Debatte um Cannabis-Legalisierung: Volle Dröhnung

Kiffen hilft dabei, Bezüge zu entdecken und den richtigen Ton zu treffen. Beim Noch-mal-Drüberlesen setzt dann die Ernüchterung ein.

Lassen sich, wenn es nach der Bremer Politik geht, bald legal beschaffen: Ingredienzien für den Joint. Foto: Ann-Kathrin Just

Man muss nicht alles verbraucherfreundlich (gesetzlich) regeln, es ist doch in Ordnung, wenn man sich wie bisher ein bisschen bemühen muss, um an Rauschgift ranzukommen.

Hasch macht lasch, dagegen baut sich durch die Umständlichkeit der halbherzigen Illegalität (in Berlin geht man angeblich noch mit bis zu neun Gramm straffrei aus) ein gewisses Spannungsverhältnis auf, wobei das Kiffen zu etwas Besonderem wird. Und tatsächlich verliert das Zeug ja auch bei allzu vielem Kiffen an Wirkung.

In der Berliner taz und auf den Buchmesseständen haben wir während der „Arbeit“ geraucht, heute wird höchstens noch nach Feierabend gekifft. In der Zwischenphase wurde nach Produktionsschluss abends regelmäßig Sekt getrunken.

Mittlerweile wurde aber auch das Kraut in Amerika und Holland, das ursprünglich sieben bis acht Prozent THC enthielt, auf 16 bis 18 Prozent hochgezüchtet, die genetisch veränderten Pflanzen haben sogar einen THC-Gehalt von bis zu 26 Prozent. Dabei habe ich das Gefühl, es macht mir auf Dauer das Gehirn kaputt – das Kurzzeit- und Namensgedächtnis zum Beispiel.

Als tazler der zweiten Stunde (seit 1980) ist das Recherchieren und Schreiben für mich keine Arbeit, sondern Wunsch und oft auch Leidenschaft – und ein Joint ist dabei hilfreich: Ich bin damit konzentrierter (fast wie auf einem Laserstrahl). Die Gespräche oder Geräusche um mich herum nehme ich nicht wahr, und beim Lesen fallen mir laufend irgendwelche Bezüge oder Ideen ein (die ich an den Rand schreibe). Man könnte vielleicht von einem gesteigerten Digressions-Druck sprechen.

Zugegeben, wenn ich bekifft „arbeite“, bin ich meist derartig begeistert von dieser Tätigkeit, dass ich meinem Gedankenstrudel unkritisch ausgeliefert bin. Zur Not schmeiß ich die Notizen am nächsten Tag weg. Aber meistens ist es so: Wir ziehen uns auf eine Couch nahe der Tür zum Dachgarten, also fast nach draußen, zurück und drehen einen Joint. Wenn jemand vorbeikommt und sich erstaunt: „Was, ihr kifft schon?“, dann wird ihm geantwortet: „Wir rauchen doch nicht zum Vergnügen.“

Zurück am Schreibtisch fange ich an zu tippen – und darüber vergeht dann langsam der Rausch – nach einigen Stunden, woraufhin ich den Text noch einmal und noch einmal lese – zunehmend nüchterner also, bis ich das Gefühl habe: Das kann man jetzt dem Redakteur X oder Y schicken, damit der es wegdruckt.

Für Leute, die das Kiffen zum leichten Verrücken einer Sichtweise brauchen, ist „das Kiffen“übrigens nicht von Interesse

Wo der Rausch hilft

Beim Schreiben muss man erst einmal den „richtigen Ton“ finden, vor allem dabei hilft der Rausch, der immer auch ein bisschen Distanz (zum Thema) schafft. Kein Wunsch kommt auf nach einer Meinung zu zwei gegensätzlichen Positionen (in der Kremlastrologie, der Biologie, im Naturschutz und so weiter), sondern eher Erstaunen und Freude an der Differenz.

Bei der Frage zum Beispiel, warum die Zebras ein gestreiftes Fell haben, gibt es sogar sechs ernst zu nehmende wissenschaftliche Erklärungen, die sich allerdings nur zum Teil ausschließen. In der Regel behilft man sich bei so einem Fall mit einer Great Unified Theory (GUT) – und deduziert dann in der Forschung nur noch runter, bis man die dazu passenden „harten Fakten“ gewonnen hat – und dann schreit man: „Erster!“

Aber bis es bei diesem Fall so weit ist, kann man gut und gerne der Erklärung des Münchner Ökologen Josef Reichholf folgen. Der stand einmal in Tansania im Serengeti-Nationalpark und fragte sich: Warum befindet sich „die Wiege der Menschheit“ ausgerechnet in der Serengeti (die der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek „rettete“), das heißt, warum gingen beziehungsweise liefen die „Vormenschen“ von der dortigen Savanne aus – aufrecht – in die übrige Welt hinaus? Und was hat das mit den dort lebenden Pferden – den Zebras und ihrem seltsamen schwarz-weiß gestreiften Fell – zu tun, und wie hängt das wiederum mit der dort ebenfalls „heimischen“ Tsetsefliege zusammen, die Dr. Grzimek einst den „bedeutendsten Naturschützer Afrikas“ nannte ...

Diese zusammenhängenden Fragen beantwortet der jetzt siebzigjährige Reichholf in seinem zuletzt erschienenen Buch: „Mein Leben für die Natur“. Aber das gehört nicht hierher. Auch glaube ich nicht, dass Reichholf kifft. Obwohl Staatsbeamter, hat der Vielreisende eher etwas von einem „Naturburschen“ – so wie viele Feldbiologen. Ihr Rausch entsteht im Kontakt mit den jeweiligen Forschungsgebieten beziehungsweise -objekten – Tieren oder Pflanzen. Nicht wenige wurden irre an ihrer Empathie, die zudem mit einer gewissen Distanz zu den Menschen einhergeht.

Die schwedische Ornithologin Ulla-Lene Lundberg sagt es in ihrem Expeditionsbericht „Sibirien. Porträt mit Flügeln“ so: „Von Vogelbeobachtern heißt es, sie seien Menschen, die von anderen Menschen enttäuscht wurden. Darin liegt etwas Wahres, und ich will nicht leugnen, dass ein Teil des Entzückens, mit anderen Vogelguckern gemeinsam draußen, in der Tundra, unterwegs zu sein, in der unausgesprochenen Überzeugung liegt, die Vögel verdienten das größere Interesse.“

Humane Illegalität

Für Leute, die das Kiffen zum leichten Verrücken einer Sichtweise brauchen, ist „das Kiffen“ übrigens nicht von Interesse – also kein Thema, wenigstens keins, um das sie sich reißen.

Mir ist außerdem eine humane Illegalisierung lieber als eine harte Legalisierung von Marihuana. Aber dieses Thema diskutieren hier ja bereits andere. Mir fällt dazu aber noch ein Satz von einem Praktikanten ein, mit dem ich neulich arbeitsmäßig kiffte: „Nach dem Abitur habe ich viel geraucht, irgendwann bin ich abgeschifft, hab dann grad’ noch die Kurve gekriegt.“ Er studiert jetzt Journalismus. Aber ob das die richtige „Kurve“ ist ...

Ich komm ja aus Bremen, und da haben die besten Kiffer noch ganz andere Kurven gekratzt. Aber ist schon klar: Er, der kommende Journalist, wollte nicht einfach bedröhnt verblöden. Die Straßen der Hauptstadt sind voll mit solchen Leuten – Jungs meist, nur wenige Mädchen, die sich von unseren „nach-gesellschaftlichen Projektwelten“ anscheinend nicht so verschrecken lassen.

Mehr über den Kulturkampf um die Legalisierung von Cannabis lesen Sie in der gedruckten taz.nord am Wochenende oder hier.

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