Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin des Franziskus-Krankenhauses in Berlin. Sehen Sie dort bereits Anzeichen für diese Entwicklung?

Wir sehen immer mehr Menschen, die mit einem Todeswunsch zu uns kommen. Das war vor zwei, drei Jahren noch nicht der Fall. Weil das Thema in der Öffentlichkeit stärker präsent ist, gehen viele Menschen heute viel offener damit um, sind aber nicht ausreichend über die Möglichkeiten von Hospizarbeit und Palliativversorgung informiert. Vor einiger Zeit wurde ein Mann in unser Krankenhaus eingeliefert, der versucht hatte, sich mit einem Blutverdünnungsmittel das Leben zu nehmen, weil er so große Schmerzen hatte. Er verweigerte zunächst Gegenmittel und Schmerzmittel. Zwei Stunden später war der Patient beschwerdefrei und konnte zu Fuß nach Hause gehen. Was hatte ihm gefehlt? Erstens, menschliche Zuwendung. Zweitens, eine kompetente Schmerztherapie.

2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt, da es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verletze. Das heißt, die Beihilfe zum Suizid ist nicht länger strafbar, aktive Sterbehilfe, etwa die Verabreichung von Medikamenten, hingegen schon. Die Politik ist nun dazu verpflichtet, eine Gesetzesregelung zu finden, doch Gesetzent­würfe scheiterten bisher. Was wünschen Sie sich von der Politik?

Ich wünsche mir, dass es überhaupt eine Regelung gibt. Eine Regelung ist immer noch besser als gar keine. Wir leben derzeit in einem rechtsfreien Raum. Das bedeutet, dass man auch als Laie jemandem ein Gift geben kann. Bestattungsinstitute bieten den assistierten Suizid als Geschäftsmodell an und verlangen dafür 15.000 Euro. Die Möglichkeit der Beratung ist für uns sehr wichtig. Es sollte nicht nur zum Suizid beraten werden, sondern zuallererst zu alternativen Möglichkeiten wie einer würdevollen Hospizbegleitung und Palliativversorgung. Das passiert aktuell nicht. Außerdem müssen Kinder von der Gesetzesregelung ausgeschlossen werden.

Hilfe durch Telefonseelsorge

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder

www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Wie verläuft nach Ihrer Wahrnehmung die öffentliche Debatte über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?

Durch das Bundesverfassungsgericht ist ein Autonomiehype ausgelöst worden. Die Selbstbestimmung wird über alles gestellt. Das ist einerseits richtig. Auch unsere Patienten auf der Palliativstation bekommen das, was sie wollen. Wenn sie sterben wollen, begleiten wir sie. Aber es entsteht aktuell der Eindruck, dass die Entscheidung, sich helfen zu lassen, ein Aufgeben von Autonomie und Selbstbestimmung darstellt. Dem kann ich nicht zustimmen. Autonomie ist immer relational. Das heißt, auch Autonomie ist in einem sozialen Kontext verankert. Eine unterstützende und respektvolle Umgebung, wie sie zum Beispiel die Hospizarbeit und Palliativversorgung schaffen, sind nicht das Ende der Autonomie, sondern sie können diese stärken.

Reicht es, nüchtern zu argumentieren, oder bedarf es manchmal der Zuspitzung, um Menschen, die nicht zu den gefährdeten Gruppen gehören, also nicht selbst betroffen sind, von der Dringlichkeit des Themas zu überzeugen?

Eine gewisse Zuspitzung ist erlaubt, aber es gibt Grenzen. Und dazu gehören Nazivergleiche. Die sind in Deutschland historisch zu besetzt.

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3 Kommentare

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  • Wenn es aber um ein Zeitungsinterview geht, dann reden Sie mit der Kollegin Löffler, weil ich in der Geschichte halt der dumme Pflegeheini bin. Ihre Verachtung für die Basis dieser Arbeit ist dabei das, was mich mit am meisten empört, und ich bin nich gewillt, das hinzunehmen.



    Wenn wir im übrigen über Professionalität reden, hat es sich mit Ilse folgendermaßen verhalten: ich bin ein Jahr lang bei ihr eingezogen und habe sie durchgehend betreut; ein ganzes Jahr lang; weil alle professionellen Systeme, sie zu versorgen, versagt haben. Ich hatte ein Jahr lang keinen Feierabend, keine Pause, keine Freizeit. Ich weiß, dass Sie als Chefarzt von irgendeiner Klinik sich so ein Leben nicht einmal vorstellen können; Sie reden von Ethik, aber würden Sie ihr Haus in Kaulsdorf oder sonstwo aufgeben für ein Hinterhauszimmer, um sowas zu machen? Wenn wir über Ehrlichkeit reden, müssen wir auch darüber reden: das würden Sie natürlich nicht.



    Kollegin Löffler hat unrecht: wir stehen in keiner möglichen Welt auf der gleichen Seite. Hätte sie mit mir gesprochen, wäre ihr das möglicherweise auch klar geworden. Aber Sie haben mit Ihrem Preisgehupe und Ihrer Vereinsmeierei auch sie täuschen können; ich wünsche Ihnen, dass Sie künftig damit scheitern. Zu unser aller Wohl wünsche ich Ihnen das.



    Mit freundlichen Grüßen,



    Frédéric Valin

  • „Ich zog bei einer an Demenz erkrankten Frau ein, um die 80, und kümmerte mich um sie. Wenn wir einkaufen gingen oder zum Arzt, fragte sie, warum sie Maske trüge und so viele andere nicht. Zum Glück ist sie ihr Lebtag Kommunistin gewesen, also sagte ich ihr: „Weil die Deutschen alle Nazis sind.“ Das überzeugte sie.“



    Sie machen daraus, ich hätte versucht Ilse (das ist nicht ihr echter Name) zu überzeugen, dass alle Deutschen Nazis seien. Das habe ich nicht; ich war in ihrer Erlebniswelt. Sie machen außerdem daraus, ich hätte versucht sie zu manipulieren; auch das habe ich nicht getan. Selbstverständlich hat sie diesen Gedankengang vorher selbst schon formuliert gehabt, und ich habe nur versucht, ihr die Scham zu nehmen, eine Ausgestoßene zu sein; um es mit etwas wie Stolz oder Trotz zu ersetzen. Außerdem war sie – die eine Dichterin war – sehr wohl in der Lage, auch in ihrem Zustand Ironie zu erkennen; eine Fähigkeit, die Sie Ihnen offensichtlich voraus hatte. Es ist obendrein gelogen, wenn sie behaupten, es wäre ethisch die Grundhaltung, Dementen immerzu die Wahrheit zu sagen: oder wie würden Sie mit einer dementen Person umgehen, die jeden Morgen nach dem verstorbenen Kind fragt? Würden Sie ihr jeden Tag erzählen, das Kind sei verstorben, wenn das die Person in eine Trauerphase schickt, aus der sie erst Stunden später wieder herausbricht? Oder würden Sie ihr sagen, ihr Kind sei verreist und käme bald wieder, um dadurch einen Horizont für den Tag zu öffnen? All das können Sie sich gerne an Ihrem Schreibtisch überlegen, und ehrlich gesagt wären das auch Fragen, die die Kollegin Löffler Ihnen hätte stellen müssen.



    Jetzt ist es so: Sie unterstellen mir, ich hätte Schindluder mit Ilse getrieben oder schlimmeres. Zur Abklärung dieser Frage haben Sie aber nie mit mir gesprochen; Sie haben die Absage Ihre Sektretärin formulieren lassen.

  • Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hardinghaus,



    mit großem Interesse habe ich Ihr Interview (s.u.) in der taz gelesen, in dem es u.a. darum geht, warum Sie mir einen Preis erst zu- und dann aberkannt haben. Ich habe lange überlegt, ob ich auf dieses Interview reagieren soll, und habe mich letztendlich dazu entschieden, es doch zu tun, weil mir einiges daran symptomatisch erscheint im Umgang mit der Pflege. Mir ist bewusst, dass der Weg, den ich wähle – nämlich diesen meinen Brief öffentlich zu machen statt ihn an Sie persönlich zu schicken – mich der Eitelkeit verdächtig macht. Ich will auch nicht verhehlen, dass ich sauer bin. Da Sie aber nun explizit betonen, wie wichtig Ihnen die Außenwirkung bei der Verleihung des Preises ist, ist es nur statthaft, wenn ich den gleichen Weg suche wie Sie (insbesondere da die Kollegin Löffler, die dieses Gefälligkeitsinterview mit Ihnen führte, es nicht für nötig hielt, mich zu kontaktieren, obwohl das wohl einige Ungenauigkeiten im Artikel verhindert hätte).



    Sauer bin ich vor allem deswegen, weil die taz und Sie, Herr Prof. Dr. Hardinghaus, sich offensichtlich einig sind in der Herangehensweise, über mich zu urteilen, ohne mich gesprochen zu haben. Anders als im Artikel beschrieben wurde mir der Preis tatsächlich zuerkannt (allerdings nicht verliehen), was etwas anderes ist als eine Nominierung.



    Aber zum Sachverhalt: Für einen Artikel (das steht so explizit in dem Schreiben drin, das auch der Kollegin Löffler vorlag, schließlich hat ihr Verein es selbst ja an die taz geschickt) haben Sie mir diesen Preis verliehen, den Ihr Verein auslobt. Anschließend hat der Vorstand Ihres Vereins entschieden, dass ich nicht preiswürdig sei, und zwar aufgrund folgender Passage aus einem Text im nd:



    „Ich zog bei einer an Demenz erkrankten Frau ein, um die 80, und kümmerte mich um sie. Wenn wir einkaufen gingen oder zum Arzt, fragte sie, warum sie Maske trüge und so viele andere nicht. Zum Glück ist sie ihr Lebtag Kommunistin gewesen, also sagte ich