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Debatte um Neuköllner LinkeFree Palestine und No Hamas

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Solidarität mit Palästina ist wichtig, aber sie braucht rote Linien. Ein Teil der palästinasolidarischen Linken scheitert daran.

Palästina-Protest im Juni in Berlin Foto: dpa

E inige hundert propalästinensische De­mons­tran­t:in­nen haben sich am Mittwoch auf dem Berliner Alexanderplatz versammelt. „Solidarität mit Palästina. Stoppt den Gaza-Genozid. Keine Waffenlieferungen an Israel“, so das Motto der notwendigen Proteste gegen einen entgrenzten, unmenschlichen Krieg und die Besatzung.

Wenig einladend wirken unterdessen Rufe wie „Viva, viva Intifada“ oder „Death, death to the IDF“; auf einem Schild steht „X-tausend tote Kinder. Wie passt das zu Nie mehr Holocaust?“

Nun könnte in gewohnt deutscher Manier eine Begriffsexegese folgen, die sich wichtiger nimmt, als die Ereignisse in Gaza, die dieser Wut zugrunde liegt. Darauf aber soll an dieser Stelle verzichtet werden. Was aber gesagt werden muss: Eine linke Haltung, die universell humanistisch argumentiert und zu Differenzierungen fähig ist, spricht nicht aus den Sprüchen.

Die Kundgebung war organisiert vom „Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitee“. Wenn man dem Berliner Verfassungsschutz glauben darf, ist das eine Dachorganisation der linksnationalistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP und der islamistischen Hamas. Auch in den palästinensischen Gebieten haben sich die beiden so unterschiedlichen Organisationen über das gemeinsame Verständnis eines militanten Kampfes gegen Israel angenähert. Ideologisch verschwimmen hier nationalistische, islamistische und antisemitische Motive mit der Propagierung von Gewalt.

Dass nun genau jenes „Vereinigte Palästinensische Nationalkomitee“ am Samstag in Berlin zu einem Soli-Event des Linke-Bezirksverbands Neukölln für Palästina eingeladen ist, zeugt davon, wie sich bestimmte Teile der Linken in ihrer Palästina-Solidarität in eine Sackgasse manövriert haben und sich dabei selbst und ihren politischen Zielen schaden.

Kein Bündnis mit Islamisten

Vom Bündnis der Linken mit der Hamas war bundesweit über das eigentlich harmlose Treffen mit Bastelstunde und Tanzkurs zu lesen. Und selbst wenn der eingeladene Redner des „Nationalkomitees“ gar kein Hamas-Anhänger, sondern einer der PFLP sein sollte, bleibt die Einladung falsch. Grundsätzlich gilt: Is­la­mis­t:in­nen und An­ti­se­mi­t:in­nen können und dürfen niemals Bünd­nis­part­ne­r:in­nen für Linke sein. Gleiches gilt auch für jene, die strategische Allianzen mit ihnen eingehen.

Die Neuköllner Linke predigt stets die Zusammenarbeit mit den Nach­ba­r:in­nen im Kiez, davon nicht wenige mit palästinensischen Wurzeln. Und das ist durchaus verdienstvoll, denn wer sonst im etablierten politischen Raum kümmert sich um die Sorgen und berechtigte Wut jener Menschen und tritt ihnen vorurteilsfrei entgegen. Richtig: Niemand.

Stattdessen stehen Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und ihre Un­ter­stüt­ze­r:in­nen unter Generalverdacht einer deutschen Öffentlichkeit, die sich über einen grenzwertigen Slogan mehr aufregen kann als über einen Krieg, dessen rechtliche Beurteilung als Genozid immer wahrscheinlicher wird. Auch das treibt viele, die das Leid nicht ertragen können, immer mehr zu einer kompromisslosen Haltung.

Trotz allem darf es Solidarität niemals bedingungslos geben, Maßstäbe der Beurteilung, was richtig und falsch ist, müssen universell gelten. Das Beispiel der Neuköllner Linkspartei ist dabei nur eines von vielen, das zeigt, dass ein guter Teil der palästinasolidarischen Linken daran immer wieder scheitert. Fortwährend tappen sie in die Falle und verraten für ihre bedingungslose Solidarität die eigenen Werte.

Wenn Wahrheiten zur Provokation werden

Nur zwei Beispiele: Während einer Palästina-Demo über das Fusion-Festival im Juni wird an einer Bühne ein Banner mit der Aufschrift „There is no free Palestine with Hamas“ heruntergelassen. Sofort stürmen die linken Palästina-Freund:innen herbei und reißen es herunter. Einige Wochen später taucht auf einer Neuköllner Brücke der an den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 erinnernde Slogan „Rape is no Resistance“ auf. Nur kurz darauf ist er mit Gegenparolen übermalt.

Womöglich sind beide Reaktionen nicht einmal der Versuch, die Hamas vor Kritik zu beschützen, sondern liegen einem Freund-Feind-Denken mit israelsolidarischen Antideutschen zugrunde. Sie sind dann die Antwort auf eine auch als solche gemeinte Provokation, ein innerlinker Revier- und Identitätskampf. Doch wer soll das verstehen? In der öffentlichen Wahrnehmung stellen sich die palästinasolidarischen Linken damit an die Seite einer Terrororganisation. Dabei müssten beide Slogans zum allgemeinen Grundkonsens gehören.

Dass außerparlamentarische radikale Gruppen auch über das Ziel hinausschießen, nicht immer strategisch denken oder im vorauseilenden Gehorsam alles vermeiden, was Bürgerliche kritisieren könnten – geschenkt. Aber dass eine Organisationseinheit einer Partei, die Wahlen gewinnen will, genauso handelt und nicht mehr weiß, wo die eigenen roten Linien sind, ist politisch fatal.

Verstanden wird dabei auch nicht, wie sehr man sich isoliert. Den meisten Linken fehlt es nicht an Empathie und Verständnis, um dem Schrecken in Gaza etwas entgegenzusetzen. Auch gesamtgesellschaftlich ist die Stimmung mehrheitlich deutlich humanistischer als der offizielle Staatsräson-Diskurs. Doch zu den fast täglich stattfindenden Demos gehen die wenigsten.

Die Erklärung dafür ist einfach: Mit Hamas-Freund:innen und Is­la­mis­t:in­nen will nahezu niemand auf die Straße gehen. Man will ja „Free Palestine“ fordern, aber eben auch „Free Palestine from Hamas“.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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