Debatte syrische Flüchtlinge im Libanon: Syrer im Angebot
Millionen Syrer sind auf der Flucht, viele stranden in Beirut. Ihnen zu helfen wäre einfach. Doch fast niemand kümmert sich um sie.
D er kleine Libanon mit seinen rund 4,2 Millionen EinwohnerInnen hat offiziell über 500.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen; die wirkliche Zahl dürfte doppelt so hoch sein. Damit machen Syrerinnen und Syrer mittlerweile fast ein Fünftel der Menschen im Libanon aus, trotzdem bleibt die syrisch-libanesische Grenze offen. Deutschland hat sich – nach mehr als zwei Jahren des Konflikts – zur Aufnahme von gerade mal 5.000 Flüchtlingen durchgerungen.
Der Libanon hat bislang keine Flüchtlingscamps eingerichtet und bekommt wenig internationale Flüchtlingshilfe. Wer hier ankommt, ist auf sich selbst gestellt. Die meisten Flüchtlinge suchen sich eine Unterkunft dort, wo sie irgendjemanden kennen. Viele kommen erst mal nach Beirut. Die Ärmsten der Armen campieren auf Verkehrsinseln unter den Hochstraßen. Ihre Habe in wenigen Plastiktüten verstaut, verbringen sie dort den Tag, einige von ihnen stehen bettelnd mitten im dichten Straßenverkehr.
Keine Arbeitsgenehmigung
leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Zuvor leitete sie das Büro der Stiftung in Kabul. Sie ist Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik im Nahen Osten und bloggt regelmäßig.
Wer noch Erspartes hat, geht in die überfüllten Palästinenserlager Sabra und Schatila. Viele Palästinenser quartieren sich bei ihren Familien oder Freunden ein und vermieten ihre Wohnung an die Syrer, um ein wenig Geld zu machen. Ein karger Raum, ohne Teppich, ohne alles, kostet dort 300 Dollar im Monat – das Billigste, was man im teuren Beirut bekommen kann. Mittlerweile haben sich fast 2.000 syrische Flüchtlingsfamilien, oft mit bis zu zehn Mitgliedern, alleine hier registriert. Entsprechend klettern die Preise weiter.
„Wir haben von Privatleuten ein Stück Land in der Bekaa-Ebene zur Verfügung gestellt bekommen und geplant, wie man dort ein Flüchtlingslager einrichten könnte“, berichtet Abu Khaled von der Hilfsorganisation Najda Now. „Wir haben sogar die Zustimmung der örtlichen Verwaltung bekommen, aber natürlich ist es wichtig, von Anfang an die Wasser- und Abwasserversorgung zu regeln. Dafür bräuchten wir 30.000 US-Dollar, aber niemand will sie uns geben, solange es kein Abkommen auf Regierungsebene gibt.“
Erschwerend kommt hinzu, dass der Libanon den SyrerInnen keine Arbeitsgenehmigung erteilt. Viele arbeiten schwarz und nehmen in Kauf, deutlich unter Tarif bezahlt zu werden. Das wiederum hat viele Libanesen ihre Jobs gekostet. Seit der brutalen Niederschlagung der Aufstände durch das Assad-Regime hat die Armut im Libanon deutlich zugenommen und damit auch die Straßenkriminalität. Das wird alles auf die Syrer geschoben. Ressentiments nehmen zu.
Kein Platz in den Schulen
In der Folge gehen viele Flüchtlinge in besonders konservative Gegenden, weil Menschen sich dort eher verpflichtet fühlen, anderen zu helfen. Andere haben sich in einem stillgelegten Gefängnis in der Bekaa-Ebene eingerichtet. In Saida, im Süden des Libanon, wohnen Hunderte Flüchtlinge am Rande der Stadt in Betonrohbauten, die nur aus Zwischendecken und Stützpfeilern bestehen. Im März habe ich diesen Ort besucht. Der eisige Wind, der durch das Gebäude pfiff, wurde nur von dünnen Spanplatten und Planen abgehalten, mit denen sich einzelne Familien kleine Bereiche abgetrennt haben. Im Winter hatten sie nichts, um zu heizen. Die einzige Kochgelegenheit war ein Stahlfass vor dem Gebäude, dem der beißende Gestank verbrannten Mülls entströmte. Anderes Brennmaterial gab es nicht.
„Habt ihr von irgendjemandem Hilfe bekommen?“ fragten wir. „Eine Organisation war so freundlich, uns die Planen zu geben. Und dort drüben dürfen wir uns Wasser holen.“ Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm deutete auf einen anderen Rohbau hundert Meter entfernt, von dem gerade ein paar Jungs Eimer herantragen. „Woher kommt ihr? Und wie habt ihr dort gelebt?“
Der Älteste des Lagers zuckt die Schultern: „Wir kommen aus dem Umland von Homs. Dort ist die Situation Anfang 2013 so schlimm geworden, dass es einfach nicht mehr ging. Ein paar Männer aus unserer Gegend waren hier auf dem Bau beschäftigt, deshalb sind wir hierher genommen. Wir wollen uns nicht beschweren, wir hatten auch zu Hause nicht viel. Hauptsache, wir sind in Sicherheit.“ Ob die Kinder zur Schule gehen? Nein, für syrische Flüchtlinge gibt es keinen Platz in libanesischen Schulen. „Kommt, trinkt Kaffee mit uns“, laden sie uns ein. Die Situation hat ihre Gastfreundschaft nicht geschmälert.
Frauenhandel floriert
In Kairo ist die Situation für syrische Flüchtlinge nicht besser. So stellt die seit Jahren in Ägypten lebende Journalistin Julia Gerlach fest: „Syrische Frauen sind in Ägypten zum Mythos geworden. Selbst unser Hausmeister träumt davon, sich eine zu nehmen, dabei hat er schon zwei Frauen.“ Immer wieder ginge das Gerücht um, dass in dieser oder jener Moschee Syrerinnen vermittelt würden, und wer sich dafür interessiert, hat nicht das Gefühl, etwas Falsches zu machen. Das Einzige, was man bieten können muss, ist ein Zimmer für die Heirat. Viele Ägypter können sich eine Heirat mit einer Ägypterin nicht leisten – und reden sich jetzt ein, sie täten den notleidenden Syrerinnen nur etwas Gutes. Immer wieder könne man auf der Straße den Ausspruch hören: „Baschar, danke, dass du uns so viele Syrerinnen schickst.“
Ganz so offensichtlich ist der Frauenhandel im Libanon nicht. Aber auch hier kursieren viele Geschichten über Eheschließungen aus Not und von Familien, die ihre Töchter verkaufen. Sexuelle Nötigung ist auch hier salonfähig geworden. Mein libanesischer Kollege Haid Haid kommentiert: „Ich habe viele Jahre für das UNHCR in Syrien mit irakischen Flüchtlingen gearbeitet. Da gab es auch sexuelle Ausbeutung, aber Prostitution war verpönt. Doch hier hat man dieser fürchterlichen Praxis zu sozialer Akzeptanz verholfen.“
Auch wenn die Politik keine Antwort auf die große Syrien-Frage hat: Sie sollte sich zumindest der humanitären Katastrophe stellen. Das heißt, sich dafür einsetzen, dass mehr Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. Und – um den viel beschworenen Flächenbrand zu verhindern – endlich substanzielle finanzielle Hilfe in die bedrängten Nachbarstaaten und die befreiten Gebiete schicken.
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