Debatte Politische Situation in Italien: Ein Block aus Lega und Fünf Sterne
In Rom sitzen seit kurzem Lega und 5-Sterne-Bewegung in einer gemeinsamen Regierung. Die beiden Parteien verbindet mehr, als viele dachten.
B etrachtet man die geografische Verteilung der Stimmen, dann scheint aus den Wahlen vom 4. März 2018 ein geteiltes Italien hervorgegangen zu sein: Ein reiches Land im Norden, mit modernen, effizienten Industrien und einem Bruttoinlandsprodukt, das dem der wohlhabenden Staaten im Norden Europas in nichts nachsteht. Dieses Italien wählte am 4. März Lega und, zu einem kleineren Teil, Forza Italia, die Partei Silvio Berlusconis.
Und dann scheint es ein zweites Italien zu geben, den Süden der Halbinsel, der in weiten Teilen nicht vom Staat, sondern von der organisierten Kriminalität kontrolliert wird, in dem die wirtschaftliche und die soziale Situation Grund zu großer Sorge gibt – Parameter, die sich in den zurückliegenden Jahren der „Großen Rezession“ noch mal zum Negativen entwickelt haben. In diesem, dem tatsächlich leidenden Teil Italiens, haben die Wählerinnen und Wähler ein unmissverständliches Signal des Wandels ausgesendet: Hier verzeichnete die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ihre besten Resultate.
Dieses Votum richtete sich gegen das Versagen der Institutionen vor Ort und jenes der Eliten in Rom, es war ein Protest gegen die erbärmliche Infrastruktur und den inexistenten Sozialstaat, gegen die Verschwendung von öffentlichen Geldern, gegen die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, die sich in Prekarität und Unsicherheit als Dauerzustand einzurichten haben.
32,7 Prozent der italienischen Wählerinnen und Wähler gaben aus diesen Gründen der vor zehn Jahren von dem Schauspieler und Comedian Beppe Grillo und dem Internet-Unternehmer Gianroberto Casaleggio gegründeten 5-Sterne-Bewegung ihre Stimme. In den fünf Jahren seit der letzten Parlamentswahl hat M5S um mehr als sieben Prozentpunkte zugelegt.
Wie groß ist der Unterschied wirklich?
Erst jetzt, nach dem grandiosen Erfolg bei den Wahlen, wird es für die Bewegung schwierig. Bisher ging es allein darum, den Status quo zu kritisieren und – in den Worten von Ex-Premier Matteo Renzi von der Demokratischen Partei – zu „verschrotten“. Nun soll die konstruktive Phase beginnen. Für diese steht der aktuelle Minister für Arbeit und Soziales, Luigi Di Maio. Sein Bündnis mit Lega-Chef Matteo Salvini, der dann Innenminister wurde, kam durchaus überraschend.
Die Lega, die lange Jahre in der Regierungsverantwortung an der Seite von Silvio Berlusconi stand – und somit das Neue eigentlich nicht repräsentieren kann –, hat sich neu erfunden. Sie hat sich von einer separatistisch-regionalen zu einer nationalistischen Partei gewandelt, die sich nun an alle Italiener wendet – wobei sie selbst definiert, wer zum „Volk“ gehört und wer davon ausgeschlossen wird.
Warum aber hat nun die Koalition von M5S und Lega die Mehrheit der politischen Analysten im In- und Ausland so überrascht? Aus hiesiger Perspektive jedenfalls scheint der Unterschied zwischen beiden Gruppierungen so tief nicht zu sein. Die Wahrnehmung, nach der die Lega die rechte und das M5S die linke Seite des politischen Spektrums besetze, scheint lediglich ein Stereotyp zu reproduzieren. In Wirklichkeit geht es um eine De-facto-Fusion zweier Wählerschaften, die trotz der Gegensätze zwischen Nord und Süd mindestens drei entscheidende Elemente verbinden.
Das Land wird erneut aufgespalten
Sie repräsentieren erstens eine Anti-Establishment-Haltung, die sich in Fundamentalopposition zu den Etablierten von links und rechts sieht, welche Italien bislang regiert haben. Zweitens geben beide Gruppierungen tief in der italienischen Bevölkerung verwurzelten Ressentiments einen institutionellen Anstrich – und nähren diese niederen Instinkte weiter, indem sie einen äußeren „Feind“ markieren und für alle Probleme verantwortlich machen, seien es nun die Migranten, die EU, der französische Präsident oder die deutsche Bundeskanzlerin.
Und schließlich spalten sie das Land erneut auf, in das des Volkes, der Authentizität, im Gegensatz zu den Eliten, den Technokraten und Bürokraten oder gleich den berüchtigten „dunklen Mächten“ – Salvini kritisiert inzwischen George Soros, amerikanischer Geschäftsmann aus einer jüdisch-ungarischen Familie, im Tonfall des ungarischen Premiers Orbán als „skrupellosen Spekulanten“.
Lega und M5S bieten also beide vereinfachende Erklärungen und Lösungen an für die – reale – Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung. So verbinden sich scheinbar unterschiedliche Parteien in der Regierung zu einem Block.
Fatale Fehleinschätzung
Im Norden konzentriert man sich auf ökonomische Themen, insbesondere auf die als zu hoch empfundene Steuerbelastung, und zeigt klare rechte Kante in der Migrationsfrage, die allgemein als konkrete Bedrohung für das bisherige Modell des sozialen Friedens empfunden wird. Im Süden dagegen fokussiert man sich auf das allgemeine Empfinden, dass es so auf keinen Fall weitergehen könne, insbesondere bei der Frage der Massenarbeitslosigkeit, die vor allem unter den Jüngeren ein nicht mehr hinnehmbares Niveau erreicht hat.
In dieser neuen politischen Ära wird das Schicksal der Fünf Sterne davon abhängen, ob sie in ihren Kernpunkten Erfolge erzielen können: Kampf gegen Steuerverschwendung und Steuerhinterziehung; Reform der völlig ineffizienten Justiz, die viele Kriminelle wegen absurder Verjährungsfristen straflos ziehen lässt; Kampf für ein eher soziales Sicherungssystem, das eher Hartz IV ähnelt als einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Bei den Fünf Sternen ist man dabei zu der Überzeugung gekommen, dass man mit einer Politik der ewigen Fundamentalopposition die Ergebnisse nicht mehr würde steigern können. Deswegen die riskante Entscheidung, mit der Lega in die Verantwortung zu gehen.
Bislang hat in der Tat vor allem Letztere vom Zusammenschluss profitiert – aber das muss keineswegs so bleiben. Diese Regierung vorzeitig abzuschreiben, weil sie angeblich nicht zusammenpasse: Das jedenfalls könnte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen