Debatte Lampedusa-Unglück: Schlimmer als vor der Katastrophe
Vor fünf Jahren ertranken 368 Menschen im Mittelmeer. Danach wurde die italienische Rettungspolitik humaner – geblieben ist davon leider wenig.
N ur wenige hundert Meter waren sie von der rettenden Küste Lampedusas entfernt, doch es half ihnen nicht: 368 Menschen – die meisten von ihnen Eritreer – ertranken im Morgengrauen des 3. Oktober 2013, als ihr von Libyen aus in See gestochenes Schiff kenterte. Die Katastrophe wurde zum Fanal für Italien, ja für Europa. Sie richtete den Blick auf das tagtägliche Flüchtlingsdrama, das sich im Mittelmeer abspielte und weiterhin abspielt. Endlich, so dachte man damals.
Medienteams aus aller Welt trafen seinerzeit auf Lampedusa ein. Voller Betroffenheit berichteten sie, ließen die Angehörigen der Toten, die Retter und die Helfer zu Wort kommen. Mit einem Mal verwandelten sich Zahlen in Schicksale. Durch die TV-Schaltungen und Artikel waren Flüchtlinge und Migranten mit einem Schlag nicht mehr anonym.
Es war eine Wende in der Wahrnehmung, die auch eine Änderung in der Politik einleitete. Nur wenige Tage später, am 11. Oktober 2013, ging zwischen Malta und Sizilien ein weiteres Schiff unter. Mehr als 250 syrische Flüchtlinge bezahlten mit dem Leben, dass Malta und Italien sich gegenseitig stundenlang die Verantwortung für den Rettungseinsatz zugeschoben hatten.
Doch danach wachte wenigstens Italiens Politik auf. Der damalige Ministerpräsident Enrico Letta ordnete – im Namen der Humanität – die Mission „Mare Nostrum“ an. Seitdem waren die Schiffe der Küstenwache, der Marine und der Finanzpolizei mit dem Auftrag unterwegs, Menschenleben zu retten und weitere Katastrophen zu verhindern. Die Abschottung Europas stand nicht mehr im Mittelpunkt.
Nur eine Episode
Und die EU zog nach, wenn auch halbherzig. Mit der Mission EuNavforMed übernahm sie ein Jahr später offiziell zwar vor allem den Kampf gegen Schleuser, faktisch aber retteten europäische Marineschiffe tausende Menschen vor der Küste Libyens, gemeinsam mit italienischen Einheiten sowie zahlreichen NGO-Schiffen. Und alle konnten bei ihren Einsätzen auf die Koordinierung der italienischen Küstenwache zählen.
Doch was als Umkehr in der Flüchtlingspolitik erschien, sollte sich als bloße Episode entpuppen. „Nie wieder eine Tragödie wie die von Lampedusa“, tönte noch Matteo Renzi, nachdem er im Februar 2014 die Regierungsgeschäfte in Rom übernommen hatte. Doch es war dann Renzi selbst, der den Kurswechsel zurück zur Politik der Abschottung vollzog. Renzi schloss mit Libyens Regierung sowie diversen Warlords gegen Millionen-Zahlungen Verträge, damit die Flüchtlinge nicht mehr in See stechen oder aber von der libyschen Küstenwache abgefangen werden.
Italiens neue Regierung aus Fünf Sternen und Lega hat diesen Kurs weiter radikalisiert – auch wenn sie ihn nicht erfunden hat. Italiens Häfen sind mittlerweile für Schiffe mit Migranten an Bord geschlossen, die NGOs wurden aus dem Feld gedrängt, die Küstenwache weigert sich, überhaupt noch Rettungseinsätze zu koordinieren. Das ist nicht bloß ein Zurück zu den Zeiten vor der Tragödie von Lampedusa, es ist weit mehr: Innenminister Matteo Salvini meint es ernst mit seinem Totalstopp für Flüchtlinge und Migranten, er will die „australische Lösung“.
Und die EU? Die mag sich aufregen über die Haushaltspläne der italienischen Regierung, doch gegenüber ihrer Politik der Totalabschottung lässt sie Einwände nicht laut werden. Man toleriert, dass das Todesrisiko im Mittelmeer dramatisch gestiegen ist, und dass von der libyschen Küstenwache aufgegriffene Flüchtlinge in Lager zurückgebracht werden, in denen Folter auf der Tagesordnung steht. Das ist die Realität – fünf Jahre nach Lampedusa.
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