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Debatte Presse- und KunstfreiheitWas darf die Satire?

Kommentar von Kurt Tucholsky

Jeder kennt die Antwort auf diese Frage. Doch nicht alles, was für sich reklamiert, Satire zu sein, ist auch eine. Was macht Satire aus?

Klar hat er das. Protest gegen ein Bundeswehr-Gelöbnis im Jahr 1999. Bild: dpa

W enn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.

Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.

Der Text

Der Text erschien zuerst unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel im Berliner Tageblatt vom 27. Januar 1919. Nachgedruckt u.a. in: Kurt Tucholsky: Panter, Tiger & Co. Eine neue Auswahl aus seinen Schriften und Gedichten. Herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1954ff

Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: „Seht!“ – In Deutschland nennt man dergleichen ‚Kraßheit‘. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.

Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige ‚Simplicissimus‘ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.

Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.

Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (‚Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‘), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.

So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

Alles.

***

Der Satiriker, Feuilletonist und Schriftstseller Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 in Berlin geboren. In der Weimarer Republik wurde er als Autor der von Siegfried Jacobsohn und später von Carl von Ossietzky herausgegebenen Wochenzeitschrift Weltbühne berühmt. Mehrfach wurde gegen ihn prozessiert, u.a. wegen „Gotteslästerung“. Von den Nazis verfolgt, verließ er Deutschland. Am 21. Dezember 1935 starb er an den Folgen einer Überdosis an Tabletten. Ob es ein Suizid war, konnte nie geklärt werden.

Heute wäre Kurt Tucholsky 125 Jahre alt geworden. Happy Birthday!

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23 Kommentare

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  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Krieg: Wer die Butter hat wird frech." (Kurt Tucholsky)

     

    Hat sich die Dummheit / der Faschismus jemals gewandelt, ausser in das nun "gesunde" Konkurrenzdenken des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei"???

     

    Tucholsky / Satire ist wie Perlen vor die Säue!?

  • Darf Satire alles?

    Darf ein Satiriker sich jetzt über die Opfer lustig machen?

    Darf er sie verhöhnen?

  • Satire darf alles. Aber: Es gibt schon einen Unterschied zwischen sehr guter Satire und eher Blödelei. Je niveauloser Satire ist, desto schwieriger wird das. Aber trotzdem: Wir haben das Recht auf freie Meinungsäuérung und das steht jedem zu. Journalisten/Satiriker haben es ganz besonders.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      Wenn Satire alles darf, kann es kein "aber" geben. Alles ist alles.

      • @970 (Profil gelöscht):

        "Alles ist alles" ist ein unlogischer Satz, weil a mit a begründet wird, sprich es fehlt das Argument.

        • 9G
          970 (Profil gelöscht)
          @Andreas_2020:

          Sie haben schon bemerkt, dass dieser Satz einem zweiten nachgestellt war? Die formale Logik finden Sie darin, die verkürzte Formulierung in zweiterem Satz.

           

          "Moral das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er?"

  • Dürfen darf Satire alles - vielleicht. Dürfen darf man auch von einer Klippe springen, die Frage ist nur, ob es einem gut tut.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Dudel Karl:

      Und aus eben diesem Grund hat Tucholsky nicht "Was muss die Satire?" gefragt, sondern "Was darf die Satire?". Es geht nicht um die Möglichkeiten der Satire, sondern um die Grenzen.

  • Zeitloser Text. Bitte in alle Sprachen übersetzten.

    Wenn schon mal was Vernünftiges aus Deutschland kommt...

  • Danke! Großartige Idee, diesen hochaktuellen Text mal wieder zu bringen.

     

    Und: Unendlich wichtig ist auch Tucholskys Hinweis darauf, dass Satire zwar alles darf, aber eben nicht alles Satire ist, was sich dafür hält.

    • @HP Remmler:

      Nur weil Kurt Tucholsky eine Person der Geschichte ist müssen seine Aussagen nicht richtig sein. Satire ist immer einzweiend, aufstachelnd. Das sollte jedem Pazifisten zuwider sein.

       

      Satirisch gesehen, könnte man sagen, Tucholsky verteidigt die Satire, weil er gerne Satiriker war und gerne austeilte. Noch satirischer könnte man fragen: "Ja, was hat er denn erreicht mit seiner Satire, der Herr Tucholsky?"

    • @HP Remmler:

      Lustiger Schluß: Aus "Wir entscheiden was Satire darf" wird "Satire darf alles und wir entscheiden was Satire ist".

       

      Klingt besser, ist aber identisch in der Bedeutung. Was anderen nicht gefällt ist Satire und muss akzeptiert werden, was uns nicht gefällt ist Hetze und gehört verboten und verfolgt

      • @Questor:

        Eben, und da merkt man, dass der Text dann leider doch etwas Patima angesetzt hat.

        Tucholsky konnte ja damals nicht ahnen, dass es mal für den ein oder anderen ein Tabu werden sollte, ihn als jemand, der gegen die Nazis kämpfte, zu kritisieren.

        Daher sagen eben alle, die nicht möchten, dass Satire etwas darf, dass dieses oder jenes eben nichts mehr mit Satire zu tun hätte. Und kommen auf den gleichen Effekt.

  • Tucholsky hat den Text in einer bestimmten historischen Situation geschrieben und hat das berühmte letzte Wort vielleicht als Zuspitzung gemeint. Ich bin nicht sicher, ob er wirklich "alles" gesagt hätte, wäre er mit "allem" auch konfrontiert worden. Oder er hätte dann an der Definition von "Satire" herumbasteln müssen.

     

    Daniel Neuburg erwähnt schon das richtige Thema. Wie steht's denn nun mit Dieudonné? Seine Texte stehen in Frankreich nicht unter Strafe, aber seine Auftritte werden verboten mit dem Hinweis auf die öffentliche Sicherheit. Darf er denn nun alles?

     

    Mich wiederholend aus einem anderen Kommentar hier: Ist Mohammeds Kopf auf dem Körper eines Schweins Satire? Ich meine, nein. Es ist eine billige Beleidigung von Moslems mit der Absicht der maximalen Provokation, die nichts Erhellendes zu irgendeiner Frage beiträgt. Soll man das Satire nennen und soll Satire auch in diesem Sinne alles dürfen? Ist der öffentliche Friede überhaupt kein schützenswertes Gut?

     

    Ich meine, er ist schützenswert.

     

    Von denjenigen, die hinsichtlich der Meinungsfreiheit bzw. der Freiheit der Kunst jetzt einen seltsamen Maximalismus vertreten, werden viele bei der nächsten Gelegenheit, in denen Ihre Reizthemen betroffen sind, wieder ganz andere Ansichten vertreten.

     

    Siehe auch Dieudonné.

  • Aus der Titanic vom August 2003: Briefe an die Leser

     

    "Wenn, Verteidigungsminister Struck,

    "Tucholsky heute leben würde", dann wüßte er bestens über die deutsche Geschichte seit seinem Todesjahr 1935 Bescheid. Er wüßte Bescheid über den Zweiten Weltkrieg und über Auschwitz, über die Niederlage des Dritten Reiches und die Teilung Deutschlands, über die Wiederbewaffnung bzw. die Schaffung der Bundeswehr, er wüßte Bescheid über den Kalten Krieg, über die Wiedervereinigung und das Fortbestehen deutscher Interessen in Osteuropa. Er wüßte also genau, daß deutsche Großmachtsträume niemals ausgeträumt sein werden, und deshalb würde er auch kaum "die Auslandseinsätze der Bundeswehr für richtig halten", wie Sie anläßlich des öffentlichen Gelöbnisses der Bundeswehr auf dem Hamburger Rathausmarkt am 16.6. d.J. angesichts eines Transparentes mit dem Text "Tucholsky hat recht" bemerken zu müssen glaubten. Vielmehr, Struck, würde Tucholsky beim Anblick von 2500 knüppelbewehrten Polizisten, dreihundert Feldjägern, 600 Ehrengästen, 567 gelöbniswilligen Mörderlehrlingen und lediglich 1800 Gegendemonstranten sich wohl eher endgültig und unwiderruflich das Leben nehmen.

    Das jedenfalls befürchtet: Titanic"

     

    -> http://www.titanic-magazin.de/heft/klassik/2003/august/leserbrief2/

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Tucholsky kannte noch nicht den Satiriker Dieudonné. "Was darf die Satire? Alles." würde Tucholsky heute bei Dieudonné sicherlich nicht unterschreiben.

    • @2097 (Profil gelöscht):

      ach ne?!

      • 2G
        2097 (Profil gelöscht)
        @christine rölke-sommer:

        ach doch!

        • @2097 (Profil gelöscht):

          Tucholsky abgewandelt in 'wer darf satire nicht'?

  • Ja, sehr gut, Herr Tucholsky! :-)

     

    Ich hatte erst recht spät bemerkt, daß dieser Text ja DAMALS geschrieben wurde, dermaßen aktuell ist er.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Die Aktualität der Texte erschreckt mich immer wieder auf's Neue.