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Debatte Zukunftsvision der SPDDer Traum vom Kapitalismus

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD öffnet sich für den Green New Deal. Das ist nicht orginell, aber entscheidend. Leider bleibt ihre Arbeitsmarktpolitik anachronistisch

Z uerst die gute Nachricht. Die SPD ist endgültig nicht mehr die Betonpartei der 80er-Jahre, die erneuerbare Energien für Spielzeug von Postmaterialisten hielt.

Ihre Wahlaussichten sind mies, die Partei ist depressiv, die Wirtschaftskrise heftig. Doch selbst unter diesen Bedingungen regrediert die SPD nicht zur Atom- und Kohlepartei, die bloß auf mehr Autos und Wachstum setzt. Sie will vielmehr, wie es Frank-Walter Steinmeiers Thesen für "Die Arbeit von morgen" zeigen, mehr Ökoindustrie, mehr Jobs in Dienstleistungsbranchen und qualitatives Wachstum.

Natürlich sind diese Thesen Waffen im Wahlkampf. Natürlich ist die freudige Aussicht windig, vier Millionen neue Jobs zu schaffen; die ist Zahl willkürlich und auf Effekt getrimmt. Seriösen Schätzungen zufolge können in Gesundheitswesen, Altenpflege und Ökoindustrie bis 2020 etwa zwei Millionen neue Jobs entstehen.

Bild: taz

Stefan Reinecke lebt in Berlin-Kreuzberg, war früher Redakteur der Meinungsseite und ist nun Reporter im Parlamentsbüro der taz. Derzeit beschäftigt er sich vor allem mit der SPD und der Linkspartei.

Trotzdem zeigt Steinmeiers Zukunftsskizze, wohin die SPD will. Sie setzt sich vorsichtig von der Autofixierung der Schröder-Ära ab. Sie strebt einen grün gefärbten, sozialpartnerschaftlichen Kapitalismus an, der femininer und gerechter werden soll. Das alles ist nicht sonderlich originell. Aber der Job der SPD ist es nicht, originell zu sein - sondern, zu erfassen, was die soziale und kulturelle Mitte will, und Kompromisslinien zu definieren. Das ist, angesichts einer zusehends in Milieus differenzierten und ausfransenden Gesellschaft, komplex genug.

Das Bekenntnis zur grünen Industriepolitik ist für die SPD keineswegs selbstverständlich. Noch in den 90er-Jahren frönte Wolfgang Clement in NRW ungehemmt der überkommenen Tonnenideologie und hinterließ reihenweise Subventionsruinen. Inzwischen aber hat die Partei offenbar als Ganzes die Lektion begriffen, die ihr die Grünen dreißig Jahre lang erteilt haben. Der Tanker hat seinen Kurs geändert. Wenn die Grünen Steinmeier nun Produktpiraterie vorwerfen und ihr Copyright reklamieren, beklagen sie damit ihren Erfolg.

Gleichzeitig zeigen Steinmeiers Thesen drastisch die blinden Flecken der Sozialdemokraten - vor allem ihren unerschütterlichen Glauben an einen Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit. Dass die SPD vor der Wahl von Jobwundern spricht, halten viele für den üblichen Schwindel. Doch bedenklich ist nicht, dass Steinmeier & Co. luftig Illusionen schüren - das Schlimme ist, dass sie selbst daran glauben, obwohl jede Empirie dagegen spricht.

Die kapitalistische Ökonomie ist so schwindelerregend produktiv, dass sie ohne Unterlass durch Rationalisierungen Jobs vernichtet. Um diese Rationalisierungseffekte auszugleichen, die längst auch White-Collar-Branchen wie Banken und Versicherungen erfasst hat, ist viel Wachstum nötig. Doch vier oder fünf Prozent Wachstum sind in hoch entwickelten Industrienationen kaum möglich - und wenn, dann nur, indem rabiat soziale und ökologische Belange ignoriert werden. Genau das will die SPD nicht und verheddert sich so in Widersprüche. Arbeitszeitverkürzung zu fordern und so Jobs zu teilen traut sie sich nicht.

Weil die SPD eisern an der Vollbeschäftigung festhält, ist sie auch so ignorant gegenüber der Idee des Grundeinkommens. Wer meint, dass eine Gesellschaft ohne Arbeitslosigkeit möglich ist, wenn wir sie nur alle ganz doll wollen und das Richtige dafür tun, dem muss das Grundeinkommen als Ablenkungsmanöver erscheinen. Insofern ist es kein Wunder, dass das Grundeinkommen bei allen anderen Parteien profilierte Fürsprecher hat - bei FDP und auch bei der neuen Ideen eher unzugänglichen CDU, bei den Grünen und der als Traditionskompanie der Arbeiterbewegung verschrienen Linkspartei. Nur bei der SPD nicht. In Sachen Arbeitsgesellschaft hat die SPD die Schützengräben der 80er-Jahre noch nicht geräumt.

Das zweite große Loch klafft - keineswegs nur bei den Sozialdemokaten - bei der Frage, wie die Krisenlasten gerecht verteilt werden und wie die deutsche Ökonomie wetterfest gemacht werden kann. Gerade bei der Exportindustrie gab es die größten Auftragseinbußen. Dort wird es, wenn 2010 oder 2011 das Kurzarbeitergeld ausläuft, Entlassungswellen geben.

Obwohl Steinmeier die Erfolge der Exportindustrie triumphierend feiert, weiß er, dass die Exportfixierung der hiesigen Wirtschaft gefährlich ist. Die deutsche Exportquote ist von knapp 25 Prozent Anfang der 90er-Jahre auf fast 50 Prozent gestiegen. Deshalb, so Steinmeier, "sind wir verwundbarer als andere Länder". Deshalb muss, so die neue Zauberformel, die Binnennachfrage gestärkt werden. Doch wie das geht, bleibt schleierhaft. Ebenso wie vollkommen unklar ist, wie es gelingen soll, gleichzeitig die Sozialleistungen nicht zu kürzen, kräftig staatlich zu investieren und auf die selbst verordnete Schuldenbremse zu treten.

Die Stärkung des Binnenmarkts ist für die SPD nur eine unverbindliche Absichtserklärung. Der radikale Umbau der hiesigen Ökonomie in Richtung Export fand vor allem unter SPD-Regierungen statt. Die schwache Binnennachfrage ist dabei kein unschöner Zufall, sondern eine Bedingung für den Exportboom, der sich direkt der äußerst bescheidenen Lohnentwicklung in Deutschland verdankt. Und weniger Lohn heißt eben auch weniger Binnennachfrage.

Wer ernsthaft die deutsche Exportfixierung mildern und die Binnennachfrage ankurbeln will, muss etwas für höhere Löhne tun. Er wird dies unter widrigsten Bedingungen tun müssen - denn in der Krise mit mehr Arbeitslosen und Firmenpleiten wächst der Druck auf die Löhne. Das Kunststück kluger Wirtschaftspolitik würde darin bestehen, dem gegenzusteuern. Dazu fehlt der SPD nicht nur der Mut. Sondern auch die Einsicht.

Auch Steinmeiers Loblied auf hundertausende schöne neue Dienstleistungsjobs in Altenpflege und Gesundheitswesen klänge hübscher, wenn es mit der zarten Andeutung verbunden wäre, wie dabei massenhafte Billigjobs verhindert werden. Der Hinweis, dass man ordnungsgemäß 7,50 Euro Mindestlohn fordert, reicht nicht. Unter Schröder hat die SPD die Verteilungsgerechtigkeit, die für die Partei immer zentral war, verabschiedet. Wenn Steinmeier dies ändern will, muss er konkret sagen, wie. Das fehlt.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

6 Kommentare

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  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Wann begreifen denn die taz-Wirtschaftsredakteure endlich, dass nur die Faktorkostenschere zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit umgekehrt werden muß

     

    - durch ökologische Umfinanzierung der Sozial- und Staatsleistungen und durch die Einführung eines energie- und sachkapitalsteuerfinanzierte, dynamisch mit dem Produktivitätsfortschritt wachsendes Zweiteinkommen für Jedermann, das die flächentariflohnerhöhungen ersetzt -

     

    um alle Ziele der menschlischen Entwicklung zu erreichen, einschl. einer homöostatischen Vollbeschäftigung. Die Diskussion des Tipping-Points ' Kostenscherenrevolution ' zu starten ist die einzige Rettung für die SPD und die GRÜNEN - vor und nach der Bundestagswahl. Damit wird der Traum einer machtsystemfreien Gesellschaft allseits sich entwickelnder Menschen w a h r.

  • F
    Friedrich

    Wie bei allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen gibt es - im Kommentar von Stefan Reinecke ausgeblendet - auch bei der SPD Vorreiter für das Grundeinkommen:

    www.erftkreis-spd.de/html/14275/welcome/Thema-GRUNDEINKOMMEN.html

     

    Stefan Reinecke gebührt das Verdienst, dass er die zögerlichen Richtungsänderungen der SPD kritisch und zugleich wohlwollend beschreibt. Aus SPD-Sicht soll bis auf weiteres nur die Arbeit bezahlt werden, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu Gewinn und mehr Gewinn beiträgt. Der volkswirtschaftliche Wert von jetzt unbezahlter Arbeit wie beispielsweise das Aufziehen von Kindern und gelebte Demokratie wird von ihr bestenfalls ideell gewürdigt. Kapitalisten und ein Kapitalismus, die erkennen, dass man für eine breite Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen allen ein bedingungsloses und ausreichendes Einkommen geben muss, auch wenn Vollbeschäftigung weder erwünscht noch möglich sind, würden der volkswirtschaftlichen Produktivität Impulse geben, neue Tätigkeitsfelder zu erfinden und zu entwickeln. Das Grundeinkommen scheint mir geeignet, den gesellschaftlichen Wohlstand zu fördern, die Schöpferkraft zu steigern und gleichzeitig das unerreichbare Ziel bezahlter und betriebswirtschaftlich begründeter Vollbeschäftigung loszulassen.

  • A
    Andreas

    Leider muss ich Stefan Reinecke widersprechen: Es gibt durchaus Methoden, ein sehr hohes Beschäftigungsniveau zu erreichen. Das können 3 bis 5 Prozent Arbeitslosigkeit sein, wobei ein großer Teil dann auf Absolventen und Jobwechsler entfällt.

    Das ist möglich, durch sozialen Ausgleich, also Steuern und öffentliche Aufgaben, ein Staat, der dem Bürger viele hochwertige Dienstleistungen anbietet.

    Es ist auch möglich, wenn technische, soziale und bildungsinnovationen ineinander greifen. Allerdings muss es dazu schon eine gewisse Finanzpolitik und Wachstumsimpulse geben. In Deutschland wird das Wachstum nie über 3 bis 4 Prozent gehen, weil dann sofort eine Anti-Inflationspolitik (Maastrich-Kriterien) zu greifft und das Wachstum begrenzt.

    Ich empfehle die alternativen Wirtschaftsgutachten (Memorandum-Gruppe) zur Lektüre, denn dort lässt in vielen hochwertigen Analysen nachlesen, warum es auf dem Arbeitsmarkt und vielfach in der Wirtschaft nicht läuft.

    Die SPD hat auch hier nicht wirklich ein ernstgemeintes Statement abgegeben. Da würde ich auch anders denke als Stefan Reinecke. Dies ist klassicher Wahlkampf und fällt er in die Kategorie, Hoffnungen schüren und aufbauen. Ein Kandidat ohne Hoffnung hat bereits verloren. Im Grunde genommen ist dies schon der halbe Wahlkampf. Kaum ein anderer Politiker hat das in den letzten Jahren so deutlich und professionel gemacht wie Barack Obama.

    An ihn waren so große Hoffnungen gebunden, dass über seine Ausfälle und Problemzonen weggeschaut wurde. Das wird bei Steinmeier aber alles nicht passieren, ob er nun von Vollbeschäftigung oder einer phantastischen Arbeitsmarktpolitik spricht. Ihm fehlt sogar Glaubwürdigkeit und Sachkunde, denn eigentlich kennt niemand den Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker Steinmeier. Er tritt mittem im Wahlkampf mit diesen Thesen auf. Das ist eindeutig zu spät.

  • H
    HOWI

    Baron Münchhausen würde vor Neid erblassen über diese Auslassungen von Herr Aussenminister. Seit 572 Wochen stellt die SPD den Arbeitsminister. 7 Wochen vor der Wahl stellt sie fest wie 4 Mill. Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ganz beachtlich. Kein Wort wie sich das Leben der Menschen entwickeln wird, die die Werte schaffen und den ganzen Staat erst Zahlungsfähig machen. Oder wie Schaffung der versprochenen Arbeitsplätze finanziert werden soll. Die Wirtschaft scheint dazu ja nicht in der Lage und überhaupt nicht willens zu sein. Kein Wort zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die SPD bleibt damit die Partei der Dummschwätzer und der Träumer, leider nützt dies weder den Menschen noch Deutschland.

    HOWI

  • M
    Maik

    Kapitalismus, "der femininer..." sein soll. Aha. Schöne Sprechblase. Können Sie mir das definieren? Was bedeutet das real? Was ist femininer Kapitalismus? Der Gute?

    Oder geht es da lediglich um die Anzahl der Frauen, die Anzahl der Blondköpfe und gebleichten Zähne?

  • W
    wolkenbruch

    kurzer, wichtiger hinweis:

     

    stefan reinicke (wie auch sonst allen interessierten) wäre anzuraten, sich auf irgendeinem wege mit der kapitaltheorie pierre bourdieus zu beschäftigen. warum? weil bourdieu - was auch immer man an ihm noch kritisieren könnte - derjenige ist, der gezeigt hat, dass es eigentlich keine arbeitslosigkeit gibt, da jede form von arbeit und tätigkeit produktiv ist; eben ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische produktion darstellt, die in sich und gleichzeitig immer schon reproduktiv ist. in der ethnozentrischen sicht kapitalistischer wirtschaftsweisen jedoch werden im klassischen sinne "nicht-ökonomische" produktionen als unproduktiv oder reproduktiv angesehen um sie nicht bezahlen bzw. entlohnen zu müssen...

     

    die debatten zum grundeinkommen haben demnach das problem, dass sie den ethnozentrischen kapital-, arbeits- und produktionsbegriff zwar richtig angreifen, dass sie dies jedoch auf der grundlage eines herrschaftlich-verkürzten ökonomieverständnisses tun, das sie zu bekämpfen versuchen! sobald die grundeinkommlerInnen (bzw. jede form von sozialstaatlichkeit oder gesellschaft, die ein soziales existenzminimum kollektiv ver-/teilt, d.h. richtigerweise: entlohnt) diesen wirklich fudamentalen verständniswandel vollzogen haben werden, ist das grundeinkommen bzw. eine gesamt-, ja sogar weltgesellschaftliche grundsicherung, wie auch immer ihr name sei und wie sie organisiert sein wird, nicht mehr reduzierbar.

     

    die fragen werden sich natürlich verschieben: man wird z.b. in zukunft nicht mehr über arbeitslosigkeit sprechen können, sondern nur noch über als legitime oder illegitim angesehene, und auf diesem hintergrund bezahlte und unbezahlte arbeit. arbeitslosigkeit wird somit der mangel an akzeptierter arbeit gewesen sein, aber arbeitslosigkeit an sich existiert nicht, da immer alle arbeiten/produktionen re/produktiv sind. die frage ist halt nur, was, wie und für wie viel von welchem kapital...

     

    tatsächlich ändern diese einsichten extrem viel, mehr als man nach aktuellem forschungsstand zu prognostizieren vermag; tiefgreifende, komplizierte diskussionen wird man wissenschaftlich und gesellschaftlich brauchen um dieses bisher noch sehr junge verständnis bestmöglichst ausdifferenzieren zu können. aber ich halte den harten epistemologischen kern von bourdieus kapitaltheorie für extrem stichhaltig und argumentativ unhintergehbar.