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Debatte Psychostress am ArbeitsplatzAckern auch mit Depression

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Gewerkschaften und Oppositionsparteien fordern Anti-Stress-Verordnungen. Doch die Präventionsschancen sind in unserer Gesellschaft sehr ungleich verteilt.

Vor der Klasse ist Präsenz angesagt: Rückzugsmöglichkeiten gibt es dort für LehrerInnen nicht. Bild: dpa

D ie Deutsche Gesellschaft für Personalführung hat sich in einem Leitfaden seelischer Krisen angenommen. Wie erkennt eine Führungskraft, dass ein Mitarbeiter abdriftet? „Demonstrativer sozialer Rückzug“, „vorschnelles verbales Angreifen von Kollegen“, „extreme Veränderungen im Kleidungsstil“ sind neben schlechteren Leistungen und anderen Anzeichen Symptome, dass jemand aus dem Arbeitsprozess herausrutschen könnte.

Die Sorge um teure Ausfälle von Beschäftigten wegen psychischer Erkrankungen hat auch die Personalabteilungen erreicht.

Gewerkschaften und Oppositionsparteien nehmen sich gleichfalls des Themas an und fordern Anti-Stress-Verordnungen für Betriebe. Kämen solche Verordnungen, hätten Betriebsräte ein größeres Mitspracherecht bei Arbeitsplatzgestaltung, Aufgabenmenge und Arbeitszeiten. Das wäre zu begrüßen.

Denn es ist dringend nötig, sich über Prävention mehr Gedanken zu machen. Psychisch Erkrankte fehlen dreimal so lange wie körperlich Malade, nämlich im Schnitt 39 Tage. Und Frühverrentungen wegen Arbeitsunfähigkeit sind teuer. Erwerbstätige möglichst in der Arbeitswelt zu halten, ist eine gesellschaftliche Aufgabe geworden, die nichts mit Ausbeutung zu tun hat, sondern mit Teilhabe.

„Diagnosenverschiebung“

Bild: Jutta Henglein-Bildau
Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz und beschäftigt sich viel mit Trends. Gegen die Altersangst schrieb sie das Buch „Älter werden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik).

Die steigende Zahl von Psychodiagnosen ist dabei nicht unbedingt ein Beweis, dass die Belastungen im Job tatsächlich zugenommen haben. Die Frühverrentungen aufgrund von Psychodiagnosen nehmen zwar zu, jene aufgrund von körperlichen Diagnosen gehen jedoch zurück.

Psychiater sprechen daher von einer „Diagnosenverschiebung“ vom Körperlichen ins Seelische. Das Leiden, das Nichtfunktionieren in der Arbeitswelt wird heute eher etwa über die Diagnose einer Depression oder Angsterkrankung abgebildet und weniger über den Befund von Rückenbeschwerden oder Magengeschwüren.

Wir können aber vom jahrzehntelangen Umgang mit körperlichen Belastungen und Beschwerden im Arbeitsschutz lernen, wenn es um die Bewältigung seelischer Probleme geht. Bei den körperlichen Belastungen gibt es eine Doppelstrategie: Einmal muss der Verschleiß verringert werden. Zum Zweiten aber sollten die Beschäftigten eine Tätigkeit finden, die zur Belastbarkeit passt.

Übertragen auf den seelischen Stress bedeutet dies: Überforderungen auf manchen Arbeitsplätzen gilt es zu reduzieren – gleichzeitig aber müssen die Jobs auch zu den persönlichen Dispositionen der Beschäftigten passen. Nicht nur die Arbeitsplätze weisen psychische „Gefährdungen“ auf, auch die Individuen selbst haben unterschiedliche Labilitäten.

Kein Ausweichen möglich

Der Berliner Psychiater Michael Linden weist darauf hin, dass 14 Prozent der Bevölkerung Angst davor haben, vor einer Gruppe zu sprechen. 13 Prozent fürchten sich, einen vollen Raum zu betreten. 10 Prozent geraten unter Stress, wenn sie mit Autoritäten reden müssen.

Diese Dispositionen können eine Rolle spielen, wenn in einem Job Kundenpräsentationen nötig sind, der Arbeitsplatz in einem Großraumbüro liegt und dann noch zu viel Druck durch schlechte Führung dazu kommt.

Rückzug nicht immer möglich

Die Aufgabe besteht darin, sich trotz und mit den Labilitäten in der Erwerbswelt zu halten. Im Lehrer-Job zum Beispiel kann man sich nicht mal eben innerlich zurückziehen, wenn man vor einer Klasse steht. Es gibt LehrerInnen, die keine Klassenfahrten mehr begleiten – und zwar nicht aus Bequemlichkeit: Nicht selten haben die Pädagogen eine depressive Phase hinter sich. LehrerInnen können ihre Belastungen ansonsten nur über eine Verringerung der Stundenzahl vermindern.

Oft bezahlen die Fachkräfte ihre Stressentlastung selbst. Befragungen in Pflegeheimen zeigen, dass die dort arbeitenden Frauen unter chronischem seelischen Stress leiden, weil sich die Turbo-Abfertigung nicht mit ihrem Menschenbild in Einklang bringen lässt.

Da der Krankenstand unter dem Pflegepersonal hoch ist, machen die Arbeitgeber vielerorts nur noch 30-Stunden-Verträge mit entsprechend geringerem Ausfallrisiko. Die Beschäftigten zahlen dafür mit niedrigerem Monatslohn und später dann geringerer Rente.

Besserung nur mit Betriebsrat

Gewerkschaften, SPD, Grüne und Linke wollen Anti-Stress-Verordnungen, die vor allem präventiv wirken. Käme dies, hätten Betriebsräte mehr Mitsprache, um Arbeitsplätze mit zu hoher Aufgabenmenge und anderen Überforderungen gezielt anzuprangern und zu verbessern. Solche Verordnungen würde allerdings vor allem in Firmen greifen, die ohnehin schon gut aufgestellt sind und über starke Betriebsräte verfügen.

Die IG Metall verweist als „Best practice“-Beispiele für Stressprävention etwa auf die Aufzugfirma Otis in Mannheim und den Sensorproduzenten Sick in Waldkirch.

In diesen Betrieben wurde im Rahmen von stressreduzierenden Maßnahmen in bestimmten Abteilungen das Personal aufgestockt. So was ist teuer. Die Beschäftigten in unterfinanzierten Dienstleistungsbranchen können von solch einer Entlastung nur träumen.

Fair verteilt sind die Präventionschancen also nicht. Fair ist auch nicht der Ausschluss von Hunderttausenden, die nicht mehr mithalten können: Sachbearbeiter in den Jobcentern berichten, dass sich unter der Hartz-IV-Klientel immer mehr psychisch Labile befinden.

Angepasste Beschäftigung

Eine neue Anti-Stress-Verordnung im Arbeitsschutzgesetz, die auch mehr Gewicht auf die Wiedereingliederung von psychisch Labilen legt, ist zu begrüßen. Die Jobcenter müssten zudem mehr Beschäftigungsmaßnahmen für seelisch Erkrankte anbieten.

Und nicht zuletzt müssen die Löhne in superstressigen Dienstleistungsbranchen wie der Pflege steigen, damit eine Arbeitszeitreduzierung möglich ist.

Man weiß heute ziemlich viel über seelische Überlastungen. Ob man dieses Wissen anwendet, um Leute in Beschäftigung zu halten, oder ob man die Probleme über individuelle Krankengeschichten entsorgt, ist eine politische Frage. Das Leid kommt jedenfalls nicht von der Arbeit, wenn der Job passt.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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4 Kommentare

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  • T
    thofou76

    Anti-Stress-Verordnungen --- schön und gut! Ist aber doch wohl nur Symptombekämpfung. Ich wage die steile These, dass zu den tieferen Ursachen mangelndes Wir-Gefühl in den Betrieben zählt. Das Gefühl nur Befehlsempfänger zu sein. Kaum eigenen Gestaltungsspielraum zu haben. Den Rücken krumm zu machen, damit "denen da oben" die Taschen gefüllt werden.

     

    D'rum: Belegschaftsbeteiligung in den Betrieben!

  • S
    Systemiker

    Jeder Personalfachmann wird grundsätzlich davor warnen, das psychische Befinden eines Mitarbeiters gering zu schätzen. Ein gut arbeitendes Unternehmen kann nur entsprechende Gewinne erzielen, wenn jeder Mitarbeiter über seinen Tellerrand hinaus schaut und mitdenkt. So etwas ist aber nur möglich, wenn es eine Wertschätzung der Mitarbeiter gibt. Diese Binsenweisheit ist in jedem Handbuch zur Personalführung nachzulesen. Warum wird nicht danach gehandelt?

     

    Die neoliberale Wirklichkeit kennt nur einen Gewinner. Alle Mitbewerber müssen aus dem Weg geräumt werden. Es mag vielleicht in der Mathematik eine doppelte oder n-fache Nullstelle geben, je nach Art des Polynoms, aber in der Betriebswirtschaft gibt es nur einen Punkt, der das absolute Maximum, bzw. Minimum repräsentiert. Will man also in diesem Verdrängungswettbewerb mitmischen, so geht das nur durch systematische Verwertung der Substanz. Die Substanz besteht aber auch aus Menschen, die in dem Unternehmen mitarbeiten. Sie werden konsequent verwertet und bei Nutzlosigkeit entsorgt. Ein Betrieb, der langsam den Bach heruntergeht, wird stets eine hohe Mitarbeiterfluktuation aufweisen. Das Wissen um die eigene Ersetzbarkeit und der ständige Druck erzeugen naturgemäß psychische Krankheiten, die sich sehr verschieden äußern. Vielen dieser Krankheitsbilder liegt eine Depresion zugrunde, obwohl der Kollege X morgens erst einen Schnaps braucht, damit sein Kreislauf in Wallung kommt und das Händezittern aufhört. Eine völlig ökonomisierte Gesellschaft setzt auf den Verbrauch sämtlicher Rohstoffe, inclusive Menschenmaterial. Hier gilt das Sauckelsche Prinzip von: Vernichtung durch Arbeit. (Fritz Sauckel, Gauleiter von Thüringen, hingerichtet 1946)

     

    Diese ganzen Forderungen an eine humane Arbeitswelt sind nette Appelle, aber wirkungslos. Sie wären sonst verboten. Der Neoliberale hat nur ein Ziel: sich selbst auf Kosten der Anderen zu retten. Sich selbst hinüberzuretten in eine vermeintlich sichere Burg, wo er den Rest seines Lebens autark leben kann. Sehr schön ist das am Beispiel der FDP zu sehen. Diese Parteigänger sind diejenigen Spezies, welche im Falle eines Schiffsbruch sich als Frau verkleidet in die Rettungsboote mogeln um anschließend mit den Rudern sich anklammernden Schiffbrüchigen auf die Hände zu schlagen, oder mit ins Boot wollende zurück ins Wasser zu stoßen.

     

    Die Depression als Volkskrankheit kann nur behandelt werden, wenn die Therapie lautet: "Macht kaputt, was euch kaputt macht!"

  • MM
    mensch meier

    Verordnungen sind sinnlos.

     

    Stress wird durch die immer weiter zunehmende Arbeitsverdichtung produziert.

    Wer wirklich etwas dagegen tun will, sollte für anständige Personalausstattung und die Durchsetzung von Arbeitsschutzvorschriften (Zeiten!) sorgen.

     

    Das erfordert natürlich auch Stellen im öffentlichen Dienst - ein Graus für jeden Politiker...

  • WA
    waltraud aouida

    Ackern mit Depression kann ich mir nicht vorstellen, da es sich doch um keine leichte Unpässlichkeit handelt, sondern um eine schwere (auch chronische) Krankheit.

    Die Frage ist doch: Wie viele Chef's an einer Firma hat dafür ein Auge und "Herz". Denn für ausgefallene Arbeitnehmer gibt es immer Nachfolger. Kein Chef wird sich für den Krankheitsverlauf seines depressiven Mitarbeiters interessieren,(Ausnahmen bestätigen die Regel!)Da muß seitens der Gewerkschaft noch sehr viel passieren, dass hier die betroffenen Arbeitnehmer mehr Rückhhalt haben und seitens der Wirtschaft muß es in der Personalebene mehr Aufklärung und Schulungen für Arbeitgeber geben, damit ein Umdenken stattfindet.