Debatte Terror in Norwegen: Krieger wider die Gleichheit
Nicht nur der Hass auf Muslime trieb den Attentäter von Norwegen an. Sein extremer Frauenhass verbindet ihn mit anderen radikalen Ideologen.
M it einer verstörenden Mischung aus Rationalität und Irrationalität, eiskalt die mediale Wirkung seiner Tat einkalkulierend, hat der Norweger Anders Behring Breivik seine Morde geplant. Will man Nachahmern vorbeugen, muss man sich mit seiner ideologischen Begründung beschäftigen, die er im Internet ausführlich dargelegt hat. Neben seinem kalten Hass auf Moslems und "Multikulti", auf den schon vielfach hingewiesen wurde, ziehen sich auch Frauenangst und Frauenhass wie ein roter Faden durch sein so genanntes "Manifest".
Auf den ersten Blick mag das überraschen, geben viele Islamgegner doch vor, ihnen ginge es nicht zuletzt um die Befreiung der unterdrückten muslimischen Frauen vom Joch ihrer Religion. Doch zumindest Breivik, dessen Islamfeindschaft sich aus völkisch-rechtspopulistischen und christlich-fundamentalistischen Quellen speist, geht es nicht um Frauenrechte, sondern um die Wahrung einer bedrohten hierarchischen Ordnung, in der Männer vor Frauen, Weiße vor Nichtweißen und Christen vor Muslimen rangieren.
Gleich seitenweise hat Breivik in seinem "Manifest" Passagen von seinem ideologischen Vorbild, dem Blogger "Fjordman", übernommen, in denen dieser gegen "totalitäre Feministinnen" zu Felde zieht: per Gleichstellungspolitik und "Gender Mainstreaming" zielten sie auf die Auslöschung der männlichen Identität. Scheidung, Abtreibung, Pille, Homosexuelle - all das ist für Breivik nicht tolerierbar. Stattdessen müssten das Patriarchat und die traditionelle Familie wieder eingesetzt werden, um einen "Babyboom" auszulösen. Frauen müsse es verboten werden, einen höheren Grad als Bachelor zu erreichen. Skurrilität am Rande: Er schlägt vor, "von der Außenwelt abgeschottete" Sex-Sonderzonen zu errichten.
Marx, Lady Gaga, Mens Health
geboren 1955, hat einst die taz mitbegründet und arbeitet heute als freie Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist".
Dem "Kulturmarxismus" der Frankfurter Schule schreibt Breivik zu, den Boden für Multikulturalismus und den "totalitären" radikalen Feminismus bereitet zu haben. Schon Marx habe die bürgerliche Familie zerstören und eine "Kommune der Frauen" errichten wollen; Wilhelm Reich, Herbert Marcuse und anderen sei es um die Errichtung des Matriarchats gegangen. Die dadurch verursachte "Feminisierung der europäischen Kultur" sei nunmehr "fast vollendet". Auch "die letzte Bastion der männlichen Vorherrschaft, die Polizei und das Militär", sei bedroht. Damit nicht genug. Männermagazine wie Mens Health propagierten den "feminisierten Mann", Frauen wie Heidi Klum, Madonna und Lady Gaga die "Rassenmischung" und lose Sitten.
In einer Tabelle ordnet er die europäischen Länder nach "Sexualmoral", gemessen an der Promiskuität von jungen Frauen. Am wenigsten Moral gebe es in Norwegen, am meisten in Malta (nebenbei die alte Heimat der Tempelritter). Obsessiv widmet er sich dabei dem Thema Geschlechtskrankheiten. Angeblich hatte sein Stiefvater 700 Sexualkontakte, er habe seine Mutter mit Genitalherpes angesteckt, was bei dieser eine Gehirnentzündung zur Folge gehabt habe, seine Halbschwester sei ebenfalls geschlechtskrank. "Meine Schwester und meine Mutter haben nicht nur mich beschämt, sondern sich selbst und unsere Familie", schreibt er; seine Familie sei "als Sekundäreffekt der feministisch-sexuellen Revolution" zerbrochen. Letztlich sind damit also die Frauen wieder an allem schuld .
Panik vor dem Kontrollverlust
Aus seinem ganzen Pamphlet spricht eine panische Angst vor Kontrollverlust, Sexualität, Verweichlichung, Identitätsauflösung durch "Verweiblichung". Das wiederum ist, bei allen Unterschieden, der gemeinsame Kern aller diktatorischen oder totalitären Ideologien, von den Nazis über die radikalen Islamisten bis hin zu ihren Gegnern, den konservativen Islamfeinden. In seinem Standardwerk "Männerphantasien" hat Klaus Theweleit einst beschrieben, von welch pathologischer Angst vor "Leibesvermischung" schon Anfang des 20. Jahrhunderts die rechten Freikorpskämpfer und Nazis getrieben waren. Sie fürchteten sich vor "Flintenweibern" wie Breivik heute vor "Feministinnen". Die Nazis machten die "verweiblichten" Juden für den Niedergang ihres militärisch-strammen Mannesideals verantwortlich, der Norweger die Moslems und die Feministinnen.
Mohammed Attas Spiegelbild
Dahinter steckt womöglich auch eine Form von Sexualneid. So scheint bei Breivik an mehreren Stellen seines Manifestes eine heiße Bewunderung für jene Moslems durch, die ihre "Ehre" um jeden Preis verteidigen - die "Ehre", schreibt er, sei das Allerwichtigste. So stilisiert sich der Attentäter von Oslo in Wort und Bild zum entsagungsvollen Mönchsritter und kommt dabei seinem islamistischen Gegenbild Mohammed Atta sehr nahe, der, ebenfalls von panischer Frauenangst getrieben, auch einen eliminatorischen "Reinheitskult" pflegte. Beide, das ist eine weitere Gemeinsamkeit, sahen sich als "Märtyrer" ihrer Sache.
Angesichts der in Norwegen ausgeprägten Egalität zwischen Geschlechtern, Schichten und Ethnien weint Breivik einem Männlichkeitsmodell hinterher, das sich historisch in Europa innerhalb der aufkommenden Nationalstaaten und ihren Armeehierarchien entwickelte. Im militärischen Drill geht es um die totale Kontrolle des Körpers und die völlige Unterdrückung von Empathie, weil ein Soldat sonst die "Arbeit" des Tötens nicht machen könnte. Gefühle sind "weiblich", stehen für Schwäche und Feigheit und müssen deshalb unterdrückt werden. Mit diesem Muster arbeiten fast alle Armeen und autoritären Ideologien der Welt - und auch der "Kontrollfreak" Breivik.
Warum aber hat ausgerechnet Norwegen einen solchen "Kreuzritter" hervorgebracht? Norwegen hat seit den Wikingern keinen Krieg mehr begonnen und die skandinavische Gleichstellungspolitik gilt eigentlich als das beste Heilmittel gegen Männlichkeitswahn und Heldenkriegertum. Aber anscheinend schützt auch sie nicht vor individuellen Pathologien. Offenbar sah sich Breivik gerade in dieser vergleichsweise egalitären Gesellschaft mit seinen Gewalt- und Unterwerfungsfantasien so isoliert, dass er zum einsamen Killer wurde.
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