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Debatte NordkoreaEin Anruf von Obama

Martin Fritz
Martin Fritz
Kommentar von Martin Fritz und Martin Fritz

Kim Jong Un ist nicht der Irre von Pjöngjang. Er setzt auf eine Legitimierung seiner Herrschaft durch Verhandlungen mit den USA.

Völlig außer Rand und Band: Staatsdelegierte feiern den 101. Geburtstag von Kim Il-Sung. Bild: reuters

W ieder einmal können viele Medien der Versuchung nicht widerstehen, den Führer von Nordkorea als Irren zu porträtieren. Dabei wird übersehen, dass die Kim-Familie ihr Land schon in der dritten Generation und seit fast 65 Jahren im eisernen Griff hält. So etwas gelingt nur mit viel rationalem Machtwillen.

Auch die jetzige Koreakrise entspringt keiner Laune. Jeder Schritt wirkt wohlkalkuliert und wird sorgfältig mit „feindseligen“ Handlungen der USA und ihrer Verbündeten Südkorea und Japan gerechtfertigt. Die UN-Sanktionen erklärt sich Pjöngjang ebenfalls als Machenschaft der USA, zumal UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Südkoreaner ist.

Trotz Kriegsrhetorik gibt es bisher keine Indizien für Angriffsvorbereitungen. Eigene Manöver finden fernab der feindlichen Truppen statt. Die 1,2 Millionen Soldaten bleiben in den Kasernen.

Martin Fritz

ist taz-Korrespondent in Japan und berichtet auch regelmäßig aus Korea. Früher war er Korrespondent in Indien. Im Herder Verlag erschien von ihm „Schauplatz Nordkorea. Das Pulverfass im Fernen Osten“.

Diese Diskrepanz spricht dafür, dass es Kim Jong Un um eine Demonstration der Stärke nach außen und innen geht. Im Umkehrschluss heißt dies: Der neue Führer sitzt immer noch nicht fest im Sattel. Aus seiner Sicht wollen die USA mit ihrer Aufrüstungs- und Sanktionspolitik einen Regimewechsel erzwingen. Zugleich muss er befürchten, dass ihm die Nomenklatura und das Generalskorps wegen seiner Unerfahrenheit nicht folgen. Und trotz Dauerfeuer der Propaganda muss er auch das einfache Volk von seiner Legitimität als Machthaber überzeugen. Auf alle drei Herausforderungen hat Kim eine Antwort gefunden – die Atombombe.

Die Atombombe als Antwort

Nach außen garantiert der Besitz von Atomwaffen und Trägerraketen die Souveränität von Nordkorea. Ein Nuklearstaat habe noch nie eine militärische Aggression erlitten, sagte Kim Ende März vor dem Zentralkomitee der Arbeiterpartei. Anders formuliert: Nur aus Angst vor einem nuklearen Gegenschlag schicken die USA Kim Jong Un keinen Marschflugkörper in seinen Amtssitz. Kim verwies in seiner Rede indirekt auf das Schicksal von Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi, die mangels Atomwaffen ihre Macht verloren. Daher brauche Nordkorea „mehr Trägerwaffen“ mit „kleineren und präziseren“ Atomwaffen.

Nach innen dient die Konzentration auf Atomwaffen als Ersatz für konventionelle Rüstung. Das soll Mittel für den Wirtschaftsumbau freisetzen. Dafür hat die Arbeiterpartei sogar die Parole „Fortschritt im Tandem“ (Byungjin) ausgegeben. Geplant sind mehr Freiheiten für Staatsbetriebe, eine Steigerung der Agrarproduktion und eine leistungsabhängige Bezahlung. Als neuer Regierungschef wurde Park Pong Ju zurückgeholt, der schon vor zehn Jahren ähnliche Veränderungen probiert hatte.

Macht abgeben will der Führer aber nicht. Privateigentum wie in China soll es nicht geben. Stattdessen will er – wie schon sein Vater – die Wirtschaft mit „Wissenschaft und Technologie“ modernisieren. Zugleich sichert sich Kim mit der Forcierung der Atombewaffnung die Loyalität der Generäle, die an wirtschaftlichem Einfluss verlieren sollen.

Papiertiger Kim

Doch diese Strategie hat Kim und seine Hintermänner – vor allem seinen Onkel Jang Song Taek und den faktischen Armeechef Choe Ryong Hae – in eine Sackgasse geführt. Nicht nur die USA, auch China und Russland wollen Nordkorea nicht als Atommacht anerkennen, vor allem aus Sorge vor einem nuklearen Wettrüsten in der Region.

Auch Südkorea spielt nicht mit. Seoul will neuerdings jede Provokation militärisch beantworten, ohne die politischen Folgen zu beachten. Damit wächst die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation, die Kim als Papiertiger entlarven würde. Einen Krieg kann er nicht gewinnen, die Mittel für einen Atomschlag hat er auch nicht.

Zwei Szenarien sind nun denkbar: Die USA erhöhen ihren Druck auf Pjöngjang, um einen Kollaps des Regimes zu erzwingen. Die extreme Kriegsrhetorik des jungen Kim liefert dem US-Militär den perfekten Vorwand, um den Störenfried in Ostasien endlich zu beseitigen und die US-Polizistenrolle in Ostasien zu festigen. Die Angriffspläne liegen im Pentagon schon lange in der Schublade. War es Absicht oder Ignoranz, dass die USA kürzlich zwei Atombomber sichtbar über Korea fliegen ließen? Mit dieser Taktik hatte schon General Douglas MacArthur im Koreakrieg die Zivilbevölkerung terrorisiert, die nach Hiroshima und Nagasaki einen weiteren Atomschlag fürchten musste.

Frieden als Destabilisierung

Kalkulierbarer wäre es, einen Gesprächskanal mit Pjöngjang zu suchen, etwa über Peking. Wie sein Vater und Großvater wünscht sich Kim Jong Un direkte Gespräche mit den USA. Auch China verlangt hinter den Kulissen bilaterale Verhandlungen. Eine Sicherheitsgarantie der USA wäre ein Anfang. Beide Seiten könnten über die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen verhandeln.

Das war schon das mittelfristige Ziel von Staatsgründer Kim Il Sung, als er 1993/94 das erste Atomgeschäft mit den USA aushandelte. Kim Jong Il rollte im Jahr 2000 den roten Teppich für US-Außenministerin Madeleine Albright aus. Im Februar vertraute Kim Jong Un dem US-Basketball-Star Dennis Rodman an, er wünsche sich nichts mehr als einen Anruf von Barack Obama.

Der heutige Führer und seine Hintermänner werden daher wohl so lange an der Eskalationsspirale drehen, bis sich die Krise wie vor zwei Jahrzehnten so zuspitzt, dass direkte Gespräche notwendig werden, um einen Krieg abzuwenden. Das Drehbuch liefert die Krise von 1993/94. Käme ein ähnlich hochrangiger US-Vermittler wie 1994, als Jimmy Carter nach Pjöngjang flog, stünde der 30-jährige Kim Jong Un so staatsmännisch und souverän da wie sein Großvater. Als Herrscher wäre er im Inneren gestärkt und legitimiert. Bisher wollen ihm die USA einen solchen Triumph nicht gönnen.

Verglichen mit den menschlichen und ökonomischen Kosten eines zweiten Koreakrieges wäre dies aber das kleinere Übel. Ohne Feindbild könnte die Propaganda Armut und Mangel nicht mehr so leicht als Folge von Blockade und Sanktionen durch die USA erklären, und es gäbe weniger patriotische Solidarität mit der politischen Führung. Wer das Regime von Kim Jong Un ohne Krieg destabilisieren will, sollte Frieden mit Nordkorea schließen.

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Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
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8 Kommentare

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  • J
    Jörn

    Der Artikel beschreibt sehr gut die Akteure. Die USA hätten gerne einen Blankoscheck für eine Invasion. Wenn Nordkorea genügend mit eskaliert, wird China sich da nicht mehr dagegen stellen können.

    Angst vor einem Guerilliakrieg und dem langfristigen Einsatz von Bodentruppen brauchen die USA nicht zu haben - das würde Südkorea übernehmen.

    Kim Jongs Macht mag von einer positiven Machtdemonstration abhängen. Nordkorea wird eine Invasion langfristig leider nicht mit der Wahrung von Menschenrechten abwehren können. Vielmehr kann Nordkorea nur mit dem Bund mit China oder mit dem Bau einsatzfähiger Atombomben seine Unabhängigkeit bewahren.

    Der von den USA eingeschlagene Weg nutzt die Dynamik der Akteure um eine Legitimation für eine Invasion zu erhalten. Besser wäre es die Dynamik in eine Richtung zu lenken, die für Kim Jong die Wahrung der Menschenrechte und den schrittweisen Übergang in eine Demokratie als erfolgversprechensten Weg erscheinen liesse. Dies wollen jedoch weder China noch die USA.

  • TF
    Tobi F.

    Viele Teile des Textes sind direkt vom Tagesschauartikel übernommen oder liege ich da falsch?

  • AS
    arnd schuster

    Sicher ist Kim kein Irrer. Jedoch gehören seit Jahrzehnten er, sein Vater und Großvater, und seine mächtigen Generäle zum unmenschlichen Regime, unter dem Millionen hungern, verhungern, gefoltert und ermordet werden. Auf diesem Hintergrund liest sich dieser taz-Bericht wie ein Entschuldigungsschreiben.

  • DR
    Dr. rer. nat. Harald Wenk

    der vietnamkrieg-revancjhismus der usa und südkoreas springt einem fast die augen kaputt.

    die sind so antikommunistisch. gut dafür, dass die mathematiker potenzen des unendlichen bis ins unendliche behandeln können...

     

    wie leicht sich doch mit worten so eine atomschlagdrohung "vom tisch wischen" lässt.

     

    "ich pfeife auf amerika" sagte luddendorff (Weltkrieg 1) und riss die usa aus iher dokrtingedeckten nichteinmischung mit einem "schiffe versenken" vore grossbritannien. es war dann das deutsche "regierungsschiff"...

     

    die bedingungsloysse kapitulation. sonst kennt die usa-südkorea diplomatie nichts.

     

    auch wenn allles bnoch heisser gegessen wird, als es gebombt wird, sehe ich noch spiel.

  • KS
    Kritische Stimme

    Die USA ernten den Lohn ihrer Agression.

    Wie eine Demuetigung fuer die US mit so einem kleinen Land beschaeftigt+blokkiert zu sein.

    USA bedrohen viele Laender i/d Welt mit Atomflotten+teilweise mit Sanktionen (Russland,China,Iran,NordKorea, usw.).Seit der Regierung von Lee Myung-bak in 2008 ist das Zusammenwachsen der beiden KoreaTeile gestoppt weil das nicht im Interesse von USA ist und unterliegt NordKorea der Agression vom SuedKorea unterstuetzt von Japan+USA.Fuer China ist es eine angenehme Situation gebraucht zu werden und bei allen Konferenzen sagt China wiederholt das die USA+Verbuendete ihre Agression stoppen sollen,nicht nur NordKorea gegenueber sondern auch China gegenueber (Atomflotten,Beschuldigung von Waehrungsmanipulation,usw.).Leider spielt Europa eine sehr negative Rolle,wird von USA benutzt und darf Rechnungen bezahlen von Kriegen,Sanktionen,usw.Eine der Hauptgruende vom Niedergang v/d EU.

  • T
    Teermaschine

    Irre ist er sicher nicht, aber wohin hat die Welt die jahrzehntelange Appeasement-Politik geführt? - Sie hat ein bizarres Terror-Regime am Leben gehalten, dessen Bedrohungspotential mit jeder Generation wuchs. Und eines scheint fest zu stehen: In die nächste innenpolitische Krise wird Nordkorea, ganz der erfolgreichen Strategie folgend, mit mehr Sprengköpfen und größerer Reichweite der Trägersysteme ziehen.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Ach, Herr Fritz, die USA wollen also Kim III.beseitigen? Spielen eine "Polizistenrolle" und suchen einen Vorwand?

     

    Und zwei B2-Spirit sind dann auch zuviel? Nach dem Angriff auf die Insel, die versenkte Korvette, die feuchten Atomkriegsträume?

  • D
    DieHungrigeKuh

    Ich bin größtenteils ihrer Meinung, was das Aufzeigen der Optionen (für Nordkorea) betrifft. Allerdings wage ich doch sehr daran zu zweifeln, ob sich die USA in nächster Zeit noch einmal trauen, in einem fremden Land einzumarschieren.

    Hiermit spreche ich selbstverständlich von Handlungen, die nicht unmittelbar provoziert werden. Sollte die Situation auf der koreanischen Halbinsel in Gewalt ausarten (oder Nordkorea die USA angreifen, was auch immer man sich so vorstellen mag...), wird dies selbstredend hinfällig.

    Jedoch haben sich die USA m.M.n. blamiert und ebenfalls finanziell verkalkuliert, was ihre imperialistischen Bestrebungen der letzten 10 Jahre angeht.

    Und so einfach wie in Syrien kann man in Nordkorea auch nicht auf extremistische Gruppen zurückgreifen und diese durch Waffen- und Ausrüstungslieferungen soweit konditionieren, dass sie einem die Arbeit abnehmen - bis man dann feststellt, dass die Unterstützten doch nicht die Guten sind (ach was, Al-Quaida, hä?).

    Insofern ergibt sich für mich, vorausgesetzt Kim "Baby Face" Jong Un fährt den "Karren nicht gegen die Wand", nur eine Handlungsoption:

    Die USA müssen durch Gespräche auf Nordkorea zugehen, was, wie sie bereits analysiert haben, logischerweise einer Machtlegitimation Un's gleichkäme. Für die USA wäre dies selbstverständlich eine weitere Stufe abwärts auf der Weltmachtstreppe.

    Insofern bin ich also insbesondere auf die Rolle Chinas, sowie die Geduld der USA gespannt. Denn einzig die Zeit spielt derzeit noch für die USA.