Debatte Vorwahlen in Italien: Die Wiedergeburt der Linken
Die Vorwahlen in Italien hat mit Pier Luigi Bersani der Traditionalist gegen den Modernisierer Matteo Renzi gewonnen. Das Programm bleibt wolkig.
K urz vor dem Exitus schien die Partito Democratico (PD), größte Partei des linken Lagers in Italien, noch vor wenigen Monaten zu stehen. Auch nach dem Scheitern der Rechtsregierung unter Silvio Berlusconi gelang es der PD nicht, bei den Meinungsumfragen zuzulegen und mehr als 25 Prozent auf sich zu vereinen.
Ihr Chef Pier Luigi Bersani tönte zwar immer wieder, im Frühjahr 2013 wolle er nach den nächsten Parlamentswahlen Regierungschef werden – doch da lächelten die Kommentatoren nur müde. Bersani, der graue Apparatpolitiker ohne jeden Anflug von Charisma?
Bersani, der Chef einer Partei, in der sich Kritiker der Sparregierung unter Mario Monti mit glühenden Monti-Fans stritten – und bisweilen den Eindruck erweckten, als könne dieser Konflikt gar die Partei zerreißen? Bersani, der von dem jungen Matteo Renzi, dem ihn seit einem Jahr offen herausfordernden innerparteilichen Konkurrenten, das Etikett des verstaubten Politikers von Vorgestern aufgeklebt bekam?
ist Italienkorrespondent der taz und lebt in Rom. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle über Italiens furchtlose Staatsanwälte und Richter, die nicht nur Silvio Berlusconi in Bedrängnis bringen: „Aggressive Justiz“.
Grillo light
Die PD schien noch im Herbst wehrlos dem Zangenangriff zwischen der Technokratenregierung Monti – deren Maßnahmen die Partei immer wieder zähneknirschend zustimmte – und der einen kräftigen, bisher schier unaufhaltsamen Aufschwung erlebenden Anti-Parteien-Bewegung des „MoVimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung) unter dem Komiker Beppe Grillo ausgesetzt zu sein.
Schlimmer noch: Renzi, der einmal davon gesprochen hatte, die alte Politikergeneration der Partei müsse „verschrottet werden“, präsentierte sich im Verständnis vieler PD-Mitglieder als „Grillo light“: als Feind in den eigenen Reihen, der auf eine Art feindliche Übernahme der PD zielte.
Renzi gelang es schließlich, Bersani eine offene Vorwahl des Spitzenkandidaten der gesamten Mitte-links-Allianz abzutrotzen, die neben der PD etwa auch die stramm linke SEL (Sinistra Ecologia Libertà – Linke, Ökologie, Freiheit) des apulischen Regionalpräsidenten Nichi Vendola umfasst. Gerade aus Bersanis Reihen erhoben sich viele Stimmen, die in den Vorwahlen nichts anderes erblickten als die finale Katastrophe der PD, bei der die Partei sich endgültig selbst zerlegen werde.
Jetzt sind die Primarie, wie die Vorwahlen im Anglizismen liebenden Italien genannt wurden, vorbei – und sie wurden nicht zur Todesstunde, sondern zu dem Moment, in dem die PD ihre Wiedergeburt erlebte. Mehr als drei Millionen Wähler bei der ersten Runde am 25. November, 2,8 Millionen dann bei der Stichwahl, dazu der klare Sieg Bersanis, der gut 60 Prozent auf sich vereinen konnte: Der Parteichef hatte allen Grund, von einem „Festtag“ zu sprechen. Nach dem ersten Wahlgang kletterte die PD in den Meinungsumfragen auf gut 30, nach der zweiten Runde gar auf knapp 35 Prozent.
„Endlich werden wir gefragt“
Die Bürger nämlich erlebten die Primarie als Rückkehr der Politik in die grauen Austeritätszeiten der Technokratenregierung Montis – und als Rückkehr von Beteiligungsmöglichkeiten. Unter den Anhängern des Mitte-links-Lagers waren über Wochen hinweg, egal ob am Esstisch zu Hause, in der Bar beim Espresso oder am Zeitungsstand, lebhafte Diskussionen über die Perspektiven der Linken, über die Kandidaten und ihre Ziele zu erleben. „Endlich werden wir wieder gefragt“, war der Hauptrefrain in den langen Schlangen vor den Wahlurnen.
Hauptgewinner ist natürlich Bersani. In den TV-Debatten mit Renzi kam er zwar so dröge rüber wie immer – aber die Wähler störte es nicht. Der PD-Chef ist als Kandidat jetzt voll legitimiert und kann unbesorgt mausgrau in den Wahlkampf ziehen, mit besten Aussichten, in wenigen Monaten Monti als Regierungschef abzulösen.
Denn auch die Mittel-links-Allianz steht: Der dritte Kandidat der Vorwahlen, Nichi Vendola, tritt als treuer Verbündeter auf. Und auch Renzi, dem viele Spaltungsgelüste nachsagten, gibt sich loyal. So agierte er auch in den Vorwahlen, die entgegen allen Befürchtungen nie zur Schlammschlacht zwischen dem „Verschrotter Renzi“ und Bersani ausarteten.
Mehr noch: Bersani konnte Renzis heftige Attacken gegen die alte Garde der Parteigranden, gegen die ewigen Massimo D’Alema oder Walter Veltroni, nutzen, um seinerseits die „Erneuerung“ zum Ziel zu erklären – und sich selbst so endlich freizuschwimmen. D’Alema und Veltroni, so viel steht jetzt schon fest, werden bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten, ebenso wie mindestens 50 weitere altgediente PD-Parlamentarier.
Austerität oder umverteilen?
Was vor wenigen Wochen höchst unwahrscheinlich schien, ist nunmehr möglich: ein Sieg der Mitte-links-Allianz, eine Regierung Bersani. Doch in der Regierung begänne erst die richtige Arbeit.
Völlig wolkig ist bisher das Programm der Mitte-links-Allianz: Wie genau sie die Akzente der Austeritätspolitik nach links verschieben will, steht einstweilen in den Sternen; ebenso, wie sie den Spannungsbogen zwischen den Rechtsauslegern vom Renzi-Lager – die mit Montis Sparpolitik eigentlich recht einverstanden sind – und dem linken Flügelmann Vendola – der „klare Signale“ der radikalen Umorientierung verlangt – hinbekommen will.
Und dann wäre da noch die PD. Ihre Mitglieder und Anhänger haben nach Jahren der Depression die Primarie als Jungbrunnen erlebt. Doch seit den ersten Vorwahlen des Mitte-links-Lagers (damals wurde Romano Prodi als Kandidat gekürt) gab es solche Erfahrungen schon mehrfach. Jedes Mal blieben sie eine isolierte Episode. Jedes Mal verschanzte sich die Partei erneut in ihrer Burg, zog die Zugbrücken hoch – und führte ihre Flügelkämpfe als Oligarchen-Kleinkrieg, um Pöstchen genauso wie um die Positionen der Partei.
Trübe, zage, den Wählern unverständliche Formelkompromisse, egal ob zur Homoehe oder zur Arbeitsmarktreform, waren oft genug die Folge. Das Verlangen ihrer Basis, gefragt zu werden, müssten Bersani und die PD ernst nehmen, nicht nur bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten, sondern auch bei den inhaltlich-programmatischen Zielen der Partei. Nur dann werden die Primarie von 2012 als heilsame Wende für Italiens Linke in die Geschichte eingehen.
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