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Debatte RechtsextremismusBürokratisch korrekte Blindheit

Kommentar von Benno Plassmann

Formal ist alles korrekt gelaufen, und nun hat ein ostdeutsches Dorf einen Nazi als Feuerwehrhauptmann. Das muss man nicht hinnehmen.

Korrekt frisierte Jungs: bürokratisch nicht zu beanstanden. Bild: dpa

D ie rechtspopulistische Partei von Ronald Schill, „Rechtsstaatliche Offensive“, ist schon seit 2007 Geschichte, aber von Schill geförderte Beamt_*innen beeinflussen noch heute die Hamburger Polizei. Womit wir beim Thema wären. Der Rechtsstaat ist ja vor allem eine Idee. Gemacht und repräsentiert wird er von Personen, die gemäß dieser Idee handeln: Beamt_*innen und Verwaltungsangestellte.

Die abgehoben anmutende Frage nach dem Rechtsstaat erhält durch derzeitige Vorgänge in Vorpommern eine bedrückende Aktualität. Der Gemeinderat des Dorfes Postlow bei Anklam folgt der geschlossenen Meinung der Feuerwehrleute im Dorf und wählt bürokratisch korrekt einen Nazi-Musiker einstimmig zum Feuerwehrhauptmann: Ein Nazi wird Wahl-Ehrenbeamter. Dem Bürgermeister des Dorfes, der auch Vorsteher aller Gemeinden von Anklam-Land ist, Norbert Mielke, ist das „vollkommen egal“. Nebenher bedroht er noch einen Journalisten, der das alles nicht korrekt findet: „Mich hätte das nicht gewundert, wenn ihr Auto hier abgebrannt wär.“

In Pasewalk wird ein NPD-Mitglied zwar durch den Gemeindewahlausschuss abgelehnt als Kandidat für die Wahl zum Bürgermeister (Wahlbeamter und Repräsentant des Staates) am 23. März; doch der Kreiswahlausschuss gibt der Berufung des NPD-Mannes am 13. Februar statt, da er beteuert, „jederzeit zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der BRD“ zu stehen. Bürokratisch korrekt kommt die NPD bei den Bürokraten durch, sogar gemäß dem sogenannten Radikalenerlass von MV-Innenminister Caffier (CDU) vom Oktober 2007.

Gibt es ein Problem? Ja, viele Bürger_*innen haben ein Problem mit solchen Beamt_*innen, auch in Vorpommern. Es wird immer deutlicher, dass wir es hier mit einem Versagen auf mehreren Ebenen zu tun haben. Bei einer Diskussionsveranstaltung des Demokratie-Bündnisses Vorpommern mit dem Schweriner Staatssekretär für Inneres am 6. März wurde dies deutlich. Neues Denken ist nötig.

Benno Plassmann

Freier Theatermacher, sozialer Plastiker, freischaffender Kulturpolitiker sowie Mitbegründer und Erster Sprecher des Demokratie-Bündnisses Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!

Die Quellen des Rechtsstaates

Aber vielleicht muss man auch nur ein paar Sachen ernst nehmen. Der Kern der Idee des Rechtsstaats ist, dass alle staatlichen Handlungen an Recht und Gesetz gebunden sind (Art. 20, 3 GG).

Gesetze kommen und gehen, vielleicht auch Caffiers Erlass oder gar das Wahlrecht mit seinen starren Formalien. Doch das Recht ist etwas Grundlegenderes. Das Recht sind das sogenannte Naturrecht, Völkerrecht und – Errungenschaft nach dem in Deutschland produzierten Zivilisationsbruch von Nazi-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg – die Menschenrechte. In ihrer Form vom 10. 12.1948 sind sie in Deutschland direkt geltendes Völkerrecht „und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“ (Art. 25 GG).

Was passiert, wenn sie diese Rechte und Pflichten nicht wahrnehmen? Wenn stattdessen der Rechtsstaat auf bürokratisch korrekte Abläufe reduziert wird? Dann ergibt sich eine skandalöse und beängstigende Normalisierung und Verharmlosung von Nazis in unserer Gesellschaft.

Gäbe es auf allen gesellschaftlichen und staatlichen Ebenen Menschen mit einer wachen Wahrnehmung der Lage der Menschenrechte, dann wäre all das nicht passiert. Bedrohungen der Menschenrechte werden von Menschen erfahren; Institutionen eines Rechtsstaats sind dazu da, sie davor zu schützen. Dafür müssten die Personen in den Institutionen Betroffene auch wahrnehmen: in Medien, Verwaltung und demokratischen Parteien, Religionsgemeinschaften, Sport, in der demokratischen Zivilgesellschaft, unter den Mandatsträgern.

Es gibt ja ein Wissen über die menschenrechtsfeindliche Agitation des Postlower Feuerwehrführers in seiner Band, Wiege des Schicksals; über das bedrohliche Normalisieren von Nazis durch den Amtsvorsteher von Anklam-Land; und darüber, was der NPD-Bürgermeisterkandidat in Pasewalk bei der sogenannten Asyl-Tour der NPD in Pasewalk am 30. August 2013 Hetzerisches verzapft hat. So wie es in der türkischen Community ja auch schon Jahre vor dem letzten NSU-Mord klar geäußerte Hinweise auf die Täterschaft rassistischer Nazis gegeben hat.

Treuepflicht statt Ignoranz

Doch die Mitglieder des Kreiswahlausschusses haben dieses Wissen nicht wahrgenommen. Oder sind die Mitglieder des Ausschusses, in erster Linie übrigens Verwaltungsbeamt_*innen, gar bewusst einer eigenen Agenda gefolgt? Und Amtsvorsteher Mielke will weiterhin nichts von alledem wissen. Er wurde wegen lügnerischer, verharmlosender und bedrohender Rede am 6. März in Pasewalk des Saales verwiesen.

Was ist zu tun? Man könnte der Verfassung Mecklenburg-Vorpommerns folgen: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, […] rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig“ (Art. 18a, Abs. 2). Man könnte sich auch an das Bundesverfassungsgericht halten: „Die Treuepflicht [des Beamten] verlangt mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren“ (2 BvR 337/08, 6. 5. 2008).

Wird das Innenministerium dem Widerspruch gegen die Ernennung des Feuerwehrführers von Postlow stattgeben? Schließlich dürfe „sich der Rechtsstaat nicht vorführen lassen“, so Staatssekretär Lenz Anfang März in Pasewalk. Welche rechtsaufsichtlichen Mittel werden gegen Bürgermeister und Amtsvorsteher Mielke eingesetzt? Schließlich, so der Staatssekretär, „müssen wir verhindern, dass Nazis in staatliche Funktionen kommen, wie es im 3. Reich der Fall gewesen ist“.

Das Interesse an einem deutschen Rechtsstaat wird auch in Vorpommern verteidigt, von einer kleinen demokratischen Zivilgesellschaft, zusammen mit einigen demokratischen Beamt_*innen. Ob sich die Mitglieder des Bundestages der Region dafür interessieren? Eine heißt übrigens Angela Merkel.

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20 Kommentare

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  • Du meinst das tatsächlich ernst mit deinem _*innen??

  • Neuestes aus dem Anklamer Land:

    Die Verwaltung des Amtes Anklam-Land hat es glücklicherweise nicht auf sich sitzen lassen, dass ein Nazi zum Wahl-Ehrenbeamten gemacht werden sollte. Der Widerspruch von Seiten der Verwaltung wird bei der Gemeinderatssitzung am 15. April behandelt. Wenn Bügermeister und Gemeindevertreter den Nazi bestätigen, dann bleibt der Gang zum Verwaltungsgericht.

     

    Der Autor, B. Plassmann

  • B
    Bernd

    Wer sich beim Antifaschismus auf den Staat und Gesetze verlässt hat schon verloren. Die Sache selber in die Hand nehmen, nur so lässt sich Faschismus aufhalten!

  • Ja wie nun? Bezüglich der Ukraine lese ich gerade immer, man müsse die Nazis einbinden. Wohlgemerkt, dort in die Regierung und nicht in der freiwilligen Feuerwehr.

    Wenn in der Ukraine Nazis hohe Regierungsposten besetzen und mit ihren paramilitärischen Banden gewaltsam auf der Straße für „Ruhe und Ordnung“ sorgen ist das gut.

    Wenn in Deutschland ein des naziseins Verdächtiger in die freiwillige Feuerwehr eintritt, dann ist das ein Skandal?

     

    Das Problem wäre doch ganz einfach zu lösen, wenn sich genügend Freiwillige mit einer de*** Autor_*in_*rat genehmen Gesinnung bei der Feuerwehr melden.

    • @H. P. Petersen:

      Ein gutes Beispiel für doppelte Standards.

      Es gibt "gute Nazis" in der Ukraine, die man im Westen als "friedliche Demonstranten" bezeichnet und sie finaziell und politisch unterstützt, und "böse Nazis" in Deutschland, die man nicht mal in der Feuerwehr haben will.

  • Ich glaube auch, dass es uebertrieben ist. Meines Erachtens waere der Spuk in 5 Minuten vorbei, wenn man sich nicht so bekaempfen wuerde. Eine "Bewegung" gegen die andere, alsob es um Bewegungen ginge. Sie sind naemlich persoenlich ueberwiegend nett und wollen nur ihren Spass haben. Wenn sie dann einmal Scheiss bauen, kann man ihnen noch immer kommen. Dann sind es aber schon weniger. Ich halte ja die Strassenversperrer eher fuer die Sorte Leute, die 33 sofort ihren Arm hochgehalten haetten. War auch eine Bewegung, weshalb man bei diesem Wort immer hellhoerig werden sollte. Die Nazis sind immerhin noch gegen etwas, was schon viel ist, ihre Gegner dagegen genau das, was man um 68 herum verachtet haette, staatbejahende Konsumfreaks mit Musik aus Jamaica im Ohr, was ja wirklich mutig ist und masslos auslaenderfreundlich. Oder sie essen oder verteilen afghanisches Essen, wie revolutionaer. Ist sowas nicht nur ganz selbstverstaendlich? Kann sowas ein Thema sein? Die Nazis haengen derweil friedlich beim Tuerken in der Doenerbude ab und trinken ihr billiges Bier. Wenn man mit ihnen redet, bekommt man sie leichter zu packen. Man muss es nur einmal versuchen und nicht selbstverliebt nur die eigene Szene sehen. Es kann ganz ueberraschend sein. Man muss nur souveraen bleiben, um ein Wort zu benutzen, dass die SPD, man glaubt es kaum, in die NSA-Debatte eingebracht und damit der AfD eine Steilvorlage gegeben hat. Wie kann man nur!

    • C
      cosmopol
      @fritz:

      Ich bin ja auch gegen etwas... zB faschismusrelativierende, apologetische Texte wie deinen. Bei soviel Ressentiment und Dummheit kräuseln sich mir echt die Nasenhaare.

       

      Genau, Nazis hängen friedlich beim "Türken" ab und es würde ihnen nie, niemals einfallen den zu erschießen, und die eigentlichen Nazis sind die Linken die was gegen sie machen ("Straßenversperrer). Ich hab den leisen Verdacht, dass der Fritz sich auch mal auf der falschen Seite so einer Straßenversperrung befand. Falls er da hingeht, steht er sich hoffentlich noch oft die Beine in den Bauch.

      • @cosmopol:

        Naja, es ist vielleicht etwas ungeschickt ausgedrückt, aber der Ansatz "Wandlung durch Annäherung" bzw. "Wandel durch miteinander Reden" scheint mir nicht der Schlechteste zu sein.

    • H
      Halle (Saale)
      @fritz:

      Hier hat jemand KEINE AHNUNG von Neonazi-Strukturen, antifaschistischem Engagement dagegen und tut so, als wäre das alles nur Selbstbeweihräucherung. Und die Diskreditierung von Blockierern ist ja fast schon ehrenrührig. Mit Verlaub, Sie sind ein... (Zitat Joseph Fischer).

  • DJ
    Der Jude

    Ca. 68% aller Polizisten, Richter, Staatsanwälte, Lehrer/Innen, Finanzbeamte, Beamte, Verwaltungsangestellte und Rentner sind braun bzw. ausländerfeindlich eingestellt!

    Nur, keiner der etablierten Parteien hat die Courage, diese Fakten wissenschaftlich aufzudecken zu lassen! Warum wohl nicht?

     

    PS:"Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr des Faschisten in der Maske des Faschisten, sondern vor dessen Rückkehr in der Maske des Demokraten."

    • C
      cosmopol
      @Der Jude:

      Ach, woher kommen deine Fakten denn? Fantasie?

  • P
    Peter

    So so, da wurde also in einem mecklenburgischen Kaff ein NPD-Mitglied zum ehrenamtlichen Feuerwehrhauptmann ernannt. So weit, so schlecht. Zitat: "Schließlich, so der Staatssekretär, „müssen wir verhindern, dass Nazis in staatliche Funktionen kommen, wie es im 3. Reich der Fall gewesen ist“." Sehr gut!

    Nun wäre es schön, wenn mal energisch die Tatsache thematisiert und nicht wie bis jetzt verharmlost wird, daß seit kurzem knallharte Rechtsextreme wichtige staatliche Funktionen in der Ukraine besetzen, mit denen sich westliche Politiker, auch deutsche, gerne photographieren lassen.

    • JW
      Josef Wissarionowitsch Putin
      @Peter:

      Die Rechtsextremen in der Ukraine besetzen keine Posten, sondern lassen die Krim besetzen.

      Denn etwas anderes als Faschismus kann Putin wohl kaum unterstellt werden.

  • D
    Daniel

    Woran erkennt man einen von juristischer Lehre unbelasteten Journalisten?

    Er zitiert willkürlich die ersten Google-Treffer zum Thema FDGO und und unterlässt schlüssige Subsumtionen.

  • G
    Geist

    Im Alltag haben die Menschen hadfeste Probleme mit den Leuten von der SPD und der CDU. Eine Debatte über die paar Hanseln der NPD, meist V-Leute, ist lächerlich.

  • PH
    Peter Haller

    Es ist ja sehr ehrenwert, wenn sich noch ein paar Leute über Nazibrut aufregen (auch wenn der Volkskörper anscheinend da ein "Demokratieproblem" sieht), aber ich glaube, dass speziell dort oben in der Anklamer Gegend Hopfen und Malz eh schon verloren sind. Das ist da schon alles so gut wie national befreite Zone. Einfach einen grossen Bogen drumherum machen.

    • @Peter Haller:

      Sie sind alle so drauf, in Suedbrandenburg auch, und da bekommt es eine andere Qualitaet. Man muss Vernetzungen beobachten, aber wenn man cool bleibt, kann man sie persoenlich ueberzeugen. Man mudss nur ehrlich mit ihnen sein und keine lediglich selbstbefriedigenden Dumpfparolen verbreiten, sonst machen sie es auch.

  • Ich weiß, das klingt jetzt furchtbar reaktionär, aber Unterstrich-Asterisk innerhalb eines Wortes, muss das sein? Da führt sich doch die gute Absicht selbst ad absurdum.

  • NS
    Na sowas

    Mit gendergerechter Schreibweise mag der Autor sich bestens auskennen, scheint aber ein nicht unerhebliches Demokratieproblem zu haben.

    Besonders pikant: ein Radikalenerlass, diesmal von der anderen Seite.

    Geschichte wiederholt sich. Mit entgegengesetzten Vorzeichen.

  • http://www.wfmu.org/flashplayer.php?version=2&show=54566&archive=94731

     

    doch muss man. ihr ja auch. und ich erstmal.

    waidmanns heil.

     

    euer quoten nazi aus dem osten.