Debatte Umweltpolitik: Fracking statt Putin
Heimisches Schiefergas als Erlöserphantasie: Teile der Union wollen mit Fracking die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen reduzieren.
B undeskanzlerin Angela Merkel verteilte in Sachen Krimkrise Beruhigungspillen und schwang auf dem Europa-Parteitag der Union am Wochenende gleichzeitig die Peitsche. Niemand wolle den Gesprächsfaden zu Putin abreißen lassen, so die CDU-Vorsitzende, aber notfalls werde die EU zu harten wirtschaftlichen Sanktionen greifen.
Bisher beließen es die Europäer bei eingefrorenen Konten und Reisebeschränkungen für ein gutes Dutzend russischer Krimschurken. Kritiker monieren, dass wegen der fatalen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen – die EU bezieht ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Putinland – ein scharfer Sanktionskurs nicht möglich sei, weil uns sonst die Russen den sprichwörtlichen Gashahn zudrehen. Dann halten wir „im Winter nur einen Monat durch“, rechnete der Spiegel vor und hatte gleich eine Lösung parat: Bevor wir den „Gaskrieg mit Russland“ riskieren oder schnatternd den Kirschbaum aus Nachbars Garten verheizen, sollten wir dringend über eine andere Option nachdenken: Fracking.
Und selbst die SPD
hat vor vielen Jahren das Umweltressort der taz mit gegründet und war bis 1990 Ökologieredakteur. Er ist Träger des Umwelt-Medien-Preises der Deutschen Umwelthilfe.
Inzwischen haben auch mehrere CDU-Granden die Krimkrise genutzt, um die fast schon vergessene Technologie der Erdgasgewinnung durch das Einpressen von Chemikalien-Wasser-Cocktails in die Erdkruste wiederzubeleben. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs sieht Fracking als Chance, um uns „unabhängig zu machen von anderen Lieferanten“. CSU-Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer, der inzwischen dem Wirtschaftsausschuss des Bundestags vorsteht, will „die Fracking-Option dringend offenhalten“, um „Versorgungssicherheit und Preisstabilität“ zu gewährleisten, und selbst SPD-Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat „gehört“, dass die Fracking-Unternehmen jetzt „daran arbeiten, ein wesentlich besseres Verfahren zu entwickeln, das muss man neu beurteilen“.
Fracking statt Putin? Heimisches Schiefergas aus Mettmann (NRW) oder Bötersen (Niedersachsen) statt Gazpromlieferungen aus Sibirien? Es ist eine typisch deutsche Energiedebatte, die aus der Krimkrise erwächst. In keinem anderen Land verstellt seit jeher eine Überdosis ideologischen Betons die Rationalität, wenn es um Energie aus Uran, Sonne oder aus den Tiefen der Erdkruste geht. Ein Fünfminuten-Telefonat mit dem Erdgaslieferanten Wintershall hätte genügt, um den Aberwitz einer Substitution von auch nur 10 Prozent der russischen Erdgaslieferungen durch Fracking in den nächsten zehn Jahren zu offenbaren.
Schon der Zeithorizont macht klar, dass es mindestens bis 2020 dauern würde, bis Probebohrungen realisiert, Standorte ausgesucht und genehmigt, die Infrastrukturen aufgebaut, Verbindungen zum Gasnetz gelegt und die ersten Frackings niedergebracht wären. Optimistisch betrachtet, könnte Erdgas aus Fracking dann vielleicht ab Mitte des nächsten Jahrzehnts 2 bis 3 Prozent unseres heutigen Gasbedarfs decken.
Nicht jede Technologie
Realistisch betrachtet wird sich Fracking in einem eng besiedelten Land wie der Bundesrepublik mit einer umweltsensibilisierten Bevölkerung aber niemals zur ernsthaften Alternative entwickeln. Inzwischen hat die gesellschaftliche Restvernunft auch im Unionslager ihren Platz. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat verstanden, dass „wir nicht jede Technologie brauchen, ich bin strikt dagegen“. Und sie ist nicht die Einzige in der Union. Heilsam sind die Luftbilder aus den USA, wo die Landschaft von tausenden Bohrtürmen perforiert ist wie von MG-Salven.
Während in Deutschland einige Energieveteranen alten Atomschlags vom Fracking träumen, verfliegt in den USA, der Supermacht der Schiefergasexploration, gerade die große Euphorie. Die Investitionen in die Ausbeutung von Schiefergas und -öl sind dort dramatisch abgestürzt. Ausländische Kapitalgeber hatten noch 2011 über 30 Milliarden Dollar investiert. Ein Jahr später waren es noch 7 Milliarden, vergangenes Jahr nur noch 3,4 Milliarden. Und die großen US-Frackingfirmen kämpfen gegen riesige Schuldenberge. Marktführer Chesapeake, einst der große Star am Börsenhimmel, musste Gasfelder und Pipelines im Wert von 6,9 Milliarden Dollar verkaufen, um seine dramatischen Schulden abzutragen. Shell hat Wertberichtigungen von 2 Milliarden Dollar auf sein US-Frackinggeschäft vornehmen müssen. Das Defizit von 80 großen Firmen lag 2013 zusammen bei 50,6 Milliarden Dollar. Fracking lohnt sich nicht! Und taugt nicht als Erlöserfantasie. Die Gaspreise müssen schon kräftig anziehen, um auskömmliche Geschäfte zu garantieren.
Peak Fracking ist erreicht
Zudem ist im US-Bundesstaat Texas der Peak der Förderung bereits überschritten. Ob dies auch für die gesamten USA gilt, müssen die Förderquoten der nächsten Jahre zeigen. Der Münchner Energieexperte Werner Zittel, einer der seriösen Beobachter des US-Frackingsbooms, glaubt, dass die USA zumindest bei der Gasförderung ihren Höhepunkt überschritten haben. Beim Öl rechnet er 2015 bis 2017 mit dem Peak. Wer sich die Verbrauchs- und Förderzahlen der USA ansieht, der sieht sofort, dass auch die selbstgefälligen Ankündigungen, die USA würden unabhängig von Öl- und Gasimporten werden, nicht mehr als eine schöne Illusion waren. Letztlich steht hinter den überzogenen Hochrechnungen der Fracking-Potenziale nichts anderes als der alte Glaube an die unbegrenzte Welt mit unendlichem Wachstum und unbegrenzter Energie. Doch die Schätzungen der Gas- und Ölvorkommen mussten immer wieder korrigiert werden. In Polen, lange Europas großer Hoffnungsträger in Sachen Fracking, sind die taxierten Vorkommen inzwischen um 90 Prozent geschrumpft.
Es passt ins Bild der Debatte, dass die einzigen Energieträger, die tatsächlich in gewaltigen Mengen verfügbar sind und die in den vergangenen Jahren Energieimporte aus dem Ausland in erheblichem Maße ersetzt haben, in der Krimkrise kaum erwähnt werden: Sonne, Wind und Co. Aber warum Solarkollektoren oder -module aufs Dach setzen, wenn man auch mit Millionen Tonnen in den Untergrund gepresster Giftbrühe und Gas aus aufgeknackter Erdkruste das Duschwasser heiß machen kann.
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