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Debatte Rechtspopulismus und LinkeNeuanfang in Denken und Handeln

Wer linke Politik verteidigen will, muss auch die soziale Frage stellen dürfen! Das meinen zwei FAZ-Essayisten nach Kritik in der taz.

Zuletzt war Martin Schulz den Spagat zwischen der „Adressierung der sozialen Frage“ und „kultureller Teilhabepolitik“ scheinbar gelungen Foto: dpa

I n der FAZ argumentierten wir zuletzt, dass die Linke – verstanden in einem weiten Sinne – die so­ziale Frage vernachlässigt und so den Aufstieg des Rechtspopulismus zumindest teilweise mitverschuldet habe.

Daraufhin hat sich in der taz eine Debatte über unsere These entzündet. Das ist angesichts der Herausforderungen der liberalen Demokratie und der Krise linker Politik nur zu begrüßen. Allerdings sind uns dabei Positionen unterstellt worden, die wir nicht vertreten. So rückt uns Christian Volk in die Nähe neurechter Positionen und wirft uns vor, den „Kern linken Denkens“ zu verkennen. Dieser sei gar nicht die „soziale Frage“, sondern die „Idee einer freien Gesellschaft“. Entsprechend habe die „soziale Frage“ auch nur „mittelbar“ mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus zu tun.

In eine ähnliche Richtung geht der taz-Beitrag von Franziska Müller und Arman Ziai. Ihnen zufolge würden wir „Antidiskriminierungspolitik“ als „gefährliches Projekt“ infrage stellen. Heike Mauer wirft uns aus feministischer Sicht vor, dass wir „Geschlechter- und Sexualitätspolitiken zu Elementen des persönlichen Lifestyles verniedlichen“.

Winfried Thaa kritisiert, wir würden lediglich eine „erneute Dramatisierung sozialer Gerechtigkeit“ fordern und so suggerieren, dass der Rechtspopulismus damit allein schon überwindbar sei. Ähnlich argumentieren auch Ingolfur Blühdorn und Felix Butzlaff mit Verweis auf den Umstand, dass Rechtspopulismus gerade dort besonders erfolgreich ist, wo es den Menschen eigentlich gut geht. Dass wollen wir gar nicht bestreiten; gleichwohl zeigt sich in vielen Ländern, dass Rechtspopulisten besonders stark von Menschen gewählt werden, die früher linken Parteien nahestanden.

Politikwissenschaftler als „Linksautoritäre“

Daher denken wir, dass eine Dramatisierung sozialer Gerechtigkeit ein entscheidender Weg ist, um einen weiteren Vormarsch rechtspopulistischer Parteien zu verhindern. Bevor wir weiter ausführen, warum das auch der einzige Weg ist, die Errungenschaften der Linken – Gleichstellung von Frauen, Anerkennung nicht heterosexueller Lebensformen, eine politische Kultur, die sich der Fremdenfeindlichkeit entgegenstellt – zu verteidigen, noch mal in aller Deutlichkeit: Wir wollen die Antidiskriminierungspolitik nicht gegen eine Politik der sozialen Gerechtigkeit ausspielen. Wer die Antidiskriminierungspolitik aber retten will, muss auch wieder die so­ziale Frage stellen: Das ist unsere These.

In vielen Ländern Europas werden von den Rechtspopulisten zunehmend Wählerklientel angesprochen, die Politikwissenschaftler als „Linksautoritäre“ bezeichnen. Es handelt sich um Menschen, die in kulturellen Fragen autoritäre Werte vertreten und vielleicht auch zu Fremdenfeindlichkeit neigen, wirtschafts- und sozialpolitisch aber klassisch linken Positionen zuneigen. Der „working-class authoritarianism“ (Seymour Lipset) wirkt hier nach und ließ, etwa in Frankreich, viele der ehemaligen Kommunistenwähler und nun auch zunehmend ehemalige Wähler der Sozialisten zum Front National überlaufen.

Was auch immer die einzelnen Motive sein mögen: Nicht zu bestreiten ist, dass viele dieser Wähler zumindest in Westeuropa früher linken Parteien nahestanden, sich von diesen jedoch kaum noch vertreten fühlen. Dafür ist eine Doppelbewegung dieser Parteien verantwortlich, wobei wir hier vor allem die sozialdemokratische Parteienfamilie im Blick haben. Diese Parteien haben sich nicht nur den Forderungen der „neuen Linken“ geöffnet, sondern auch den einseitigen Freiheitsbegriff des Neoliberalismus übernommen und sich fahrlässig von den Kapitalisten den Schneid abkaufen lassen.

Die Dramatisierung der sozialen Gerechtigkeit ist also seit Langem überfällig. Das gilt für Deutschland wie für die meisten anderen liberalen Demokratien. Aber die Linken adres­sierten diesen Bedarf zuletzt, zumindest in den Augen vieler Wähler, nicht. Wodurch es dazu kam, dass viele Arbeiter, Arbeitslose und prekär Beschäftigte – gegen ihre eigenen Interessen – für die Rechtspopulisten stimmten. Die Linken liefen sogar in die Falle der Identitätspolitik.

Nicht nur moralisch werden

Die bestand für die Linken darin, dass sie mit der Kombination aus rechter Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik und linksliberaler Kulturpolitik den Globalisierungs­gewinnern zwar ein attraktives Angebot unterbreiteten, aber zugleich immer mehr traditionell gesinnte ­Wähler zuerst an die Partei der ­Nichtwähler, zunehmend aber auch an die Rechtspopulisten verloren haben. Das hat zuletzt für die SPD etwa ­teilweise zu Ergebnissen geführt, die nur knapp im zweistelligen Bereich lagen. In ­Frankreich lässt sich gegenwärtig beobachten, wie sich eine einst stolze sozialistische Partei selbst zerlegt.

Die Linke braucht deshalb einen Neuanfang im Denken und im Handeln. Deutschland könnte ein Musterbeispiel für den erfolgreichen Umgang mit dem Rechtspopulismus werden, weil dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz der Spagat zwischen der Adressierung der sozialen Frage und kultureller Teilhabepolitik gegen­wärtig gut zu gelingen scheint. Die SPD erlebt einen Höhenflug in den Umfragen, die AfD verliert dagegen deutlich an Unterstützung.

So ein „perspektivischer Dualismus“ – um ein Wort der Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser zu benutzen – könnte sich am Ende als die erfolgreichste Strategie erweisen. Soziale Gerechtigkeit in der konkreten Politik ernster zu nehmen als zuletzt, ist daher der richtige Weg. Moralismus allein ist jedenfalls zu wenig, um gegen den Rechtspopulismus etwas in der Hand zu haben. Und moralische Überheblichkeit gegenüber den Abgehängten ist sogar kontraproduktiv; sie sorgt im schlechtesten Fall nur für eine Trotzreaktion. Daher gilt es, dass sich die Linke – und nicht nur die SPD – umorientiert. Darauf wollten wir mit unserer These der „Dialektik der Moralisierung“ hinweisen.

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9 Kommentare

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  • Der Artikel, aber noch mehr mancher kopflastig verschwurbelte Kommentar, zeigt, wie unrettbar weit Linke von rechtem Denken und Empfinden (!) entfernt sind. Allein ein Blick auf das überdurschnittliche Bildungs- und Einkommenslevel bei Mitgliedern der AfD (Die Welt) zeigt, dass man das Phänomen nicht auf soziale Fragen verengen kann. Es ist eher eine Rückkehr von ideologisch verknotetem Denken (und dem Scheitern der Ideen im Realen) zu einem realitätsbezogenen, unvorbelastetem Handeln, das zB. Intuition nicht abwertet. Dieses "rechte Denken" sieht sich NULL in einer nationalsozialistischen Tradition und umfasst alles, nicht nur Soziales.

  • Im Kern eine interessante Analyse, die gleichwohl keine neue Tür aufzeigt. Wenn in Frankreich viele Le Pen Wähler Umfragen zufolge auch für Mélenchon stimmen hätten wollen, wenn zeitnah im Vereinigten Königreich Corbyn den Traum eines gerechteren Nationalstaats träumt, dann muss eine Linke, die Ernst genommen werden will, die Frage nach der Rolle der Nation neu stellen -- und beantworten.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Mit der Lokalisierung der Verantwortlichkeit für die Erwerbsbiographie und deren Dellen alleine beim vereinzelten Subjekt ging einher, dass die soziale Frage sich auf die Bereitstellung von Arbeit, egal welcher, und den Zwang diese, egal welche, anzunehmen, verengte. Die Abkehr von dem, wie man die soziale Frage verantwortungspolitisch zu formulieren hätte ging einher mit der Kastration der SPD und der Gründung der Linkspartei. In der letzteren ging die soziale Frage immer auch mit Identitätspolitiken zusammen. Jede kritisch reflexive Form gegenüber Diskriminierung und der Problematisierung sozialer Devianzen hatte dort, mit wenigen Ausnahmen wie Lafontaine und Wagenknecht in ihrem Ausgreifen nach rechts, ihren Raum.

     

    Ich kann den FAZ-Beitrag qua Paywall nicht lesen, dieser hier ist jedenfalls analytisch defizitär. In der Richtung, beides geht gut zusammen, und der Priorisierung, die soziale Frage muss DAS Thema für die nächsten Jahre werden, bin ich mit den Kommentatoren einig. Dass die taz sich an diesem Brennpunkt mit ihren jeweiligen Autoren zersplittert und zerfasert, weiß man hier schon seit vielen Jahren. Man kennt ja seine Pappenheimer. Für die taz ist die soziale Frage lange schon nur noch ein Nischenthema, es wird beim nd dafür umso verstärkter und gründlicher behandelt. Besonders seit Strohschneider dort leitet.

    • 2G
      24636 (Profil gelöscht)
      @24636 (Profil gelöscht):

      Ein innere Verpflichtung zu diesem Diskurs scheint man bei der taz lange nicht mehr zu verspüren, man richtet sich verstärkt an diejenigen, die sich die taz überhaupt noch leisten können. Der Rest ist dann Spartenprogramm. Mit diesem für ein einstmals linkes Projekt fürchterlichen Vorwurf, mich schmerzt er noch nach Jahren, setzt man sich seit einem Jahrzehnt lieber nicht auseinander. Stattdessen fällt man über die billigen Opfer wie Lafontaine her, der so bereitwillig seine Legende in Trümmer legt, und damit selbst die Steine liefert, die ihm dann hier im Blatt um die Ohren fliegen. Man sieht gar nicht mehr, welchen Mut und Hang zur Eskapade es brauchte, die Linkspartei überhaupt zu begründen. Sie ist heute zu selbstverständlich geworden, als dass man sich noch freut, dass es sie überhaupt gibt, statt nur Schröders, Gabriels und Schulzes.

       

      Leider haben wir in Deutschland keinen Sanders, keine integrative linke Leitfigur, die ein Wahlkampf heute braucht und alles andere, wie die städtisch organisierten Aktionsbündnisse, haben wir erst recht nicht. In Deutschland hat die Linke vor allem eine große Theorieferne und eine ausgprägte Leidenschaft sich untereinander ins Kreuz zu hauen. Darum stehen wir überhaupt an einem Punkt, dass jemand davon schreiben muss, dass es doch im Kern für die Linke um die soziale Frage geht. Das ist eigentlich zum Heulen.

  • Diese Position trifft den Nagel auf den Kopf. Um mal den afro-amerikanischen Marxisten Adolph reed Jr. zu zitieren: innerhalb einer identitären Moralökonomie "wäre eine Gesellschaft, in der 1% der Bevölkerung 90% der Resourcen kontrolliert eine gerechte Gesellschaft, solange nur ungefähr 12% des oberen Prozentes schwarz, 12% Latino, 50% Frauen und eine ebenso proportionale Zahl LGBTQ wären. Es wäre schwer sich ein normatives Ideal vorzustellen, dass besser die soziale Position von Leuten spiegelt, die sich als AnwärterInnen auf Inklusion in die herreschende Klasse betrachten, oder zumindestens für leitende Positionen deren Servicepersonals."

  • Ich stimme der Analyse im Kern zu. Die Frage ist aber doch, wie will die Linke ihre verlorenen Wähler zurückholen?

     

    Sie scheint nicht in der Lage trag- und mehrheitsfähige Konzepte zum Thema soziale Gerechtigkeit zu entwickeln. Gleichzeitig vertritt sie weiterhin eine Identitätspolitik, die zumindest in ihrer Vehemenz in weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird.

     

    Was also nun?

  • So so, die Rechtspopulisten haben also im allgemeinen eine Antwort auf die soziale Frage. Und die Linken haben sich dazu in letzter Zeit nicht geäußert, und deshalb konnte der Rechtspopulismus in diese Lücke springen. Was ist das denn für ein Märchen? Es war mal Karl Marx der mit der Formulierung der sozialen Frage anfing.

    Aber schön, dass die Debatten zwischen Faz und taz stattfinden.

    Warum muss man linke Politik verteidigen und warum muss man beim Stellen von Fragen um Erlaubnis fragen?

    Ansonsten finden soziale Kämpfe zwischen arm und reich, für selbstbestimmtes Leben und gegen die Ausbeutungsstrukturen auch dann statt, wenn sich Linke nicht dazu äußern. Und: Macron und die SPD oder „Schulz“ sind nicht links.

    • @Land of plenty:

      "Warum muss man linke Politik verteidigen und warum muss man beim Stellen von Fragen um Erlaubnis fragen?

      Ansonsten finden soziale Kämpfe zwischen arm und reich, für selbstbestimmtes Leben und gegen die Ausbeutungsstrukturen auch dann statt, wenn sich Linke nicht dazu äußern."

       

      Das mag alles sein. Wenn sich die Linke nicht äußert, verschwindet sie aber (im Extremfall) von der politischen Bildfläche. Und Marx in Ehren, aber das ist 150 Jahre her und interessiert einen Bürger, wenn er sein Kreuzchen auf dem Zettel macht, nicht. Die Idee für sich zu reklamieren und sie heute nicht ausdrücklich zu stellen, ist ein Problem für die Linke, zumindest bei einer Wahl.

  • sehr gute Analyse!