Debatte Venezuela: Der Rückhalt schrumpft
Die linke Regierung hat bei der Wahl noch einmal gesiegt. Sie verliert aber in der Bevölkerung und bei ihren Bündnispartnern an Unterstützung.
I n Venezuela hat sich eine revolutionär gebende Regierung den Zugriff auf den Reichtum des Landes gesichert. Erdöl ist Dreh- und Angelpunkt. Das macht die chavistische Regierung ökonomisch stark und erleichtert anderen linken Regierungen in der Region das Leben.
Verlieren die Chavistas den Zugriff auf das Öl, kommen andernorts die linken Regimes zumindest ins Straucheln. Es geht also um mehr als nur um einen innenpolitischen Verteilungskampf, die Polarisierung hat längst andere Gesellschaften erfasst. Die Nerven liegen blank, wenn es um die Frage geht: Wie hältst du es mit Venezuela?
Bei Wahlen in Venezuela wird immer nur suggeriert, zwei komplett unterschiedliche ökonomische und gesellschaftliche Projekte lägen zur Abstimmung vor. Unangetastet bleibt das Fundament, das Regierungs- wie Oppositionspolitik zugrunde liegt: eine Rentenökonomie.
ist Lateinamerika-Korrespondent der taz.
Der Reichtum kommt aus dem Boden, nicht aus den Schulen, den Fabriken oder von den Äckern. Mit sozialistischen Errungenschaften hat das nicht viel zu tun.
Es geht bergab
Die Wahlen vom April brachten nur einen knappen Sieg für den Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro, viel knapper als erwartet. Auch wenn je nach politischem Standpunkt umstritten ist, ob es Wahlmanipulationen gegeben hat, lassen die Ergebnisse einen realistischen Blick auf die politischen Verhältnisse zu.
Im Oktober 2012 mobilisierte der zur Wiederwahl angetretene Hugo Chávez knapp über 80 Prozent der rund 19 Millionen Stimmberechtigten. 8,19 Millionen Menschen stimmten für ihn, für seinen Herausforderer Henrique Capriles nur 6,59 Millionen.
Auch bei den Gouverneurswahlen im Dezember – Chávez lag in einem kubanischen Krankenhaus – sieht es auf den ersten Blick nach einem Erdrutschsieg der chavistischen Kandidaten aus. In 20 der 23 Bundesstaaten errangen sie den Sieg, lediglich in drei Bundesstaaten setzte sich die Opposition durch. Die absoluten Zahlen zeichnen jedoch ein etwas anderes Bild. Die Wahlbeteiligung schrumpfte auf 54 Prozent. Gemeinsam erzielten die Chávez-Kandidaten 4,85 Millionen Stimmen, die der Opposition 3,71 Millionen. Der Abstand hatte sich bei beiderseitigen Verlusten auf 1,14 Millionen verringert.
Jetzt, im April, stieg die Wahlbeteiligung auch ohne Hugo Chávez erneut auf knapp 80 Prozent. Aber diesmal stimmten nur 7,59 Millionen für Maduro, dagegen 7,36 Millionen für Henrique Capriles, ein Zugewinn von rund 770.000 Stimmen. Chávez-Anhänger blieben nicht nur in Scharen zu Hause, sie stimmten auch für den Kandidaten der Opposition.
Wie Schnee in der Sonne
Die Legitimation der chavistischen Führungsriege durch einen mehrheitlichen Rückhalt in der Bevölkerung ist in den letzten sechs Monaten wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Ein Fakt, der mit dem Tod von Chávez im März und rechter Wahlpropaganda allein nicht zu erklären ist. Die Hälfte der venezolanischen Stimmberechtigten will offensichtlich den Weg eines chavistischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht mitgehen.
Für die Chavistas ist die Anschuldigung der Opposition, die Ergebnisse manipuliert zu haben, nicht das größte Problem. Von den rund 7,59 Millionen Stimmen für Maduro kamen 6,19 Millionen direkt von der PSUV, der Sozialistischen Einheitspartei. 1,39 Millionen Stimmen steuerten 13 kleinere Parteien bei, die der von Chávez gegründeten PSUV nicht beigetreten sind, aber ebenfalls Maduros Kandidatur unterstützten. Ohne diese Verbündeten hätte es auch Chávez vergangenen Oktober nicht geschafft. Die Abhängigkeit der Chavistas von den Kleinen ist aber jetzt enorm gestiegen.
Vor allem bei den kleinen Allianzparteien steigen die Unzufriedenheit und die Ungeduld mit der Regierung. Das mag weniger für die kommunistische Partei PCV zutreffen, die mit knapp 284.000 die meisten Stimmen beitrug. Aber Basisparteien wie die Redes de Respuesta de Cambios Comunitarios (Redes) oder die sozialistische MEP, die beide jeweils knapp 100.000 Stimmen einheimsten, werden bei knappen Wahlausgängen zum Zünglein an der Waage.
Allmählich setzt sich bei ihnen die Erkenntnis durch, dass der Chavismus zwar eine Umverteilungspolitik hervorgebracht hat, die die bisher Ausgeschlossenen am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt, aber nur dank der florierenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft aus dem Vollen schöpft und funktioniert.
Dass die chavistische Regierung es nicht geschafft hat, die seit vielen Jahrzehnten existierende korrupte Sumpflandschaft im Staatsapparat trockenzulegen und diesen zudem endlich effizienter zu machen, wird von den kleineren Parteien noch hingenommen. Dass sich bereichernde und sich chavistisch gebende Eliten hinzugekommen sind, schon weniger. Und nur zähneknirschend akzeptieren sie noch immer, dass der Aufbau von Arbeiterräten und kommunalen Volksräten, die dem staatlich-bürokratischen Sektor etwas entgegensetzen können, nicht vorankommt.
Der Dominoeffekt
Sollten kleine Parteien den Chavistas die Unterstützung entziehen, dürften auch die Verbündeten nervös werden, allen voran Kuba. Die Behauptung, Venezuela verschenke sein Erdöl an Havanna, stimmt nicht, denn die kubanischen Ärzte in den venezolanischen Armenvierteln leisten im Gegenzug einen großen Dienst.
Aber eine Einstellung der Öllieferungen zu Vorzugspreisen würde die Inselökonomie zumindest ebenso erschüttern wie der Zusammenbruch der UdSSR. Ähnliches gilt für die übrigen 15 Mitgliedstaaten von Petrocaribe (das Abkommen Venezuelas mit Karibikstaaten über verbilligte Öllieferungen), aber auch für Uruguay und Argentinien.
Doch auch für die von Venezuela ökonomisch weniger abhängigen südamerikanischen Regierungen würden sich die politischen Koordinaten deutlich verschieben. Zwar treten die meisten südamerikanischen Länder heute gegenüber den USA weitaus unabhängiger als früher auf. Venezuela ist aber noch immer der verbale Vorreiter. Brasilien, die Hegemonialmacht auf dem Subkontinent, segelt so weitaus weniger beachtet im Windschatten des venezolanischen Polterns gegen den Norden.
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