Debatte Roland Koch: Der Welt der Moral entwachsen

Für die Linken ist Hessens Ministerpräsident Koch eine zentrale Hassfigur. Dabei ist er gar kein überzeugter Rassist. Radikal ist er nur in seinem Opportunismus.

Die hessische SPD wagt es, auf ihren Groß-Plakaten die entscheidende Frage zu stellen: "Wirklich wieder Koch?" Während sie glaubt, die Frage schrecke die Wähler in Scharen in die Arme ihres netten Spitzenkandidaten, fügt sich das Publikum bereits in das Unausweichliche: Klar, am 18. Januar kommt Koch "wirklich wieder".

Welch ein Drama - der Schurke lebt und die Guten sterben. Alle Umfragen weisen eine opulente Mehrheit für eine schwarz-gelbe Regierung aus. Und die einst rechnerisch linke Mehrheit ist auf rund 40 Prozent zusammengeschrumpft. Die ganze Energie, welche sie in ihr emanzipatorisches Projekt steckte, wurde umgewandelt - in Schubkraft für eine neue bürgerliche Mehrheit; eine Energiewende der ganz besonderen Art.

Wer wissen will, wer Roland Koch ist und woher seine Kraft kommt, der muss noch einmal nach dem Scheitern der anderen fragen. Gemeinhin werden zwei Fehler genannt. Schlüssig werden diese beiden jedoch erst mit einem dritten. Da war erstens der Wortbruch in Sachen Linkspartei. Der wird einer Politikerin, die für Ideale und eine neue Politik mobilisiert, eben nicht verziehen. Roland Koch begeht streng genommen vermutlich alle 14 Tage einen Wortbruch. Aber einer, dessen Wahlkampf einst mit "als jüdische Vermächtnisse" getarnten Schwarzgeldern finanziert wurde, der erst sein Wissen um die schwarzen Konten leugnete und anschließend seine Verfehlungen verniedlichte, der ist der Welt der Moral entwachsen, dem kann Wortbruch per se nicht mehr vorgehalten werden. Der zweite Fehler: Ypsilanti stand einer gespaltenen Partei vor und verhielt sich, als gebe es nicht eine zweite rechte Hälfte zu integrieren.

Zu ihrem Scheitern gehört jedoch zwingend ein dritter "Fehler": Ypsilanti und die Ihren haben es ernst gemeint. Man ist nicht Anhänger einer Verschwörungstheorie, sondern betreibt nur ein bisschen polit-ökonomische Analyse, wenn man feststellt, dass es für wichtige wirtschaftliche Kräfte nicht egal war, ob Ypsilanti regiert oder Koch: die Fraport, der Flughafenbetreiber, der den Ausbau bedroht sah; die Energiewirtschaft, welcher die Solarwende suspekt war; der Mittelstand, der an weiteren Privatisierungen und nicht am Mindestlohn interessiert ist. Die Liste ist lang. Eine andere Politik, die nicht nur Unternehmer beunruhigte. Die auf dem Flughafen etwa 70 000 Beschäftigten und ihre Gewerkschaften, die waren ebenso wenig begeistert von Ypsilanti und ihren Grünen.

Ob ihr Regierungsprogramm nun eine Kampfansage war oder nicht, es wurde so wahrgenommen in den Kreisen, die in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet etwas zu sagen haben. Der veröffentlichten Meinung ist hier wie überall eine informelle Meinungsbörse der Banker, Manager, Mittelständler, Medienmacher und Politiker vorgelagert. Und dort werden Meinungen abgeklopft, Deutungen getestet, die Kurse festgelegt. Kurz: Josef Ackermann lässt auf seinem internationalen Bankenkongress nur ungern eine als Ministerpräsidentin verkleidete ehemalige Stewardess und Soziologin die Grußworte sprechen. Wo sind wir denn? In der Nähe von Frankfurt, in Darmstadt, sitzt der Elitenforscher Michael Hartmann, der kann alles Nähere erklären.

Und dieser dritte Grund, der ist bereits ein Teil der Antwort auf die Frage, wer Koch ist und woher seine Stärke kommt. Roland Koch bewegt sich seit vielen Jahren in diesen Kreisen wie ein Fisch im Wasser. Und das kann er, weil er eben kein Rassist, kein Rechter und kein Konservativer ist, denn so kann man heute keine guten Geschäfte mehr machen. Roland Koch führt - seinem Ruf zum Trotz - keine ideologischen Kämpfe gegen erneuerbare Energien, für Gymnasien, gegen Integration, für die Frau am Herd. Roland Koch ist fast alles zuzutrauen. Nur eines nicht: dass er gegen Mehrheiten in der Wirtschaftsbranche ankämpft.

Roland Koch ist, nach Bedarf, ein meist mäßiger, selten unmäßiger Marktradikaler. Sein Bundesland führt er am liebsten wie ein Unternehmen. Wenn er eine Leidenschaft hat, dann: Effizienz schaffen. Koch ist nicht gegen das Soziale oder gar gegen Gewerkschaften; genauso wenig wie er für sie Partei ergreift. Allerdings: Ist ein wichtiges Unternehmen angeschlagen, dann ist die Subvention nahe und die heiligen Prinzipien der Marktwirtschaft fern. So ist Koch eher selten rechtspopulistisch, immer umstritten, selten konservativ, meist wirtschafts- und ab und zu gesellschaftsliberal, in Krisenzeiten Keynsianer, immer staatsautoritär. Er selbst behauptet, er sei ein "konservativer Reformer".

Roland Koch ist in der Provinz aufgewachsen und dort geblieben. Er gilt als intelligent, scharfsinnig, fleißig, in der Sache sattelfest. Er lebt nicht von Glaubwürdigkeit und Sympathie, sondern allein von seinen Kompetenzen. Zunehmend schwer trägt er an seiner Spezialität: die Mischung aus Kompetenz, exzellenter Rhetorik und primitiver Hetze. Es ist eine Spezialität seiner politischen Heimat.

Koch, bald 51 Jahre alt, ist in der hessischen CDU als Politiker auf die Welt gekommen. Der kleine Roland gründete mit 14 Jahren einen JU-Ortsverband. 1979 wurde er jüngster Vorsitzender eines CDU-Kreisverbandes, 1987 Landtagsabgeordneter, seit 1998 ist er Vorsitzender der CDU Hessen. Diese CDU Hessen war eine besondere CDU. In der Zeit, in der die SPD das Land regierte, schmiedete der "Stahlhelm"-Konservative Alfred Dregger eine organisatorisch moderne stock-konservative bis rechtsradikale Kampfformation. So wie die Partei, so waren ihre Politiker, und so siegten sie auch: rücksichtslos, Meister von bedenkenlosen Kampagnen. Anfang 1999 wurde Koch Ministerpräsident, nach einer ausländerfeindlichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Als vor Jahren Gewerkschafter forderten, die Vermögenssteuer solle erneut eingeführt werden, sah Koch die Reichen stigmatisiert, "mit einer neuen Form von Stern an der Brust". Anfang 2003 errang Koch die absolute Mehrheit. Und diese Siege verteidigte er 2008 mit bewährten Mitteln: Zwei ausländische Jugendliche schlugen brutal einen Rentner zusammen. Koch schlug zurück: mit einer politisch brutalen ethnischen Debatte. Vermutlich steckt in ihm ein Stahlhelm-Gen; mentale Spätfolgen einer Karriere in der Hessen-CDU.

Heute sagt er verschlüsselt und sein Umfeld offen: Die Kampagne 2008 war ein Fehler. Das ist klar. Aber: Warum? Wegen der Hetze? Oder weil es nicht geklappt hat? Nur als Randnotiz: Hätte es funktioniert, wäre dann Koch öffentlich nicht als zwar rücksichtsloser, aber doch genialer Wahlkämpfer gefeiert, wenigstens respektiert worden?

Und in welcher Ausführung präsentiert sich er sich nun? In diesem Januar kandidiert: Ich habe Fehler gemacht. Ich bin ein erfahrener Handwerker. Ich biete "in Zeiten wie diesen" meine Dienste an. Ich werde die Studiengebühren nicht wieder einführen. Ich kämpfe um jeden Arbeitsplatz. Politische Gegner warnen: Achtung, das ist der falsche Koch. Der echte hetzt gegen Ausländer, ist böse, baut den Sozialstaat ab. Sie haben nicht unrecht - und politisch doch schon verloren.

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