Debatte politischer Islam: Kopflose Islamisten
Mit der Absetzung von Präsident Mursi hat endlich der Niedergang des politischen Islam begonnen. Das ist ein historisches Ereignis.
E s kam anders. Entgegen der Prophezeiung vieler westlichen Experten war der Siegeszug des politischen Islam nur von kurzer Dauer. Der zweite Volksaufstand in Ägypten vor wenigen Wochen ist dafür der beste Beleg. Die beliebte These, dass die arabischen Völker nur entweder von Militärdiktaturen oder von Islamisten regiert werden könnten, ist damit erwiesenermaßen falsch. Wer predigte, der Westen müsse endlich den politischen Islam als Garant von Stabilität akzeptieren und sich ihm annähern, sollte schleunigst umdenken.
Sowohl in Istanbul als auch in Kairo zeigten und zeigen die Protestbewegungen, dass die politische Herrschaft der Islamisten auf heftigen Widerstand breiter Teile der Bevölkerung stößt. Ausgerechnet in Ägypten, der historischen Wiege des politischen Islam, setzte eine Koalition aus Liberalen, Demokraten und Militärs (sogar mit der passiven Unterstützung der Salafisten) den Herrschaftsansprüchen der Muslimbrüder ein vorläufiges Ende. Das ist ein historisches Ereignis.
Die Entmachtung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi ein Jahr nach seiner Wahl verändert nicht nur die politische Landschaft am Nil, sondern wird eine Kettenreaktion auslösen, die die gesamte Region verändern wird. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts befindet sich der politische Islam in der Offensive. Nun hat er endlich seine erste schwere Niederlage erlitten.
ist Politikwissenschaftler und freier Journalist. Er wurde im Libanon geboren. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle über das Interesse der Muslimbrüder am schnellen Geld: „Heiliges Privateigentum“.
Unabhängig davon, dass das Duell zwischen den Muslimbrüdern auf der einen Seite und dem Bündnis von Armee und dem demokratisch-laizistischen Lager auf der anderen Seite längst nicht entschieden ist, eines steht bereits so gut wie fest: Die Muslimbrüder befinden sich in einer ideellen und politischen Sackgasse und verkommen zu einer bloßen Protestbewegung mit dem einzigen Ziel, die verlorene Macht um jeden Preis zurückzuerobern und den gestürzten Präsidenten Mursi wieder einzusetzen.
Versagen auf allen Ebenen
Sie werden an ihrer Sturheit scheitern. Die Mehrheit der Muslimbrüder zeigen bis heute nicht das geringste Interesse, ihren politischen Kurs zu überdenken. Dabei hat der immerhin zum Ausbruch der gegenwärtigen Krise und zu ihrer politischen Isolierung geführt.
Die islamistische Führung hat auf allen Ebenen, politisch, wirtschaftlich und sozial, total versagt. Über eine politische Vision für die Entwicklung Ägyptens verfügt sie nicht. Die Losung, der Islam sei die Lösung, konnte das Fehlen eines politischen Programms nicht kompensieren.
Durch ihre Versuche, den Staat und die Gesellschaft zu islamisieren, trug sie nur dazu bei, den Graben zwischen dem laizistischen und religiösen Lager zu vertiefen, und verhinderte so eine nationale Diskussion über die Zukunft des Landes. Jede Suche nach einem Konsens wurde abgelehnt.
Zudem haben die Islamisten bewiesen, dass sie unfähig sind, staatliche Institutionen zu lenken. Ihnen fehlen erfahrene Führungskräfte, denn ihre Organisation ist strikt autoritär organisiert und basiert allein auf Gehorsam. Führungskompetenzen sind hier nicht gefragt. Dazu kommt ihr politischer Konservatismus, der jeder gesellschaftlichen Veränderung feindlich gegenübersteht.
Armut stieg sprunghaft an
Die politischen Misserfolge der Muslimbrüder konnten nicht durch den geringsten Erfolg auf sozialökonomischem Gebiet ausgeglichen werden. Ganz im Gegenteil: Arbeitslosigkeit, Inflation, Armut und soziales Elend stiegen während der einjährigen Regierungszeit des Präsidenten Mursi sprunghaft an. Der Tourismussektor kam fast zum Erliegen. Zudem verlor Ägypten das Vertrauen der ausländischen Investoren. In der Folge stieg die Armut massiv an.
Das totale politische Versagen der Muslimbrüder hat zu ihrer Entzauberung und zum Verlust ihrer politischen Legitimation bei der Mehrheit der Ägypter geführt. Nur von der Verschwörung des Militärs zu sprechen ist daher zu einfach. Und die Muslimbrüder sind offensichtlich nicht in der Lage, aus ihren Fehlern zu lernen und sich den politischen Realitäten des 21. Jahrhunderts zu stellen.
Deshalb beharrt die Führung der Islamisten auf ihren selbstmörderischen Konfrontationskurs und treibt die Polarisierung der Ägypter weiter voran. Trotzdem werden sie scheitern, denn Realpolitik verlangt, dass man Kompromisse macht. Und so leitet die politische Niederlage der ägyptischen Muslimbrüder, die sich als internationale Bewegung versteht, die Phase des Niedergangs des politischen Islam ein. Das hat regionale und internationale politische Folgen.
Erdogan ist geschwächt
An erster Stelle erlitt die Annäherung des politischen Islam in den Ländern der Arabellion mit dem Westen einen harten Rückschlag. Die Muslimbrüder haben bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind, die westlichen Interessen in der Region zu garantieren. Die Tatsache, dass man im Westen nicht die Rückkehr des entmachteten ägyptischen Präsidenten, sondern nur seine Freilassung verlangt, spricht für sich.
Zu den Hauptverlierern des zweiten Volksaufstands gehört die Achse Ankara/Doha, die die muslimische Bruderschaft in Ägypten finanziell und politisch unterstützt hat. Die wütende Reaktion des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan auf die Entmachtung des ägyptischen Präsidenten bringt seine Sorge um die türkischen wirtschaftlichen Interessen in Ägypten und seine Angst vor einem Aufschwung der türkischen Protestbewegung gegen seinen eigenen autoritären Regierungsstil zum Ausdruck.
Das Gleiche gilt für Katar, der als einziger Golfstaat Partei für die Muslimbrüder ergriffen hat. Inzwischen führt der von Doha gelenkte Fernsehsender al-Dschasira eine beispiellose Medienkampagne gegen die neuen ägyptischen Machthaber.
Dass Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate den Sturz der ägyptischen Islamisten mit 12 Milliarden US-Dollar für das Nilland honoriert haben, gehört zur Ironie der Geschichte. Denn diese Länder unterscheiden sich in ihrer Machtausübung kaum von den Muslimbrüdern. Ihre Ächtung selbst durch Golfstaaten aber zeigt, dass ihre Zeit abläuft.
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