Debatte um EU-Beitritt der Türkei: Erdoğan fordert Europa heraus
Die großen Fraktionen im Europaparlament fordern ein Einfrieren der Türkei-Verhandlungen. Doch Kritik interessiert Erdoğan überhaupt nicht.
„Diese Abstimmung hat überhaupt keinen Wert, egal welches Ergebnis herauskommt“, sagte der autoritär regierende türkische Präsident bei einem Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Istanbul. Es sei ihm „unmöglich, die Botschaft zu verdauen“, die das Parlament aussenden wolle.
Dabei dürfte die Botschaft noch mild ausfallen. Die großen Fraktionen im Europaparlament fordern nicht etwa den sofortigen Abbruch der Beitritts-Verhandlungen mit der Türkei, sondern nur ein „vorübergehendes Einfrieren“.
Damit lassen die EU-Abgeordneten ein Hintertürchen offen. Im Gegensatz zu einem Abbruch könnten die Gespräche nämlich jederzeit wieder aufgenommen werden – wenn Erdoğan zum Rechtsstaat zurückkehrt. Ein neuer EU-Beschluss wäre für die Wiederaufnahme nicht nötig.
Angst vor „Lose-Lose-Situation“
Sollte Erdoğan allerdings – wie mehrfach angedroht – die Todesstrafe wiedereinführen, so droht der endgültige Abbruch. Das würde bedeuten, dass die Mitgliedstaaten einstimmig über eine Wiederaufnahme der Verhandlungen entscheiden müssten, sagte die Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments, Kati Piri. „Das käme einem Ende des Beitrittsprozesses gleich.“
„Die Europäische Union sollte ein politisches Signal an Erdoğan senden“, erläuterte der Fraktionschef der Konservativen, Manfred Weber (CSU), das vorsichtige Vorgehen. „Deswegen fordern wir die EU-Außenminister auf, die Beitrittsgespräche einzufrieren.“
Allerdings ziehen die Mitgliedsstaaten nicht mit. Schon am Dienstagabend hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gewarnt, ein Ende des Beitrittsprozesses käme einer „Lose-lose-Situation“ gleich – es würde nur Verlierer geben. Am Mittwoch distanzierte sich dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel von den Forderungen des Europaparlaments.
Man müsse den „Gesprächsfaden“ mit der Türkei fortführen, sagte die CDU-Chefin bei der Haushaltsdebatte im Bundestag. Deutschland habe ein Interesse daran, mit der Türkei in einer vernünftigen Art und Weise zu kooperieren. „Das schließt aber nicht aus, dass das, was alarmierend zu sehen ist, klar angesprochen wird“, sagte Merkel. Wenn sich die deutsche Haltung nicht ändert, dürfte die Forderung des Europaparlaments ohne praktische Folgen für die Türkei bleiben. Erdoğan weiß das natürlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko