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Debatte SterbefastenDer letzte Ausweg

Kommentar von Christian Walther

Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ist eine umstrittene Art, aus dem Leben zu scheiden. Sie ist aber auch radikal selbstbestimmt.

„Viele können sich mit Sterbefasten nicht anfreunden und wünschen sich einen Tod, der innerhalb von Minuten statt Tagen eintritt“ Foto: dpa

W ie man es machen könnte“ – für Menschen, denen ihr Alter und ihre Gebrechlichkeit zur Last wird, sowie für ihre Angehörige ist diese Frage ein Dauerbrenner. Durch die Neufassung des Paragrafen 217 des Strafge­setzbuchs Ende 2015, der die „geschäftsmäßige“, also die „wiederholte“ Beihilfe zum Suizid verbietet, sind die Wege zu einem selbstbestimmten Sterben in der Bundesrepublik noch etwas komplizierter geworden als bisher.

Freiwillig aus dem Leben zu scheiden durch den Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ist eine Möglichkeit, die noch immer besteht. Das sogenannte Sterbefasten, auch FVNF, „Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit“, genannt, mutet besonders radikal an, kann aber tatsächlich eine sanfte, natürliche Methode sein, bei der Medikamente nur wie bei anderen Sterbenden, zur Linderung von Beschwerden eingesetzt werden.

Beim Sterbefasten verzichtet man nicht nur auf das Essen, sondern auch auf das Trinken, was in der Folge – nach etwa 7 bis 15 Tagen – zu Herzversagen, meist im Schlaf, führt. Wie zahlreiche Fallbeispiele zeigen, ist der Tod so gut wie immer friedlich, doch der Weg dorthin kann beschwerlich sein. Wie sehr, das hängt davon ab, ob die/der Sterbewillige und diejenigen, die sie/ihn auf diesem Weg begleiten, gut über die Notwendigkeit und die Durchführung der Mundpflege informiert sind.

Durst entsteht nicht durch Flüssigkeitsmangel im Körper, sondern sekundär durch das Austrocknen der Mundschleimhaut. Verzichtet man nicht radikal auf Flüssigkeitsaufnahme, so kann einem das den Weg aus dem Leben zwar etwas erleichtern, doch er dauert dann eben auch etwas länger.

Ruhiges Abschiednehmen

Dass das Sterbefasten viele Tage beansprucht, wird oft als Mühsal, am Ende aber doch auch als beglückend empfunden, weil diese Zeit häufig mit viel Zuwendung und einem ruhigen Abschiednehmen verbunden ist. Ein Beispiel, das durch die Medien ging, ist die Sterbegeschichte von Tana Herzberg, einer ehemaliger Solotänzerin der Deutschen Oper Berlin, die Anfang 2015 durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit ihr Leben beendete. Die 83-Jährige litt an einer schmerzhaften generalisierten Arthrose und hatte weitere Gesundheitsprobleme, deren kontinuierliche Verschlimmerung absehbar war. Beim Sterbefasten erhielt sie ärztliche Unterstützung. Nach acht Tagen starb sie friedlich; zuvor hatte sie planmäßig ihr Ableben vorbereitet und sich von Freunden verabschiedet.

Christian Walther

Jahrgang 1940, lehrte als Biophysiker an der Universität Marburg. Zum Sterbefasten veröffentlichte er 2010 mit B. Chabot das Buch „Ausweg am ­Lebensende (Reinhardt, 4. Auflage 2015). Er arbeitet ehrenamtlich im Hospiz und ist Mitbetreiber der Webseite www.sterbefasten.de.

Viele können sich mit Sterbefasten nicht anfreunden und wünschen sich einen Tod, der innerhalb von Minuten statt Tagen eintritt – man möchte einfach rasch und für immer einschlafen, etwa durch die Einnahme des Medikaments Natrium-Pentobarbital. Da dieses in Deutschland legal nicht erhältlich ist, reisen etliche zum Sterben in die Schweiz – sofern sie sich das leisten können, denn das Ganze kostet einige Tausend Euro. Worüber man sich allerdings im Klaren sein muss: Dem raschen Tod bei Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas gehen monatelange bürokratische und andere Maßnahmen voraus. Dennoch hat die Zahl dieser Reisen in letzter Zeit stark zugenommen, weil seit Beginn des Jahres professionelle Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland strafbar geworden ist.

Die Mühsal wird auch als beglückend empfunden, weil viel Zeit zum ­Abschiednehmen bleibt

Der neue Paragraf 217 StGB trägt die Überschrift „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“. Das Parlament hat hiermit dem polemischen Ausdruck „Selbstmord“ eine Absage erteilt. Ferner wird „Selbsttötung“ oder „Suizid“ nicht negativ wertend gebraucht; ja, man kann im gesetzgeberischen Akt durchaus die Aussage sehen, dass ein vorzeitiges Beenden des Lebens in bestimmten Situationen eine legitime Option ist. Das Gesetz soll jedoch auch verhindern, dass Suizid – anders als etwa das künstliche Verlängern des Lebens durch Legen einer Magensonde – in unserer Gesellschaft als etwas Normales betrachtet wird.

Nun gibt es allerdings nirgends eine „amtliche“ Antwort auf die Frage, ob Sterbefasten überhaupt ein Suizid ist. Diejenigen, die auf diese Weise das Leben verkürzen möchten – etwa weil eine Demenzerkrankung auf sie zukommt –, sind gut beraten, wie bei einem Entschluss zum Suizid eine Willenserklärung zu verfassen, die Helfende vor dem nachträglichen Vorwurf schützt, nicht lebenserhaltend eingegriffen zu haben.

Ärzte können sich weigern

In der rechtlich unklaren Situation sollten Menschen zwar den Vorsatz des Sterbefastens nicht allzu laut kundtun, andererseits können sie aber davon ausgehen, dass, bis zu einem gerichtlichen Beweis des Gegenteils, das Sterbefasten als natürlicher Tod betrachtet werden darf. Es kann allerdings weiterhin geschehen, dass sich Ärzte, die um Unterstützung, etwa durch Gabe von Beruhigungs- oder Schmerzmitteln, gebeten werden, weigern, weil sie „einen Suizid nicht unterstützen“ wollen.

Stehen Menschen, die in Deutschland freiwillig und selbstbestimmt aus dem Leben scheiden wollen, dank der neuen strafrechtlichen Situation also vor der Wahl, entweder in die Schweiz zu fahren, heimlich Sterbefasten zu vollziehen oder zum Strick oder anderen gewaltsamen Maßnahmen zu greifen?

Noch ist die Methode des Sterbefastens in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, ja fast ein Tabuthema. Kürzlich hat jedoch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin drei Göttinger MedizinethikerInnen einen Preis verliehen für eine Studie, die das Sterbefasten weitgehend positiv bewertet. Menschen, denen es wichtig ist, das Leben gegebenenfalls auf eine andere humane und legale Weise vorzeitig beenden zu können, sind derzeit darauf angewiesen, auf eigene Faust Informationen zu sammeln.

Abschließend sei noch ein ­Aspekt erwähnt, durch den sich das Sterbefasten ganz wesentlich von anderen Methoden, das Leben vorzeitig zu beenden, unterscheidet: Man hat in den ersten Tagen die Möglichkeit, sich noch einmal für das Weiterleben zu entscheiden. Darin liegt eine gewisse Erleichterung, sowohl für den Sterbewilligen selber als auch für diejenigen, die den oder die Sterbende am Ende begleiten sollen.

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10 Kommentare

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  • Prof. Dr. G. D. Borasio sagt in seinen Vorträgen: „Wir leiden an einer flächendeckenden, ökonomisch motivierten Überversorgung.“ Die führt dazu, dass jährlich 140.000 PEG-Magensonden gelegt werden. 70 % davon bei Menschen in Pflegeheimen.

     

    Bei der offiziell vorgesehenen Personalbemessung, stehen einer Pflegekraft während einer Tagesschicht pro Bewohner nur 36 Minuten für Pflege und Dokumentation zur Verfügung. Das ist nicht genug Zeit um allen auch noch Zuwendung und Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme zu gewähren. Da dauert es nicht lange, bis das Legen einer Magensonde empfohlen wird.

     

    Wer jemanden so dahinsiechen gesehen hat, kommt für sich selber leicht zu der Entscheidung so nicht enden zu wollen. Das erklärt dann u.a. die hohe Zahl an Alterssuiziden, die häufig mit untauglichen Methoden versucht werden und Menschen dann in einem Zustand aufwachen lässt, dem sie gerade entgehen wollten.

     

    Wenn alte Menschen erzählen, dass sie abends zum lieben Gott beten, er möge sie nicht wieder aufwachen lassen, und das Nacht für Nacht unerhört bleibt, ist die Frage, warum sie denn noch essen und trinken, obwohl sie sterben wollen, durchaus angemessen. Wenn sie dann weiter essen, ist klar, dass sie leben wollen. Tun sie es nicht und halten das für mehr als eine Woche durch, dürfte klar sein, dass es ihnen ernst ist. Da der Körper in der Zeit Glückshormone ausschüttet, die zum Umdenken führen können, hat das Sterbefasten einen einzigartigen Test, der allen anderen Methoden fehlt.

     

    Das diese altehrwürdige Methode sein Leben selbstbestimmt zu einem respektablen Ende zu bringen, heute in Vergessenheit geraten ist, verdanken wir auch den Kirchen, die mit Caritas und Diakonie an dieser ökonomisch motivierten Überversorgung sehr gut verdienen (auch weil sie ihren Mitarbeitern einen „Gotteslohn“ zahlen, der unter dem Tariflohn anderer Einrichtungen liegt.

     

    Dann doch lieber rechtzeitig Sterbefasten und sich dabei angemessen von Angehörigen und Nahestehenden verabschieden.

    • @Frank Spade:

      100% Zustimmung!

  • Die Wirklichkeit sieht meistens anders aus. Wenn ein Patient Nahrung und Flüssigkeit verweigert, muß er sich oft schon nach wenigen Tagen mit einer Magensonde abfinden, ob er will oder nicht.

  • Ein Suizid ist ein Suizid ist ein Suizid.

     

    Diese nekrophilen Phantasien sind unerträglicher Ausdruck von Drang nach Allmacht. Den meisten Ärzten ist dies fremd, auch Palliativmedizinern. Solche Werbetexte für den angeleiteten Suizid sind einer humanistischen Gesellschaft nicht würdig.

     

    Es war einmal ein Pressekodex ...

    • @TazTiz:

      Meinen Sie vielleicht :

      "...

      Richtlinie 8.7 – Selbsttötung

      Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.

      ..."

      Ich denke, dieser Artikel folgt der Empfehlung.

       

      Über 10.000 Suizide pro Jahr in D, das sind fast dreimal so viele Tote wie durch Verkehrsunfälle. Häufigste Methoden (in der Reihenfolge der Häufigkeit): Erhängen, Medikamente, Sturz, Schußwaffe, „bewegtes Objekt“. Die Anzahl der Versuche wird auf 100.000 geschätzt, mit der entsprechenden Menge an Schwerverletzten und dauerhaft Geschädigten.

      DAS ist „einer humanistischen Gesellschaft nicht würdig“, Herr TAZTOM.

       

      Könnten Sie vielleicht auch erklären, wie sie beim Lesen des Artikels auf „nekrophile Phantasien“ kommen ? Ich habe extra noch einmal im Wörterbuch nachgesehen und finde als Bedeutung von Nekrophilie nur: „Sexualtrieb, der auf Leichen ausgerichtet ist“.

    • @TazTiz:

      In nunmehr 33 Jahren aktiver Pflegepraxis, davon knapp die Hälfte im ambulanten Dienst, habe ich mehrere Fälle von geplantem Sterben erlebt.

      Allen voran ging ein Martyrium unerträglicher Schmerzen, welche nur mit extrem hohen Dosen von Morphin etc. halbwegs gelindert werden konnten.

      All diese Personen, haben für sich selber entschieden, daß sie nicht mehr leben wollen - fertig.

      Das waren alles keine unüberlegten Schnellschüsse, sondern diese Aktionen hatten eine lange Vorbereitungszeit.

      In 2 Fällen haben wir mit 2 Pflegekräften im Wechsel die notwendige Pflege über 24h aufrechterhalten (Mundpflege etc.) und während der ganzen Sterbephase kamen viele Freunde, bekannte und Familienmitglieder.

       

      Daß der Sterbende dies noch miterleben konnte und sich verabschieden konnte, stellt für mich den absoluten Idealfall dar. So etwas ist natürlich in vielen Fällen auch beim normalen Sterben möglich; hier stand eben nur die bewusste Entscheidung eines vorzeitigen Ende des Lebens im Vordergrund.

       

      Würden wir in unserer Gesellschaft dieses Thema mehr in den Vordergrund holen, mit ihm normal - genau wie bei Geburten - umgehen, dann hätten Suizide auch nicht diesen schrecklichen Beigeschmack. Und vielleicht würden dann auch diese entwürdigenden Methoden wie Erschießen, Aufhängen etc. verschwinden. Denn, wenn ich weiß, daß ich humane Möglichkeiten in betracht ziehen kann, ohne geächtet zu werden, dann muss ich mich nicht selbst entwürdigen und kann friedlich aus dem Leben scheiden.

       

      Letztendlich ist diese ganze Debatte aber wieder das Ergebnis einer nunmehr 2016 Jahre langen Gehirnwäsche durch die Kirchen, welche uns immer noch an den Sündenpranger stellen bei solchen Themen.

       

      ...

      • @Juhmandra:

        Jeder Mensch ist in der Lage, sich - unter bestimmten Voraussetzungen - zu suizidieren. Das unterscheidet uns vom Tier. Diese Entscheidung ist aber bei weitem nicht frei, sondern vermutlich ein genetisch determiniertes Notprogramm, welches die Population als ganzes schützt und den einzelnen opfert. Das Gefühl der Entscheidungsfreiheit ist ein schöner Selbstbetrug für das Opfer ("ich will es ja") und die Überlebenden ("sie/er wollte es ja"). Die meiste Zahl der Suizide ist im Ergebnis überhaupt nicht gerechtfertigt oder notwendig, in Einzelfällen erscheint (!) es irgendwie von Vorteil, wenn ein Leiden abgekürtz wird.

        Sowohl als Pflegekraft (Zivi) und auch im späteren Berufsleben habe ich mehr als mehrere nämlcih ziemlich viele Menschen über Suizidversuche hinweg begleitet. Die meisten waren im Anschluss dankbar zu leben, einige wenige waren durch "mißglückte" Versuche zu Pflegefällen geworden ...

         

        Mit welcher Leichtigkeit hier über das Sterben anderer referiert wird, ist schon erschütternd.

         

        Eine humanistische Gesellschaft sollte auf dieses Notprogramm der Sich-Suizidiren-Könnens und des Selbsttötens nicht angewiesen sein und erst recht es nicht in den betroffenen - zum Teil ja wie beschrieben hilflosen - Personen nicht auslösen.

        • @TazTiz:

          Sie erschüttert "Mit welcher Leichtfertigkeit hier über das Sterben anderer referiert wird".

           

          Mich erschüttert die Selbstgerechtigkeit mit der Sie anderen Menschen die Entscheidungsfreiheit (und den Wert ihrer Entscheidung) absprechen. Was für Sie gilt muss aber nicht für jeden gelten.

           

          Ich möchte nicht von "Helfern" gegen meinen Willen zum Leben gezwungen werden, wenn ich für mich erkenne, das mein Leid größer als mein Lebenswille ist und auch keine Aussicht auf Besserung mehr besteht.

           

          Die Informationsprohibition, die Sie zum Schutz der – sich ja nur selbst betrügenden – Menschen fordern, treibt Menschen in Not nur in würdelose Selbstversuche, denen Schweigen vorausgeht (und die große Überraschung des hinterbliebenen Umfelds im Nachgang). Nach meiner Erfahrung wollen Menschen nicht sterben, nur weil es möglich ist.

           

          Und liebeskranke Teenager werden den hier beschriebenen Weg nicht gehen. Die Befürchtung eines Werther-Effekts halte ich für an den Haaren herbeigezogen.

    • @TazTiz:

      Welche der 16 ½ Regeln des Pressekodex sehen Sie denn ganz genau missachtet? Ich finde keine. Ich schätze, Sie verwechseln Ihre eigene Weltsicht mit der einer Institution, der Sie Macht zutrauen über Journalisten. Mehr Macht, las Sie selber haben.

      • @mowgli:

        Der Kodex zielt auf Selbstverantwortung hin und ist kein Selbstzweck oder gar irgendeine institutionelle Einflussnahme.

         

        Der Hintergrund ist der Werther-Effekt und dieser besteht eben auch bei solchen die Selbsttötung idealisierenden Texten.

         

        Menschen, die Gesetze nur wörtlich nehmen ... und einem ansonsten ins Gesicht lachen, obwohl sie verstehen, passen gut in die Zeit.