Debatte Wulff-Urteil und die Medien: Wir Tugendterroristen
Die „Bild“-Zeitung hat an Christian Wulff ein Exempel statuiert. Dass die Konkurrenz ihr so bereitwillig folgte, ist kein gutes Zeichen für die Demokratie.
D as Urteil fiel eindeutig aus: Juristisch sei Christian Wulff nichts vorzuwerfen. Dass es überhaupt zum Prozess gegen ihn kam, habe allein an der „Kleinlichkeit und Verbissenheit der Staatsanwälte“ gelegen. Trotzdem sei Wulffs Rücktritt richtig gewesen, denn: „Sein Umgang mit den Enthüllungen zu Hauskredit, Gratis-Urlauben und Mail-Boxen wurde den Ansprüchen des Amtes nicht gerecht.“
Es war nicht der Richter in Hannover, der dieses Urteil sprach – sondern Bild-Chef Kai Diekmann, der schon im November vergangenen Jahres einen Schlussstrich unter die Affäre zog. Dass das Gericht dieses Urteil jetzt nachvollzogen hat und die meisten Medien in Diekmanns Tenor einstimmen, war am Ende nur noch Formsache.
Es lohnt aber, noch einmal einen Blick zurück zu werfen. Wenn es in den letzten Jahren einen „Tugendterror“ gab, wie Thilo Sarrazin es in seinem neuen Buch beklagt, dann war dessen prominentestes Opfer nicht der Sachbuch-Autor, der von Bild als „Tabubrecher“ gefeiert wurde, sondern der Expräsident, den das gleiche Blatt zum Abschuss freigab. Erschreckend einmütig zeigten sich die anderen Medien dabei als Diekmanns willige Vollstrecker.
Selten herrschte so viel Konformismus, war der Herdentrieb und der Jagdwillen von Journalisten so ausgeprägt. Das macht diese Tragödie, die man „Die verlorene Ehre des Christian Wulff“ nennen könnte, zu einem Lehrstück über die Inszenierung eines Skandals, den Zynismus und die ungebrochene Macht der Bild-Zeitung.
Dürftige Selbstkritik
Dass von den Vorwürfen am Ende kaum etwas übrig blieb, sollte seinen Anklägern in den Redaktionen zu denken geben. Doch die Selbstkritik fällt dürftig aus. Wulff ist das Opfer eines Korruptionsverdachts geworden, der sich wie ein dunkler Schatten über ihn legte, aber nie beweisen ließ. Die Berichterstattung über seine Verfehlungen hatte Züge einer Hexenjagd. Bild war in dieser Affäre Ankläger, Verfolger, Beobachter und Richter zugleich. Und wie Bild-Chef Kai Diekmann nach drei Monaten, als die Empörung abzuebben drohte, Stück für Stück Auszüge aus Wulffs Mailbox-Telefonat an die Öffentlichkeit gelangen ließ, gehört zur hohen Schule der Intrige. Dass alle anderen auf seine Finte hereinfielen, macht es ihm jetzt leicht, seine Hände in Unschuld zu waschen.
Die Otto Brenner Stiftung hat die wichtigsten Etappen der Affäre und die zentrale Rolle der Bild-Zeitung schon im Sommer 2012 in ihrer "Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung" aufbereitet ("Bild und Wulff - ziemlich beste Partner"). Wie und warum die journalistische Konkurrenz ihr so bereitwilllig folgte, wäre aber eine eigene wissenschaftliche Analyse wert.
Hinterher ist es leicht gesagt, erst Wulffs Umgang mit der Krise habe zu seinem Sturz geführt - das ist inzwischen zum Standardargument vieler Journalisten geworden. Genauso gut könnte man jemanden, der gerade von einer Gang verprügelt wurde, entgegenhalten, es hätte sich nur anders verhalten müssen, dann wäre ihm nichts passiert. Denn Wulff hatte von Anfang an keine Chance. Noch nie hat ein deutscher Politiker seine Hosen soweit heruntergelassen wie Wulff, der all seine privaten Reisen, seine Bankgeschäfte und sogar seine Babysitter-Rechnungen offengelegt hat. Aber seinen Anklägern reichte das nicht, die Vorwürfe wurden immer maßloser, und wenn einer sich nicht erhärten ließ, musste ein anderer her.
Nur: was waren die kleinen Freundschaftsdienste und Vorzüge, die sich Wulff gönnte oder gewähren ließ, im Vergleich zu den Rede-Honoraren eines Peer Steinbrück oder den Steuerhinterziehungen eines Uli Hoeneß? Eine Lappalie, die zur Staatsaffäre aufgeblasen wurde. Dadurch ließen sich viele Medien bereitwillig von wichtigeren, aber nicht so leicht einem einzigen Buhmann anlastbaren Problemen wie dem zeitgleich (!) publik gewordenen NSU-Skandal ablenken.
Ouvertüre zu den Vuvuzelas
Dieses irrationale Verhalten lässt sich letztlich wohl nur psychologisch erklären. In die mediale Empörung über Christian Wulff spielten überhaupt viele Aspekte hinein, die mit den konkreten Vorwürfen nichts zu tun hatten: die Isolation eines Präsidenten, der in seiner eigenen Partei offenbar nur noch über wenige Freunde verfügte und damit ein leichtes Opfer war. Der Neid auf seine junge Frau, über die hinter der Hand allerhand Gerüchte in Umlauf waren. Und der Hass auf einen Politiker, der es gewagt hatte, auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte den schlichten Satz auszusprechen, dass auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre.
Ab diesem Zeitpunkt begannen konservative Medien wie Focus, Welt und Bild, sich auf den Präsidenten einzuschießen. Die scheinheilige Bild-Frage „Warum hofieren Sie den Islam so, Herr Präsident?“ und der Focus-Titel, der Wulff mit Gebetskäppi und Schnurrbart zum frommen Türken verfremdete, bildeten die Ouvertüre zur medialen Schlammschlacht um Kredite und andere Vergünstigungen.
Das führte am Ende zu grotesken Exzessen: Da war der Mob, der vor dem Schloss Bellevue Schuhe schwenkte, als sei Wulff irgendein ein arabischer Despot. Da waren die Vuvuzelas beim Zapfenstreich. Und da war die unwürdige Debatte um seinen Ehrensold, wie stets von Bild angezettelt, die bis zuletzt Kübel voller Häme über den Expräsidenten ausschüttete.
Der Skalp des Präsidenten
Dabei war Wulff, gerade weil er die Rechten reizte, einer der besseren Bundespräsidenten, die diese Republik bisher gesehen hat. Mit seinem Bekenntnis zur Vielfalt setzte er in kurzer Zeit mehr Akzente als viele andere in diesem Amt, er erwarb sich Respekt bei Einwanderern und Muslimen und zeigte auch als Ansprechpartner für die Angehörigen der NSU-Opfer Format. Sein Nachfolger Joachim Gauck, der es allen recht machen will und dabei keine klare Linie zeigt, blieb im Vergleich dazu bisher eher blass.
Trotzdem glaubten sogar halbseidene Klatschblatt-Journalisten wie Tim Junkersdorf (People) oder die Society-Kolumnistin Sibylle Weischenberg (Gala, Bunte), sich in Talkshows zum Fall Wulff zur moralischen Instanz aufspielen und ihr Geschäft, das In-fremden-Betten-Wühlen, zu einem Akt politischer Hygiene verklären zu können. Nicht zuletzt war die „Wulff-Affäre“ Ausdruck einer Krise der Medien, die mit marktschreierischen Schlagzeilen und Pseudo-Skandalen gegen schwindende Auflagen kämpfen.
Die Wulff-Affäre diente der Bild-Zeitung dazu, ein Exempel zu statuieren. Seit es ihr gelang, einen amtierenden Bundespräsidenten zu stürzen, wird es sich jeder Politiker noch besser überlegen, sich mit dem Springer-Verlag anzulegen. Am Anfang, so muss man sich das vorstellen, stand Bild-Chef Kai Diekmann, der seinen Untergebenen befahl: „Bringt mir den Skalp von Christian Wulff.“ Dass er am Ende seinen Willen bekommen hat ist keine gute Nachricht für die Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen