Debatte Postwachstum und die Rechten: Kreativ im Widerspruch
Gegen eine Vereinnahmung der Postwachstumsdebatte von rechts hilft: ehrlich über Entfremdung und Privilegien sprechen.
D ie Globalisierung führte zum Export von Arbeitsplätzen und hat dadurch in den Industrieländern „Überflüssige“ produziert, die jetzt Trump, Le Pen, die AfD und dergleichen wählen – so lautet eine häufig gehörte und in der taz bereits kontrovers diskutierte These. Die vertretenen Positionen schwanken zwischen „Die soziale Frage muss wieder ins Zentrum“ und „Soziales und Identitätspolitik sind beide wichtig“.
Doch was bedeutet es, die soziale Frage wieder ernster zu nehmen? Auf der Hand liegt: Es muss Umverteilung geben. Das sah schon in den 1970ern niemand anders, der oder die sich politisch links der Mitte verortete. Die Machtverhältnisse haben eine Umsetzung dieses Gedankens allerdings nicht erlaubt. Die traditionell gewerkschaftlich-sozialdemokratische Antwort lautete und lautet deshalb: „Wir brauchen Wachstum! Wenn der Kuchen größer ist, werden auch die Reichen nichts dagegen haben, dass auch die Beschäftigten und die Transfer-Empfänger mehr erhalten.“
Die Probleme an diesem Rezept: Erstens sinken die Wachstumsraten – siehe die Billionen, die in den letzten Jahren von der US-amerikanischen und anderen Zentralbanken als Stimulator in die Weltwirtschaft gepumpt wurden. Zweitens: Die Zutaten sind begrenzt. Die Ressourcen dieser Erde für ein Kalenderjahr werden weltweit bereits im August aufgebraucht sein; der deutsche Verbrauch ergäbe hochgerechnet gar einen Stichtag im April. Immer mehr Menschen treten deshalb für eine Postwachstumsgesellschaft ein; unter dem englischen Ausdruck „degrowth“ versammelt sich eine Bewegung, die befindet, dass es sich ausgewachsen hat.
Vielfach wird davor gewarnt, der Postwachstumsgedanke könnte von rechts vereinnahmt werden – hatten die Grünen mit ihrem kapitalismus- und konsumkritischen Programm anfangs doch auch damit zu kämpfen. In einer globalisierten Welt wird die heimatliche Natur erst recht als Zuflucht aufgeladen. Die Gefahr einer Vereinnahmung kapitalismuskritischer Impulse ist real, und die Auseinandersetzung notwendig. Die Lösung hierfür liegt jedoch jenseits einer Verengung der sozialen Frage darauf, wie viel Geld einem Menschen zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Denn was selbst solche, die sich für sozialökologische Transformation einsetzen, vielfach nicht sehen, ist durch den altmodischen Begriff Entfremdung beschrieben.
Sehnsucht nach Anerkennung
Karl Marx ging es bei seiner Kapitalismuskritik nicht in erster Linie um ungleiche Einkommensverteilung, sondern um eine Kritik an Lebensverhältnissen, in denen der Mensch sich nicht selbstbestimmt mit seinen Fähigkeiten in die Welt einbringen kann.
Paradoxerweise scheinen rechte Parteien Entfremdung heute ernster zu nehmen als linke. Linke vernachlässigen die „immaterielle“ Tatsache, dass Menschen alltäglich an Ausschluss und Mobbing leiden und sich nach Zugehörigkeit und Anerkennung sehnen. Zugehörigkeit zu Kategorien wie Deutschsein und Weißsein wirkt auf sie attraktiv, da sie keinerlei Leistung erfordert. Zum Ventil gerät sie manchen auch deshalb, weil nun andere die Ausgeschlossenen, die Verlierer*innen dieser Gesellschaftsordnung sind.
Wer wie Wilfried Thaa in der tazlinke Identitätspolitik mit jener von Hillary Clinton oder Tony Blair gleichsetzt und als „Vielfaltseuphorie“ abtut, verwechselt „managing diversity“, also liberale Gleichstellungspolitik, im konkurrenz- und leistungsorientierten Kapitalismus, mit der Vision einer emanzipatorischen Gesellschaft. In der kann jeder Mensch ohne den Zwang, sich auf optimale Verwertbarkeit trimmen zu müssen, die eigenen Bedürfnisse leben.
Vielflieger*innen im Visier
Im Sinne des Postwachstums die Superreichen als CO2-Superverbraucher ins Visier zu nehmen – zum Beispiel als Vielflieger*innen –, hat einen rechten Beigeschmack. Personalisierung verführt zur Verwechslung von individueller Schuld mit der dahinterliegenden Struktur. Die Schuld nur bei anderen zu sehen ist ein Muster, das sich bei „Ausländerfeinden“ ähnlich finden lässt. Aufzuhören, unsere durch postkoloniale Machtstrukturen aufrechterhaltenen Privilegien in Anspruch zu nehmen, bildet den Nährboden für eine emanzipatorische Gesellschaft.
Die meisten Menschen glauben nicht mehr an ein gutes Leben im gegebenen System. Auf dem Blog degrowth.de bezieht sich die Journalistin Christiane Kliemann auf eine Analyse des Wahlerfolgs von Donald Trump durch den Vordenker anderen Wirtschaftens, Charles Eisenstein. Die alte Ordnung befinde sich in Auflösung und das daraus folgende Vakuum sauge vorher undenkbare Ideen aus den Rändern an; das stelle uns zugleich vor gigantische Möglichkeiten und ungeheure Gefahren. Kliemann schreibt dazu, dass „nun jegliche Utopie oder leider auch Dystopie, die sich überhaupt nur denken lässt, in den Bereich des Möglichen (rückt). Daher liegt es an uns allen, die wir heute auf dieser Erde leben, zu entscheiden, welche der möglichen Utopien wir in die Welt bringen und zu unserer konkreten Realität machen wollen.“
Eine vom Wirtschaftswachstum befreite Gesellschaft entsteht im Dialog. Sie gründet auf Vertrauen. Sie ist frei von Tauschlogik. Sie wird lebendig, wo Menschen anfangen, nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen beizutragen. Begegnungsräume dafür entstehen vielerorts, ob in urbanen Denkfabriken oder auf ländlichen Halbinseln. Die notwendigen Erfahrungen und das Wissen sammeln Aktive in den sozialen Bewegungen seit vielen Jahren. Wo die Utopie heute Wurzeln schlägt, müssen ihre Hüter*innen die Widersprüchlichkeit des dominanten Systems, in das sie geboren wurden, aushalten, reflektieren und einen kreativen Umgang damit finden. Nichts Geringeres ist die historische Aufgabe, vor der wir stehen.
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