Debatte Sexualisierte Gewalt: #MeToo … und jetzt?
Die #MeToo-Kampagne muss sich mit dem Kampf gegen Belästigung auf internationaler Ebene vernetzen. Erst dann hätte sie wirklich Wirkkraft.
W er am 4. März den Oscar für die beste Hauptdarstellerin bekommt, weiß heute noch niemand. Aber den wichtigsten Auftritt gab es ohnehin dieses Mal nicht im Film, sondern im realen Hollywood. Nach dem Weinstein-Skandal machten etliche Schauspielerinnen mit der Kampagne #MeToo klar, wie verbreitet sexuelle Nötigungen und Übergriffe in der Branche sind – und befeuerten damit die Debatte über sexualisierte Gewalt in der Arbeitswelt wie kaum jemand vorher.
Die große Aufmerksamkeit, die sie dafür bekamen, resultiert aus ihrem Mut, aber auch daraus, dass es sich bei den Betroffenen um Frauen mit Glamourfaktor handelt, deren Leben Millionen Menschen verfolgen. Dieses öffentliche Interesse ist eine große Chance, die genutzt werden muss. Die Debatte muss jetzt weitergehen – und reale Folgen haben.
Denn mächtige Männer, die ihre Position in der Arbeitswelt ausnutzen, um Frauen (und auch Menschen, deren Geschlecht oder Orientierung nicht der Norm entsprechen) sexuell zu belästigen, zu erniedrigen, zu schlagen, zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, gibt es nicht nur beim Film, nicht nur in der Kultur- und Modeszene.
Gewalt und sexuelle Belästigung finden in allen Branchen überall auf der Welt statt. Sie gehen von Auftraggebern aus, von Vorgesetzten, Kunden, Kollegen. Besonders gefährdet sind Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, wie sie eben in der Kulturszene verbreitet sind – und in der Landwirtschaft, in der Schattenwirtschaft, bei Hausangestellten.
Aber es ist viel zu wenig
Untersuchungen gibt es auch aus anderen Bereichen: Schwedische Gewerkschaften berichten über sexuelle Übergriffe in der Hotellerie, brasilianische über Belästigungen von Bankkauffrauen, indische Menschenrechtsorganisationen über Vergewaltigungen von Busfahrerinnen, Arbeitsrechtlerinnen haben sexualisierte Gewalt gegen Arbeiterinnen in den Fischfabriken Papua-Neuguineas oder gegen Verkäuferinnen in Sambia aufgedeckt.
Wenn Hollywood-Größen eine Initiative wie „Time’s up“ starten, die Betroffenen auch aus weniger privilegierten Berufen wie Kellnerinnen oder Zimmermädchen mit zunächst 13 Millionen US-Dollar helfen will, sich juristisch zu wehren oder Jobverluste zu kompensieren, geht das in die richtige Richtung.
Aber es ist viel zu wenig, zu klein. Und vor allem handelt es sich um eine private Initiative – nicht um eine Regelung, aus der sich ein Rechtsanspruch ableiten ließe. Deshalb können solche Fonds auch keine alleinige Lösung sein.
Denn für Millionen arbeitende Frauen liegt das Problem viel tiefer. Ihnen fehlt es nicht nur an Sicherheit und Geld, im Zweifel kennt die Gesetzgebung ihres Landes den Straftatbestand der sexuellen Nötigung oder bestimmter anderer Formen von Gewalt gar nicht. Oder die Exekutive hat keine Möglichkeit oder keine Lust, sie zu ahnden.
Das Ziel scheint jetzt erreichbar
Nur ein Beispiel, das eine südafrikanische Gewerkschaft publik gemacht hat: Als eine Arbeiterin in einer strukturschwachen Region ihren Vorgesetzten anzeigte, der sie vergewaltigt hatte, erklärten ihr die Polizisten, sie könnten den Mann nicht festnehmen, weil dieser dann die Firma schließen würde und Arbeitsplätze verloren gingen.
Dass sich Regierungen um Gesetze und Maßnahmen herummogeln können, ist auch ein Versäumnis der Internationalen Staatengemeinschaft. Denn bislang gibt es kein globales Abkommen, das Gewalt und sexuelle Übergriffe in der Arbeitswelt zum Thema hat. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die dafür zuständig ist, weltweit menschenwürdige Arbeit durchzusetzen, hat bislang 185 Konventionen verabschiedet.
Darin formulieren Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam Arbeits- und Sozialstandards wie das Verbot von Zwangs-, Sklaven- oder Kinderarbeit, das Recht, Interessenvertretungen zu gründen. Gewalt oder sexuelle Belästigung kommen dabei höchstens am Rande vor, und immer fehlt eine klare Definition, was genau darunter zu verstehen ist.
Dieses Ziel scheint jetzt erreichbar: Die Debatte über ein eigenes Übereinkommen zur Beendigung von Gewalt und sexueller Belästigung in der Arbeitswelt steht auf der Tagesordnung der diesjährigen Internationalen Arbeitskonferenz, zu der sich die 184 ILO-Mitgliedstaaten im Juni in Genf treffen. Wird es verabschiedet und danach von genug Ländern ratifiziert, verpflichten sich deren Regierungen auf das Ziel, Gewalt und sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt zu beseitigen.
Vernetzung muss sein
Allerdings ist völlig offen, ob die Konvention eine Chance hat. Die meisten Regierungen und Arbeitgeberverbände halten sich bislang zurück. Das liegt wohl auch daran, dass die Debatte in den meisten Ländern weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfindet.
Zugleich sieht es so aus, als laufe #MeToo in die Falle, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Damit provoziert die Kampagne eine Berichterstattung, die sich lieber mit dem Für und Wider von Outings und Beschuldigungen beschäftigt und auf jeden Einzelfall giert, als tiefer zu schürfen.
Aber ist es wirklich wichtiger, Catherine Deneuves jüngste Äußerungen zu #MeToo zu deuten, als nach Wegen zu suchen, die Widerstandsmöglichkeiten einer belästigten Fischarbeiterin in Papua-Neuguinea zu verbessern? Oder ist die Internationale Arbeitsorganisation mit ihrer sperrigen Diplomatie den #MeToo-Protagonistinnen zu fremd?
Beide Kampagnen müssen sich dringend vernetzen. Damit sich die eine nicht totläuft und die andere überhaupt richtig lebendig wird. Es gibt Orte, miteinander zu reden und gemeinsame Strategien auszuhecken. Ein guter Hashtag mit einer guten Geschichte wäre ein Anfang. Auch ein Auftritt auf dem roten Teppich eignet sich, um für eine neue ILO-Konvention zu kämpfen. Gern auch schon bei der anstehenden Berlinale.
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