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Debatte MedienkritikLust am Dogma

Kommentar von Markus Völker

Journalisten als eifernde Frontkämpfer? Warum es zu einer Vertrauenskrise zwischen dem Schreiber und dem Leser gekommen ist.

Der Schreiber dürfte sich erst über eine Sache auslassen, wenn er sie gründlich verstanden hat Foto: reuters

J ournalisten sind Geschichtenerzähler. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Geschichten oft in der Wolle gefärbte Selbsterfahrungsberichte sind. Der Journalist bedient sich aus den Regalen der Wirklichkeit, er greift aber auch in die Grabbelkiste seiner konstruierten Wirklichkeit. Er ist Surfer zwischen Objektivität und Subjektivität.

Es ist ein erkenntnistheoretischer Balanceakt, der oft schiefgeht, zumal der Journalist heute ein Getriebener ist. Er inszeniert sich nicht nur auf der Bühne seiner Arbeit, sondern auch in den sozialen Medien, wo er zum Rollenspieler in seiner Peergroup wird.

Die Gruppe hat klare Ansichten, ein Innen und Außen. Sie weiß meist, was richtig und falsch, wer böse und gut, wer links und rechts ist. Die Vergemeinschaftung des Journalisten im Digitalen hat zu einer neuen Lust am Dogma geführt, das heißt, es werden gern Lehrmeinungen gehandelt, die als unumstößlich gelten.

Der im Netz verkumpelte Journalist läuft Gefahr, weniger abzuwägen. Er verzichtet schon mal auf Differenzierung und schlägt sich allzu schnell auf eine Seite. Meist ist es die Seite, auf der Gleichgesinnte die Demarkationslinie zu ihrer Wahrheit verteidigen wie eine Front, die unbedingt zu halten ist.

Wir gegen die

Der Journalist als Frontkämpfer einer bestimmten Wahrheit? Der Spiegel hatte sich immer schon recht martialisch als das „Sturmgeschütz der Demokratie“ inszeniert. Das sollte aber bedeuten: Wer da oben Scheiße baut, den nehmen wir uns vor.

Die heutigen Frontkämpfer des Journalismus verschießen ihre Munition dagegen gern gegen „die Anderen“. Es kommt nicht selten zu Scharmützeln zwischen Journalisten-Peergroups und solchen, die sich als Journalisten selbst ermächtigen in Blogs, alternativen Medien, auf Twitter und Facebook.

Wir gegen die, das ist der Slogan, der die eigentliche journalistische Arbeit oft überlagert. Dabei schwingt die Entrüstung darüber mit, dass die klassischen Medien nicht mehr so dominant auftreten, sondern sich in einem wirtschaftlich prekären Umfeld behaupten müssen. Der Hegemon hüstelt, ist angekränkelt von einer Krise, die sich zu verschärfen droht und als Menetekel den Untergang der gedruckten Zeitung an die Wand malt. Es geht also auch ums Überleben. Und umgekehrt um die Eroberung neuer publizistischer Räume.

Der Zweck scheint bei der Selbstbehauptung der Alten und der Selbstermächtigung der Neuen oftmals die Mittel zu heiligen: Es wird in sozialen Medien mit Unterstellungen, Anfeindungen und auch Lügen gearbeitet. Im Zentrum des Scharmützels der Wahrheitskämpfer steht: die Deutungshoheit. Kurzum: Wer macht den anderen am besten klein? Das Privileg, dabei auch mal rücksichtslos vorzugehen, haben nicht nur Hass-Twitterer.

Verbündet im Netz

Im Zeitalter des Digitalen – und somit der digitalen Rüpelei – muss mehr denn je über das Selbstverständnis des Journalisten gesprochen werden. Ist er tatsächlich noch vierte Gewalt und damit Träger einer besonderen Verantwortung? Oder ist das nicht alles irgendwie obsolet? Darf er auch Aktivist, Pädagoge und ein Schreiber sein, dessen Agenda den Leser zwischen den Zeilen quasi anspringt? Und wie ist der Leser zu behandeln? Als jemand, dem man zeigt, wie es in den Hinterzimmern der Politik bisweilen zugeht – oder dem man erklärt, wie er die Welt zu sehen hat? Wo beginnt die Bevormundung, wo endet die Aufklärung? Hat der Journalist Gesinnungs- oder Verantwortungsethiker zu sein? Oder vielleicht beides?

Nicht der Leser wird zum Adressaten, sondern mit dem Schreiber verkumpelte Journalisten

In den vergangenen Jahren ist es zu einer Drift gekommen. Der unabhängige Journalist – und damit ist jener Typus gemeint, der sich nicht unter den schützenden Baldachin einer Gruppe flüchtet und dort an der zum Teil aggressiven Vermarktung der Gruppendogmen beteiligt – ist scheinbar in der Minderzahl. Wer sich nicht verbündet im Netz, der geht unter, wird nun oft geraunt. Aber heißt das nicht auch, dass der unabhängige Journalismus untergeht?

Journalismus, wie er im klassischen Sinne gelehrt wurde, besagt, dass der Schreiber sich erst über eine Sache auslassen darf, wenn er sie gründlich verstanden und wenn er sie von allen Seiten beleuchtet hat. Wenn er trotz des tiefen Eindringens in eine Themenwelt Beobachter geblieben ist. Wenn er sich bei der Recherche vom Einzelnen zum Allgemeinen vorantastet und erst dann mit relativ sicherem Wissen Aussagen über größere Zusammenhänge trifft.

Der Journalist muss ein sorgfältiger und genauer Arbeiter sein, ein Differenzierer und Abwäger, auch weil sein Beruf kein geschützter ist und seine Arbeit von zwei Instanzen beglaubigt werden muss: dem Arbeitgeber und – viel wichtiger – dem Leser. Der erstarkende Peergroup-Journalismus aber läuft dieser Methodik der Sorgfalt zuwider, denn seine Mitglieder wissen oft schon vorher, was sie eigentlich erst hinterher hätten wissen können.

Aufkeimende Skepsis

Dieser Journalismus ist nicht selten belehrend, rechthaberisch und selbstgefällig. Sein Maßstab ist die Zustimmung der Peergroup. Nicht der Leser wird zum Adressaten, sondern andere, mit dem Schreiber verkumpelte Journalisten. Um nicht ausgeschlossen zu werden von der Peergroup, grüßt man lieber den Gesslerhut.

Der Leser ist freilich nicht so doof, wie sich das manch ein Journalist vorstellen mag. Er gibt nicht mehr regelmäßig sein Plazet zu dem, was ihm vorgesetzt wird. Er beglaubigt vieles nicht mehr. Der Leser ist skeptisch geworden, weil er über ein gutes Sensorium im Erspüren eines selbstbezüglichen Journalismus verfügt, einer Presse, die ihre Grundsätze bisweilen fahrlässig außer Acht lässt – wie auch eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung über die nahezu gleichgeschaltete Berichterstattung in der Flüchtlingskrise gezeigt hat. Wenn nicht mehr gesagt wird, was ist, sondern vielmehr, was sein sollte, dann haben die Medien ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Fakt ist: Es gibt eine Vertrauenskrise zwischen dem Leser und dem Journalisten. Nein, es sind nicht die „Lügenpresse“-Krakeeler, die sinnbildlich für diese Enttäuschung stehen, es sind eher bürgerliche Kreise, es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich nach einem Journalismus sehnen, der im besten Sinne unabhängig ist. Der offen ist, vielgestaltig, überraschend, diskursfreudig – und auch demütig.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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9 Kommentare

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  • es ist so einfach guten Journalismus zu machen! Wir haben noch nie in einer spannenderen Zeit gelebt. Wenn man allerdings die Geldinteressen berücksichtigt, sich kaufen lässt (wie will man es heute noch vermeiden?) wird das auf einmal schwierig mit dem ehrlichen Journalismus. Alle geldwirtschaftlichen Institutionen sind in privater Hand, alle Kriege werden für den Petrodollar, Ressourcen und Einflusssphären angezettelt. Man könnte also endlos lange informativen spannenden Journalismus betreiben, würde aber sehr schnell keine Kohle mehr bekommen und dann gibt es auch noch die unabhängigen Journalisten, die zeigen, das es ehrlichen Journalismus gibt.

  • Das ist nun einmal so im Krieg: Der Zweck heiligt die Mittel und der Rücksichtsloseste gewinnt.

     

    Wo die Alten überzeugt sind, ihre Selbstbehauptung sein nur im Kampf gegen eine sich selbst ermächtigende Jugend zu haben, und die Jugend umgekehrt das selbe glaubt – man hat es schließlich so gelernt von seinen Ahnen –, da geht es immer gleich um Sein oder Nichtsein. Da ist Kommunikation keine Alternative zur Waffengewalt, sondern nur eine andere Form („Sturmgewehr“).

     

    Wer hasst, der schreibt halt keine Liebeslieder. Der will keine gemeinsame Zukunft, sondern eine einsame, die allerdings mehr Sicherheit verspricht.

     

    Vielleicht sollten sich Journalisten ja zur Abwechslung mal etwas weniger als vierte GEWALT begreifen und dafür etwas mehr als vierte Säule der Demokratie.

     

    Früher war immer mal vom gemeinsamen Haus die Rede, kann ich mich entsinnen. Ein Haus, in dem die Wände gewaltsam aufeinandertreffen, ist für seine Bewohner nicht sonderlich gemütlich, schätze ich. Davon, dass es statisch nicht leicht zu berechnen ist, will ich noch gar nicht anfangen.

     

    Gesinnung ohne Verantwortung ist nicht ethisch. Verantwortung ohne Gesinnung auch nicht. Wer Verantwortung übernehmen will, der sollte sich zunächst selbst kontrollieren könne, bevor er andere kontrolliert. Die Grenze zwischen Aufklärung und Bevormundung verläuft da, wo jemand von anderen mehr fordert als von sich selbst.

     

    Es wird geraunt im Netz? Vom Untergang und von Verbündeten? So what? Geraunt wurde schon viel. Die Leute raunen immer. Da muss man nichts drauf geben. Es sei denn, man will die Rauner wichtiger machen, als sie sein müssen. Zum Beispiel, weil man sich von seiner „Peergruppe“ nicht emanzipieren mag. (Ach ja, die gute alte Zeit!)

     

    Werdet erwachsen, liebe Journalisten! Dann könnt ihr auch erwachsene Texte schreiben. Texte, die man auch und gerade dann ernst nehmen kann, wenn sie nicht das bestätigen, was man auch ohne euch zu wissen glaubt. Vielleicht, dass dann die Umsätze auch wieder wachsen.

  • Na Servus.

     

    Vorweg - Von fakebooktwitterasiwelt - No idea - Not my cup of tea. &

    Interessier mich für fast jeden Scheiß.

     

    Anyway. Mit MoDo=Spiegel/Zeit-Tag -

    In die Puschen. Was aber schon 40 Jährchen her - eh's dann auch die alte Tante FR vom Schlitten riß.

     

    So denn. Mal a weng Beobachtung.

    Sprache. "Na - SZ - durch?"

    "Ach les ich doch je nur an!" &

    Dann befand die Journalisten-Lehrerin - (Schwyz - K - D - HH - ;)

    - "…Genau! - die wollen nur noch diese Versatzstücksprache - pc-kompatibel - hohl&grauenhaft!"

    kurz - Wie frauman spricht/schreibt -

    Denkt frauman auch. Sorry - So isset.

     

    Ok. Kenne.

    Der Tennisarm wg "Lexirausrein" Gehört der vordigiVergangenheit an - Umberto Eco hat recht.

    Gilt aber auch für Leser! & - Däh!

    Recherche?¿! Genau. Von demm ahl Hessebub Deniz Yüçel zu recht mal angemahnt. Leider Leider.

    Faustformel - Journalisten schreiben über Dinge - Von denen ein nicht unbeträchtlicher Teil der Leser (weit) mehr versteht als sie selbst.

    Galt grds. schon immer.

    Fiel aber wg Leserbrief-Kartell nicht so auf - gell!

    (Gilt mit Verlaub - mein engerer Bereich mühelos hochgerechnet - xfach. Allein schon in den Kommentarspalten locker - wenns den Skribenten auch schräg runtergeht - Sehr&mühelos belegbar).

     

    Ok. Wertungen/Einschätzungen etc -

    Mal ganz hoch gegriffen "Orpheus geht zum Machtpol" - Banale Fälle? Gern. Aktuell - Seibert&Kleber -

    Noch etwas weniger prosaisch - "Diekmannisierung der taz" by

    Klaus Theweleit - "Döpfnerisierung der taz" - als derzeitige Anschlußstufe!

    kurz - Die GruppenKlientel-Schreibe - Voll fürn Arsch! Dem wird aber - jedenfalls im e-Bereich locker der Proppen gezogen.

    &

    wg zunehmender Mängeln bei Sprache&Kenne - Wächst das Gefährdungspotential accelerando.

    Na Mahlzeit.

     

    Fazit - Soll Journalismus nicht weiter zu Journaille verludern - Ist vulgo das Redaktions-home-office Gut beraten -

    Sich seiner Arroganz zu entkleiden &

    Sich endlich&verschärft diesem Wandel zu stellen

    Dank im Voraus.

    • @Lowandorder:

      !

    • @Lowandorder:

      Kurz - Erkenntnis&Interesse hängen Noch auf ganz andere &

      Sehr sachlich&dienlich engere

      Weise zusammen - Als bei - Jau! -

      Jürgen Habermas zugespitzt.

      So geht das.

  • Ein guter Anfang wäre, sich der Sprache eines Wissenschaftlers zu nähern, der versucht für die Allgemeinheit verständlich zu schreiben. Abwägendes »dies wurde herausgefunden, auf jenes deuten die Ergebnisse hin. Allerdings gibt es da auch solches zu beachten, was auf einen anderen Schluss hindeuten könnte…«

     

    Journalisten müssen verstehen lernen, dass ihre Leser vermutlich klüger sind und besser Bescheid wissen, als sie selbst. Die Demut könnte in der Haltung begründet werden nach bestem Wissen und Gewissen ein Schulreferat an die Lehrerin abzugeben.

     

    In einer Informationswelt, in der Schnelligkeit Vorrang hat und viele auf eine große Datenbasis zugreifen können, wird Informationsqualität zum Alleinstellungsmerkmal.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Beinemann:

      Absolut richtig. Eine 1,3 von einem Studenten der geisteswissenschaftlers zu lesen ist heute teilweise angehmer zu lesen als so mancher journalistischer Artikel

  • Danke, Herr Völker! Ihr Wort in der Kollegen Ohr.

  • Das Problem des Journalisten in einer sich rasend schnell verändernden Zeit ist die Tatsache, dass er ja wörtlich Tagesberichterstatter ist und ohne ein Verständnis der vor seinen Augen stattfindenden Geschichte dazu verdammt ist, mehr oder weniger blind den Dingen hinterher zu laufen. Oder noch schlimmer: Seinen halbgaren persönlichen Blick als Ersatz für Geschichtsverständnis zu verwenden, was ihn natürlich kollidieren lässt mit dem persönlichen halbgaren Blick seiner Leser.

     

    Es ist die falsche Zeit für Journalismus, der sich für mehr hält als dokumentierende vorsichtige Berichterstattung. Die natürlich auch keiner will -- was alle wollen, ist Journalismus, der perfekt ihre Vorurteile bestätigt und zwar um so mehr, je unproduktiver und pathologischer sie sind.