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Debatte um Paragraf 219aNiemand „bewirbt“ Abtreibungen

Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch. Paragraf 219a aber tut so, als sei Abtreibung durch Werbung manipulierbar.

Demonstration für die Streichung des Paragraf 219a in Berlin Foto: Christian Mang/imago images

W enn ich das Wort „Werbung“ höre, denke ich an in der Sonne glitzernde Autos, an Espressomaschinen oder an den Wohnst-du-noch-Slogan von Ikea. Firmen bewerben etwas, was sie teuer verkaufen wollen, indem sie es als verführerisch und sexy darstellen. Abstrus finde ich hingegen, dass Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs dasselbe Wort benutzt: Um „Werbung für den Schwangerschaftsabbruch“ geht es dort. Der Paragraf besagt, dass niemand zum „Vermögensvorteil“ oder in „grob anstößiger Weise“ Informationen zum Schwangerschaftsabbruch anbieten, ankündigen oder anpreisen darf. Wer das tut, wird zu einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Immer wieder werden Ärz­t*in­nen nach Paragraf 219a bestraft, weil sie Informationen zum Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung stellen. Im Frühjahr wurde der Gynäkologe Detlef Merchel verurteilt, weil er auf seiner Webseite über den medikamentösen Abbruch informierte – und gleichzeitig dazu aufrief, zu prüfen, ob eine Austragung des Kindes wirklich keine Option sei. Die Ärztin Alicia Baier wurde angezeigt, weil sie die schwierige Gesetzeslage öffentlich kritisiert hatte. Das Verfahren wurde eingestellt.

Keine Frau entscheidet sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch, keine Frau will einen Schwangerschaftsabbruch. Aber: Genauso wie manche Männer sich nicht bereit fühlen für ein Kind, oder schlicht keines wollen, oder die Lebensumstände es nicht erlauben, geht es manchen Frauen. Das ist keine Frage des Geschlechts, sondern des Menschen. Man muss das nicht gut finden. Aber Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben.

Verbote, Bestrafungen und Einschüchterungen ändern das nicht. Das lässt sich in Ländern beobachten, wo strenge Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche bestehen – die Zahl der Abtreibungen sinkt dort nicht, sondern Abbrüche werden schlicht illegal oder im Ausland durchgeführt. Das bedeutet einen starken Anstieg des Risikos der Betroffenen, an dem Eingriff zu erkranken oder sogar zu versterben. Wider aller Evidenz wird weiter mit Verboten hantiert.

Längst nicht mehr rational

Den Bereich der Rationalität hat die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche schon lange verlassen. Denn was denken sich die Ver­fech­te­r*in­nen von Paragraf 219a? Dass Schwangere durch die Welt laufen, fröhlich pfeifend, an nichts denkend, und dann sehen sie eine „Werbung“ für Abtreibung und denken: Ach schau mal, ich habe heute noch nichts vor, und wenn mir das so freundlich angeboten wird, könnte ich das doch machen? Paragraf 219a degradiert Frauen zu leicht manipulierbaren, unselbstständigen Menschen, die keine rationalen Entscheidungen treffen können.

Welche Regierungskoalition auch immer bald an die Macht kommt – es ist Zeit, diesen Paragrafen zu streichen. Ärz­t*in­nen wollen nichts zum eigenen „Vermögensvorteil“ verkaufen. Niemand, wirklich niemand, würde auf die Idee kommen, „Werbung“ für Abtreibungen zu machen.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.