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Debatte Syrien und ISDie Liebe zu den Waffen

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Der „Islamische Staat“ ist zu besiegen – wenn Militärschläge, humanitäre Hilfe und politische Lösungen endlich koordiniert werden.

Hunderttausend syrische Kinder warten darauf, wieder in die Schule gehen zu können. Bild: AP

W as kann man schon tun, die Lage ist doch viel zu unübersichtlich! Wie oft wurde dieses Argument im Falle Syriens ins Feld geführt – in der Politik, in den Redaktionen, zu Hause am Küchentisch. Die britische Hilfsorganisation Oxfam hat nun einen Bericht mit dem Titel „A Faire Deal for Syrians“ vorgelegt, der die Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft dokumentiert: „Reiche Länder geben zu wenig Geld für Nothilfe aus, sie nehmen zu wenige Flüchtlinge bei sich auf, und es gibt keine wirksamen Anstrengungen, um Waffenlieferungen an Konfliktparteien zu unterbinden.“

Bislang wurden nur rund 40 Prozent der laut UN-Kalkulationen nötigen Gelder ausgezahlt. Daher musste etwa das World-Food-Programm seine Hilfe für syrische Flüchtlinge im Libanon im Oktober 2013 um 30 Prozent kürzen. Oxfam sah sich gezwungen, seine monetäre Hilfe für Flüchtlinge in Jordanien einzustellen. In der Folge dieses mangelnden finanziellen Engagements stiegen Hunger, Krankheiten, Kinderarbeit, Verheiratung von minderjährigen Mädchen sprunghaft an.

Das zentrale Argument gegen Hilfe für Syriens Opposition oder auch Zivilbevölkerung war stets die Unterwanderung durch Islamisten. Doch manche Hilfsorganisationen haben gar keine so schlechten Erfahrungen mit den Islamisten gemacht.

So sagte der Koordinator der Syrienhilfe Ton van Zutphen gegenüber der taz: „Wir arbeiten nicht in Regionen, die unter Kontrolle des Assad-Regimes stehen, sondern nur in Oppositionsgebieten unter der Kontrolle der Freien Syrischen Armee (FSA), der al-Qaida-nahen Islamisten von al-Nusra oder auch in Gebieten des Islamischen Staates.“ Bislang habe keine islamistische Gruppe versucht, auf die Verteilung von Hilfsgütern Einfluss zu nehmen.

Die vorgeschobene Angst

Zudem: Wie passt die Angst vor der unfreiwilligen Förderung des religiösen Fundamentalismus mit der Weigerung zusammen, zumindest die Nachbarländer Syriens angemessen dabei zu unterstützen, die Millionen von Flüchtlingen humanitär zu versorgen – zumal die Kinder, denen man sicher keine islamistische Agenda nachsagen kann?

Es sei unangemessen, so wiederum Ton van Zutphen, die mediale Fokussierung auf das Leid der Kinder als Kitsch abzutun: „Es mag auch eine Strategie sein, aber vor allem beschreibt es die Wirklichkeit. Überall auf der Welt wollen Eltern, dass ihre Kinder zur Schule gehen können. Doch in der Türkei leben zwischen 300.000 bis 400.000 syrische Kinder, die keinen Zugang zu einer Schule haben. Das darf nicht so bleiben. Die Kinder müssen zumindest die Grundschulausbildung im Rahmen eines syrischen Curriculums abschließen können.“

Auch der Libanon steht vor der Aufgabe, 172.000 syrische Kinder im Herbst einschulen zu sollen. Ähnliches gilt für Jordanien. Alle diese Länder leisten seit Beginn des Krieges in Syrien Flüchtlingshilfe im großen Stil. Doch angesichts der Millionen von Flüchtenden droht diesen ohnehin instabilen Gesellschaften nun der Kollaps. Um ihn zu verhindern, braucht es die Hilfe der Geberländer.

Oxfam hat in der genannten Studie überschlagen, wie viel die reichen Länder gemessen an ihrer Wirtschaftskraft zur Verfügung stellen müssten – und wie viel sie tatsächlich zahlen. Kuwait liegt mit 1.003 Prozent einsam an der Spitze, gefolgt von Norwegen und Dänemark mit 212 beziehungsweise 163 Prozent. Deutschland hat nur 66 Prozent bezahlt, Frankreich 33 Prozent und Russland glänzt mit 1 Prozent.

In Syrien spielt sich unter den Augen der Weltöffentlichkeit die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg ab. Von ehemals 22 Millionen Syrern sind laut UN 6,5 Millionen innerhalb des Landes auf der Flucht, 3 Millionen gelang es, über die Grenzen zu kommen. Aktivisten gehen von deutlich höheren Zahlen aus. Auch, was die Toten angeht. Die UN spricht von 190.000, Aktivisten von 400.000.

Zwei Feinde: Assad und IS

Sicher ist, dass diese in der absoluten Mehrheit nicht vom „Islamischen Staat“ (IS) ermordet wurden, auf den sich nun die westliche Gemeinschaft als zentralen Feind konzentriert, sondern vom Assad-Regime, das seit 2012 ununterbrochen Luftangriffe gegen die syrische Bevölkerung fliegt. Dank der massiven Unterstützung durch russische Waffen und iranische Kämpfer.

Wer die weitere Radikalisierung und Chaotisierung der Region verhindern will, der sollte also akzeptieren, dass es zwei Feinde gibt: das Assad-Regime und die IS-Milizen. Beide müssen sowohl militärisch als auch politisch bekämpft werden.

Im Irak haben die USA darauf gedrungen, den sektiererischen, brutalen und korrupten Präsidenten al-Maliki zum Rücktritt zu zwingen und so zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, die marginalisierten Sunniten wieder an der Regierung zu beteiligen. Erst dann begannen die Luftangriffe gegen die IS-Milizen. Das Gleiche muss auch in Syrien passieren. Die USA müssen ihren Kampf gegen IS mit der Forderung nach Assads Abtritt verknüpfen.

Er ist der Initiator und also das Gesicht einer beispiellosen Brutalität und Zerstörung des Landes. Kein Flüchtling wird zurückkehren und keine Verhandlung zwischen den verfeindeten Gruppen wird beginnen, solange Assad noch im Amt ist. Bislang ist davon nichts zu erkennen.

Gleichzeitig müssen Hilfsorganisationen Zutritt zu den belagerten Gebieten und auch zu den Gefängnissen erhalten. Aktivisten sprechen von 200.000 politischen Gefangenen. Diese Zahl ist unbestätigt. Doch Anfang des Jahres veröffentlichten CNN und der Guardian Fotos von 11.000 zu Tode gefolterten oder schlicht verhungerten Gefangenen, die auf ihre Weise die katastrophalen und vom Assad-Regime herbeigeführten Verhältnisse dokumentieren.

Dass massive Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten stattfinden, relativiert weder diese Verbrechen noch Notwendigkeit, Assad zu entmachten, nicht.

Und der syrische Diktator benötigt die Hilfe der USA. Alle Waffen aus Russland und soldatische Unterstützung durch den Iran haben ihn die Kontrolle über das Land nicht zurückgewinnen lassen. Mittlerweile stellt der IS eine ernsthafte Bedrohung für ihn dar. Entsprechend haben die USA mit ihren angekündigten Luftschlägen spätestens jetzt einen Hebel gegen ihn in der Hand.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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3 Kommentare

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  • Die USA müssen mal über ihren Schatten springen und die militärische Kompetenz Irans nutzen. Al-Quds-General Suleimani hat es ihnen angeboten. Da Syrien aber ähnlich schwächelt wie die Ukraine, nützt die Bodenkriegsstärke der Iraner allein wenig gegen den IS. Isolierte Luftschläge des Westens ebensowenig. Sie richten schlimmstenfalls den politischen Flurschaden an, noch mehr Islamisten zu den Waffen zu rufen. Zusammen mit dem Iran aber könnte der Westen den IS schlagen. Und man könnte mit Teheran verhandeln, Assad zu entmachten. Denn Iran garantiert das politische Überleben des syrischen Diktators. Hat der Westen denn überhaupt ein Konzept, wer Syrien regieren soll, falls Assad fällt?

  • All das erklärt nicht, warum der Westen im Alleingang militärisch eingreifen soll. Und schon gar nicht, wie er das tun sollte.

    Nur eine international konzertierte Aktion kann Frieden im Nahen Osten bringen, aber das interessiert die USA nicht, und Europa hängt sich wie immer politisch und kritiklos an den grossen Bruder dran. Es darf keinen neuen Kriegseinsatz des Westens geben!

  • es bleibt dabei: es werden berichte und meinungen unkritisch übernommen, statt zumindest kritisch zu hinterfragen (geschweige denn zu recherchieren).