Debatte Ostdeutsche und Migranten: Allianz statt Konkurrenz
Die einen sind Deutsche, die anderen Demokraten auf Probe: Warum sollten sich Migranten und Ostdeutsche nicht zusammenschließen?
S elten hat die Ankündigung einer soziologischen Studie so viel Kontroverse ausgelöst. Die Debatte im Anschluss an Naika Foroutans These von der Migrationserfahrung der Ostdeutschen wirft eine Frage auf: Warum können sich Weiße Ostdeutsche nicht migrantisch identifizieren? Woher kommen die Abwehrimpulse und wer beansprucht die Deutungshoheit über „Migrationserfahrungen“?
Der Zeitpunkt der Debatte ist kein Zufall: die neue rechte Bewegung um die AfD versammelt West- und Ostdeutsche unter schwarz-rot-goldenen und anderen Fahnen. Die AfD ist das erste gesamtdeutsche Erfolgsprojekt, die Vollendung der Einheit: West und Ost gemeinsam in reaktionärer Arschigkeit gegen alles „Nicht-Weiße“. Diese Rechten machen deutlich, was wir brauchen: eine Entkopplung der Vorstellungsräume „Migrantisch“, „Nicht-Deutsch“ und „Nicht-Weiß“.
Foroutans These ist eine notwendige Differenzierung. Sie insistiert, dass Migrationserfahrung nicht mit ethnischer Differenz gleichzusetzen ist. Diesen Denkautomatismus praktiziert nicht nur die AfD, sondern auch die weiße bürgerliche Mitte, um Migrant*innen als Nicht-Weiße zu exotisieren und als „Andere“ dann zu akzeptieren. Was den Rechten die Xenophobie ist, ist der bürgerlichen Mitte ihr Ethnofetischismus.
Der willkommene Effekt ist, dass die Biodeutschen sich tolerant fühlen können. An dieser weißen Exklusivposition der Toleranz- und Werteverwaltung sollten die Ostdeutschen nach der Wende teilhaben, wenn auch etwas anders, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Die einen haben ihr Land verlassen, die anderen wurden von ihrem Land verlassen. Migranten und Ostdeutsche haben viel gemeinsam, sagt die Soziologin und Integrationsforscherin Naika Foroutan. Heimatverlust, Diskriminierungen, Suche nach Identität. Seit ihrem Interview mit der taz am 12. Mai debattiert die Republik ihre Thesen, die Veranstaltungen zum Thema beim taz.lab im April und am 26. Juni im taz-Café waren voll. Es gibt eine Debattenreihe in der Zeitung und auf taz.de. Und wir werden die Diskussion weiterführen.
sind Kulturwissenschaftler*innen und promovierten an der (Ost-)Berliner Humboldt-Universität in Amerikanistik. Gemeinsam mit Werner Türk leiten sie die Theatergruppe PKRK und produzieren seit 2009 Stücke und Performances zu postsozialistischen Themen.
1989 gab es ambivalente Anrufungen von Seiten der BRD: die Zuwanderung von über drei Millionen Migrant*innen aus Ost- und Südosteuropa firmierte unter der Bezeichnung „Spätaussiedlung“. Helmut Kohls Idee war die einer weißen, großdeutschen Identität, das Phantasma einer von historischen Prozessen unberührten ethnischen Volkszugehörigkeit. DDR-Flüchtlinge und Spätaussiedler*innen landeten anfangs in denselben Auffanglagern, ihnen wurde die gleiche Anrufung als „zurückgewonnene Deutsche“ zuteil.
Parallel zur Einstufung der Ostdeutschen als biodeutsch vollzog sich die Übernahme der ehemaligen DDR durch westliche Wirtschaft und Bürokratie, komplettiert durch die Abwertung von ostdeutschem Geld, Arbeit, Gütern und Kultur. Beinahe zeitgleich setzte die Debatte um die multikulturelle Gesellschaft ein. Im Zuge dieser wurden die in der BRD lange missachteten Migrant*innen zum ersten Mal nachhaltig unter Integrationsdruck gesetzt. Migrantische (West)Deutsche zweiter und dritter Generation wurden auf Sprachvermögen, Integrationswillen, Gesetzestreue und Deutschheit geprüft – im Namen des weißen Toleranzprojekts ‚Multikulturalismus‘, dessen Haupteigenschaft auch ein gutmeinender Rassismus war.
Die Krisenszenarien, die sich das Bürgertum dazu ausmalte, waren zweifach: weiße deutsche Toleranz konnte nur an entweder integrationsunwilligen „Ausländern“ scheitern (Huntington prägt 1991 den Begriff vom „Kampf der Kulturen“) oder an den nicht-demokratiefähigen Rassisten aus dem Osten (Rostock). Es entstand eine Integrationskonkurrenz zwischen Ostdeutschen und (West)Migrant*innen, die sich bis heute auswirkt und in den Morden des NSU ihre blutige Spur gezogen hat.
Der doppelte Diskurs – „weiße“ Einheit und tolerante Multikultur – prägte die paradoxe Anrufung der Ostdeutschen in den frühen 90er Jahren: als Volkszugehörige eingemeindet und als toleranzunfähige Rassisten abgestempelt. Ähnliches galt für die Nicht-Biodeutschen: nach Jahrzehnten der Unsichtbarkeit multikulturell umarmt, ethnisch weiter unter Beobachtung. Als Deutsche beziehungsweise Demokraten „auf Probe'“ waren beide im impliziten Wettstreit eingespannt.
Das bundesweite Auftreten von Rechtsextremismus und Gewalt gegen Migrant*innen und dessen Vorgeschichte in Ost und West konnte im bürgerlichen und linken BRD-Bewusstsein als DDR-Problem eingetütet werden, zurückführbar auf die Demokratieunfähigkeit der Ex-Diktaturbewohner*innen. Das war nicht falsch, aber komplexitätsreduzierend: man konnte so, wie Anetta Kahane schreibt, der Analyse des strukturellen Rassismus Gesamtdeutschlands aus dem Weg gehen.
Unser gemeinsames Problem ist der Aufstieg der Rechten
Ethnisch richtig und politisch falsch deutsch: so wurde eine bestimmte Generation von Ostdeutschen adressiert. Für sie könnte Foroutans These einen Ausweg aus den Paradoxien bedeuten und eine mögliche Allianz mit Menschen muslimischen Glaubens, die derzeit ebenfalls unter den Generalverdacht der Demokratieunfähigkeit gestellt werden, hervorbringen.
Die Debatte lohnt sich. Eine Neubeurteilung der letzten 30 Jahre drängt angesichts der Rechtsradikalen im Bundestag und auf den Straßen. Unser gemeinsames Problem ist der transnationale Aufstieg der Rechten. Diesen Kräften ist ein schlagkräftiges Gefühl entgegenzusetzen. Neue Allianzen sind dafür lebenswichtig. Warum nicht ein Bündnis unter dem Begriff „Post/Migration“, wenn es Solidarität schaffen kann?
Naika Foroutans Denkangebot darf nicht vorschnell verworfen werden. Es bietet die emotionale und strategische Chance, Allianzen gegen Rechts zu stiften und zu überdenken, wer wen als „migrantisch“ identifizieren kann. Und es gilt, die unausgesprochene Grundannahme zu verunsichern, in der Migrantisch/Nicht-Weiß/Nicht-Deutsch und Ostdeutsch/Weiß/Rassistisch-Deutsch sich gegenüberstehen. Diese Sicht produziert Extreme, das Phantasma der „guten Weißen westdeutschen Mitte“ bleibt unangekratzt.
In dieser Debatte liegen lange noch nicht alle Ansichten, Einwände, Erfahrungen und Ambivalenzen auf dem Tisch. Was sie braucht, ist eine konsequente Entkopplung von Migration und Ethnie, um die fatale Logik von Deutsch = Weiß = Nicht-Migrantisch zu stürzen.
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