piwik no script img

Debatte um Mittleren SchulabschlussVerrat von links gewittert

Erneut flammt die Debatte um den Mittleren Schulabschluss an Gymnasien auf. Schade, dass sie so ideologisch geführt wird.

Reichlich Stoff zum Nachdenken Foto: dpa

Nie, nie, niemals wird diese Stadt ihre Gymnasien abschaffen. Dafür sind die Berührungsängste im Bildungsbürgertum – die links-grüne Pankower und Kreuzberger Mittelschicht darf sich hier ausdrücklich angesprochen fühlen – mit dem Pöbel zu groß. Gemeinschaftsschulen von der Grundschule bis zum Abi­tur, Inklusionsschulen – bitte gern alles ausprobieren, wenn’s hilft. Aber mein Kind geht auf das Gymnasium. Die Gymnasien kann man nicht zur Debatte stellen, das wäre bildungspolitischer Selbstmord.

Die Direktoren der Gymnasien wittern dennoch ständig Verrat von Mitte-links. Etwa beim Thema Mittlerer Schulabschluss nach der 10. Klasse, kurz MSA. Das jüngste Scharmützel hierzu war am Montag im Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasium zu besichtigen, wo der Verband der Oberstudiendirektoren sich selbst zum 25-jährigen Bestehen gratulierte – und bei der Gelegenheit gleich noch gegen die bildungspolitischen Sprecherinnen von SPD, Grünen und Linken feuerte.

Was war geschehen? Viele Damen und Herren Direktoren würden die Prüfungen für die Gymnasiasten gern abschaffen und die MSA-Reife automatisch mit dem Zeugnis am Ende der 9. Klasse verleihen. Denn die 10. Klasse, sagen die Gymnasialschulleiter mit Verweis auf das Schulgesetz, sei am Gymnasium immerhin schon Teil der Qualifzierungsphase fürs Abitur. Nach einem Jahr Oberstufe noch mal MSA-Wissen abzufragen, sei schlicht Unsinn – und würde die gymnasiale Oberstufe nicht ernst nehmen.

Die Koalition will aber, mit dem Hinweis auf die „Gleichwertigkeit der Abschlüsse“, die MSA-Prüfungen für alle nicht antasten. Man habe da einen „Zielkonflikt“ ausgemacht, hieß es in dem rot-rot-grünen Glückwunschschreiben an den VOB (pdf), indem man ansonsten „ganz herzlich“ gratulierte.

Bildungpolitische Unkenntnis

Die Direktoren dankten in einem offenen Brief (pdf) für die Glückwünsche und attestierten den Schreiberinnen ansonsten „ein erstaunliches Ausmaß bildungspolitischer Unkenntnis“. Offizielles Argument der Gymnasiumslobby: Unnötiger Aufwand für die Lehrer, die Schüler bestehen die Prüfungen ohnehin alle (stimmt). Vermaledeite linke Gleichmacherei, rufen die Oberstudiendirektoren daher mit Blick auf die MSA-Prüfungen für alle nach der 10. Klasse, und pochen auf die Unterschiede von Sekundarschulen und Gymnasien.

Denn darum geht es eigentlich: Die Gymnasiumsfraktion fürchtet stets, dass die Stellung der Gymnasien abgewertet werden soll (stimmt eben nicht, auch linke Eltern wollen das Gymnasium).

Nun haben die Direktoren in der Sache eben nicht mal unrecht. Doch wenn alle in ihre ideologischen Gräben flüchten, ist es schwer, einander zuzuhören.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Alles nur auf ideologische Gräben zurückzuführen, wird der Sache nicht gerecht.

     

    Da meine Tochter im Sommer auf die Oberschule wechseln wird und die Gymnasialempfehlung nicht überragend ist, haben wir uns zum Jahreswechsel drei Gymnasien und zwei Sekundarschulen am Tag der offenen Tür angesehen. Die Unterschiede waren erschreckend offensichtlich.

     

    Die erste Sekundarschule war nicht schlecht und sehr bemüht, aber man merkte deutlich, sie rechnet nicht mit Kindern, die Lust auf Schule haben und mindestens einen MSA anstreben.

     

    Zu der zweiten Sekundarschule merkte meine Tochter von sich aus an: "Hier sind alle so lustlos." Und das stimmte fast 100%. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass sich die Lehrer zum Tag der offenen Tür natürlich eher die Vorzeigeschüler rauspicken, lässt das tief blicken.

     

    Meine Tochter wollte nach diesen Eindrücken unbedingt aufs Gymnasium. Die machten nämlich einen besseren Eindruck.

     

    Zu den begehrtesten Oberschulen in Berlin zählen die Sekundarschulen mit eigener Oberstufe. Zum Teil haben sie rund doppelt so viel Anmeldungen wie Plätze. Leider wird hier wenig erweitert.

     

    Die Wahl eines Gymnasiums muss nichts mit Ideologie oder Berührungsängsten zu tun haben. Sie kann auch einfach Erfahrungen und praktischen Eindrücken geschuldet sein. Ich hätte übrigens mit einer Gemeinschaftsschule kein Problem. Da würde vermutlich die Mischung stimmen.