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Debatte KlimaschutzMit Negawatt in die Zukunft

Bernward Janzing
Kommentar von Bernward Janzing

Wenn die Energiewende nicht scheitern soll, braucht es neue Ideen – eine Abschaltprämie für die Industrie bei Windflaute gehört dazu. Ökonomisch ist das vernünftig.

N euerdings ist in deutschen Medien von einer Blackout-Prämie die Rede. Wie bitte? Eine Prämie für den Blackout? Natürlich nicht! Korrekt müsste das Wort Anti-Blackout-Prämie heißen. Und darum geht es: Unternehmen werden in Zukunft Geld dafür bekommen, wenn sie in Situationen knappen Stromangebots – etwa bei Windflaute – ihre Produktion zeitweise drosseln oder gar stoppen. Auf diese Weise lässt sich das Netz trotz schwankender Ökostromerzeugung sicher ausregeln.

Im ersten Moment klingt das Ansinnen bizarr. Schließlich hat man sich über Jahrzehnte hinweg daran gewöhnt, dass Strom stur gemäß Nachfrage erzeugt wird. Und so überrascht es auch nicht, dass Kritiker von Energiewende und Atomausstieg ein solches Instrument als Indiz einer maroden Energiewirtschaft, mithin als politisches Versagen deuten. Und sie polemisieren: Ist unser Land schon so weit heruntergekommen, dass Firmen ihre Produktion wegen Strommangels reduzieren müssen?

Es ist die pure Rabulistik. Denn die Steuerung der Industrieproduktion nach Gesichtspunkten des Netzes ist mitnichten ein Zeichen politischen Missmanagements. Der Ansatz ist vielmehr ökonomisch vernünftig. Denn die Frage, die sich bei der Regelung eines Stromnetzes zu jedem Zeitpunkt aufs Neue stellt, ist doch diese: Ist es billiger, ein Kraftwerk bereitzuhalten, um den aktuell benötigten Strom zu erzeugen? Oder ist es billiger, einen Verbraucher dafür zu entschädigen, dass er bei knappem Stromangebot vorübergehend keinen oder weniger Strom bezieht?

Eingebettet werden können solche Modelle in sogenannte Kapazitätsmärkte. Dieses Modell, das in Politik, Wissenschaft und Energiewirtschaft gerade intensiv diskutiert wird, muss man erklären: Kohlekraftwerke, die über Jahrzehnte hinweg mit Laufzeiten von 6.000 bis 7.000 Stunden pro Jahr kalkuliert wurden, dürften in einigen Jahren kaum mehr als 4.000 bis 4.500 Stunden im Jahr schaffen, weil Windstrom und Sonne sie immer wieder stundenweise aus dem Markt drängen. Damit rechnen sich neue Kraftwerke nicht mehr.

taz
Bernward Janzing

ist freier Journalist in Freiburg und Träger des Deutschen Solarpreises 2010. Zuletzt erschien von ihm „Solare Zeiten – die Karriere der Sonnenenergie“ (im Picea Verlag).

Gleichwohl kann es aber gelegentlich Zeiten geben, in denen eine zusätzliche Erzeugungsleistung nötig ist. Um diesem Dilemma zu entkommen, denkt man daran, Kraftwerke schon allein dafür zu bezahlen, dass sie bereitstehen, selbst wenn sie nicht laufen – einfach um die Investitionen zu ermöglichen. Ist ein solcher Kapazitätsmarkt aber solide konzipiert, werden die Anbieter von Erzeugungsleistung mit Anbietern von Abschaltkapazitäten im Preiswettbewerb stehen. Und wenn es dann für einen Industriebetrieb billiger ist, eine Elektrolyse für einige Stunden zu stoppen, als für den Energieversorger, die gleiche Leistung an Strom zu liefern, dann kommt die Abschaltung zum Zuge.

Sündhaft teure Reserven

Nun werden dafür zwar Entschädigungszahlungen an die betroffenen Unternehmen fällig, die über die Netzentgelte auf die Stromkunden umgelegt werden. Doch darüber kann sich niemand wirklich grämen, weil ja der Einsatz von sündhaft teuren Reservekraftwerken entfällt – und auch deren Kosten wären selbstredend umgelegt worden.

In der Theorie sind solche Konzepte nicht neu: Der amerikanische Physiker und Energievordenker Amory Lovins prägte dafür bereits 1989 den Begriff „Negawatt“. Im Deutschen kennt man die Bezeichnungen „Einsparkraftwerk“ und „Least-Cost Planning“. Viele Namen für immer die gleiche Idee: Wenn Strom sparen billiger ist als Strom produzieren, wird gespart.

Letztendlich ist die Abschaltprämie für Unternehmen nichts anderes als das „Smart Grid“ für Privathaushalte. Dieses sieht vor, dass Waschmaschinen künftig vor allem dann laufen, wenn der Strom gerade üppig zur Verfügung steht. Weil aber solche Ideen im Haushalt hohe Transaktionskosten durch den Aufbau der technischen Infrastruktur mit sich bringen, ist es sinnvoller, in der Industrie anzufangen. Die rhetorische Frage des Verbandes der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft sagt alles zu diesem Thema: „Was ist einfacher zu organisieren – die Abschaltung von 40.000 Waschmaschinen oder die Abschaltung einer Elektrolyse?“

Es sind zahlreiche Prozesse in der Industrie, die abhängig vom Stromangebot gesteuert werden können. Ein Beispiel: Carbid ist ein Vorprodukt verschiedener chemischer Substanzen und es ist lagerfähig. Da die Stromkosten 40 Prozent der Produktionskosten ausmachen, kann es sinnvoll sein, diesen Stoff auf Vorrat zu erzeugen – dann nämlich, wenn es gerade viel Strom im Netz gibt. Bei knappem Angebot von Strom kann im Gegenzug die Carbidproduktion ruhen. So wird das Produktlager zu einem hocheffizienten Stromspeicher.

Smart Grid als Imagewerbung

Es gibt einige Branchen, die hier mitspielen können: Zementfabriken erzeugen in einem stromintensiven Prozess Klinker als Vorprodukt, auch der lässt sich lagern. Ebenso lässt sich die stromfressende Elektrolyse in Aluminiumfabriken bei Bedarf ohne Probleme für ein bis zwei Stunden vom Netz nehmen. Die Aluminiumschmelze Trimet in Hamburg zum Beispiel hat bereits mit ihrem Übertragungsnetzbetreiber Abschaltungen bis zu einer Stunde unter Vertrag genommen. Immerhin verschlingt die Hütte 400 Megawatt – da steckt also echtes Regelpotenzial drin.

Die Smart Grids im Haushalt kann man im Vergleich dazu fürs Erste getrost vergessen. Denn sie sind zumindest bislang weit davon entfernt, sich für die Kunden zu rechnen. So sieht auch die Stromwirtschaft derzeit im Smart Grid im Privathaushalt vor allem eine Imagewerbung und keinen wirklichen Nutzen für das Netz. Folglich hat mit Ausnahme der Gerätehersteller und Softwareanbieter im Moment auch kaum jemand ernsthaftes Interesse am Einzug dieser Technik in die Haushalte.

Anders in der Industrie. Dort gibt es enorme Kapazitäten, den Stromverbrauch mit wenig Aufwand zeitlich zu flexibilisieren. Branchenkenner gehen von etwa 8.000 Megawatt aus. Dieses Potenzial zu erschließen ist in jeder Hinsicht sinnvoll – obwohl die Idee ganz eklatant gegen jahrzehntealte Gewohnheiten verstößt.

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Bernward Janzing
Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen.
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9 Kommentare

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  • P
    Peter

    @ Aus Haching

     

    "Bizarre Vorstellung. Ist Ihnen vielleicht schon einmal der Gedanke, gekommen, dass viele Unternehmen ihre Produktion gar nicht unterbrechen können, ohne immense Schäden zu verursachen?"

     

    Ja, natürlich; der Autor scheint genau im Auge zu haben, was geht und was nicht.

     

    Als Beispiel für das Machbare nennt er die Aluminiumelektrolyse, die man problemlos zwei Stunden unterbrechen könne und die ein echter

    Großverbraucher ist. Zum Vergleich: Der Verbrauch der Hamburger Hütte (400 MW) liegt bei etwa 30% der Leistung eines Kernkraftwerks wie in Brokdorf. Was sinnvoll geht, ist also erheblich!

     

    Ressourcenmanagement ist absolut vernünftig und etwas ganz Normales. Das geschieht z.B. auf vielfache Weise in Ihrem Computer und auch der Verkehr liefert gute Beispiele: Um Staus auf den Straßen zur Rushhour zu vermeiden, sind gleitende Arbeitszeiten ein sinnvoller Beitrag. Im öffentlichen Nahverkehr werden vielerorts verbilligte Monatskarten angeboten, die nur zu Zeiten außerhalb des Verkehrsspitzen gültig sind.

  • AH
    Aus Haching

    Bizarre Vorstellung. Ist Ihnen vielleicht schon einmal der Gedanke, gekommen, dass viele Unternehmen ihre Produktion gar nicht unterbrechen können, ohne immense Schäden zu verursachen? In der Chemie, in der Glasverarbeitung oder bei der Stahlproduktion muss fortgefahren werden.

     

    Und wie soll dass mit den Mitarbeitern aussehen? Herr Müller, morgen weht kein Wind, da können Sie zu Hause bleiben. Ach ja, und Geld gibts auch keins - wir können ja schließlich nichts dafür, dass wir keinen Strom haben.

     

    Oder ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, die Bundesregierung würde auf allen Autobahnen nur noch eine Fahrspur zulassen. Die Autofahrer "dürften" dann eben nachts fahren oder bekämen ein paar Euro, wenn sie tagsüber nicht fahren. Fänden Sie das gut, und glauben Sie, so funktioniert Wirtschaft?

     

    Wär das letzte Beispiel für absurd hält: Herr Kretschmann hat gesagt, dass das "Gut Straße" knapp werden müsse. Das ist doch derselbe Ansatz.

  • V
    VoiceOfReason

    Wird hier nicht vielleicht etwas überdramatisiert?

     

    Ich lese hier weder etwas davon, dass der Steuerzahler die ganze Sache zahlen soll, noch dass die Bahn nicht fährt, weil gerade die Sonne nicht scheint. Das ist billige Polemik, wer echte Argumente (oder Belege für solche Behauptungen) hat, sollte sie anbringen.

     

    So wie ich das verstehe, sollen die Unternehmen von den Stromerzeugern Geld dafür bekommen, in bestimmten Situationen den Verbrauch zu senken, weil die Stromerzeuger sonst Kraftwerke in Betrieb halten müssten, deren Betrieb teurer wäre.

     

    Das wiederum wäre eine Geschäftsentscheidung der Stromerzeuger und der teilnehmenden Unternehmen, die entscheiden müssen, ob sich das für sie wirtschaftlich rechnet. Tut es das im konkreten Fall nicht, wird der Stromerzeuger darauf verzichten oder riskieren müssen, dass der Kunde sich der Konkurrenz zuwendet.

     

    Von einer Beteiligung der Regierung oder des Steuerzahlers kann ich hier nichts lesen, ob das anderswo steht weiß ich nicht. Aber wenn, dann sollte man das belegen und nicht über Insider-Infos schimpfen, die andere Leser hier nicht haben.

     

    Sollten natürlich Stromerzeuger versuchen, die Kosten für diese Abschaltprämien auf die Stromkosten umzulegen, ohne das mit der Ersparnis durch Nicht-Betreiben entsprechender Kraftwerke gleichfalls zu tun, wäre das natürlich Betrug und man sollte entsprechend dagegen vorgehen.

  • A
    Arne

    Alle Kommentatoren, die einen Verriss auf den Artikel geschrieben haben, sind entweder bezahlte Trolle oder haben einfach den Schuss nicht gehört.

     

    Was gibt es besseres, als den gesamt-Energieverbrauch gleich zu halten, anstatt Spitzen- und Niedriglasten auffangen zu müssen.

     

    Und die Idee, Energie in Produkten zu speichern, die sowieso benötigt werden, ist auch besser als jede Batterie, Speicherseen, oder unterirdische Druckspeicher.

     

    Lg

  • ES
    Ein Südländer (BY)

    "Bizarr" ist ja noch verharmlosend (Richterlich). So ein irres Pamphlet in der Überschrift auch noch "ökonomisch sinnvoll" zu bezeichnen, grenzt schon an Wahn.

  • M
    mehrdad

    die ökos versuchen, ihre tote idee zu retten.

     

    und wer soll wohl diese entschädigung zahlen?

     

    natürlich der dumme bürger, der ohnehin kaum noch die stromrechnung bezahlen kann und ohnehin die passivhäuser der reichen grünen elite finanziert.

     

    letzlich wird aber die industrie aus deutschland abziehen, weil sie keine kerankhafte experimente will, sondern solide und sichere stromversorgung.

     

    schritt für schritt erweist sich diese energiewende als das, was es wirklich ist:

     

    der neueste ansatz der linken ölofaschos, deutschland zu deindustrialisieren.

  • T
    thomek

    Soso, wer hier also die "Energiewende" mit Sorge sieht ist ein Rabulist, was immer das ist. Im Gegensatz dazu ist der Author ernst zu nehmen, hat ja auch schon Preise gewonnen. Nun, Herr Janzing: wenn Sie mal wieder mit dem Zug von Kollmarsreute nach Freiburg fahren, Nebel und Windstille vorfinden, dann müssen Sie laufen: die Bahn wird Ihnen sagen "Fahr im Herbst, da haben wir Wind". Dass Firmen mit hohem Strombedarf bestrebt sind, diesen zu günstigen Tarifen und das zu geeigneten Zeiten zu bekommen ist ein alter Hut. Nur darf jeder mal nachdenken: wann bitte sind diese Zeiten für einen Betrieb im 4-Schichtsystem? Und das kann man ganz klar benennen: diese Zeiten sind immer, nur nicht mehr im Ökoland Deutschland. Firmen mit höherem Energiebedarf werden ganz scharf rechnen und dann ins Ausland abhauen. Schon bemerkt? Wieso machen alle Solarbuden in Deutschland pleite, wieso produzieren die Werke in China viel profitabler, wieso nimmt Polen nicht an der CO2-Abgabe teil? Na? Und das werden Sie spätestens dann merken, wenn Sick seine Produktion aus Waldkirch abzieht, feini

  • M
    Morgenthau

    Morgenthau konnte sich nicht durchsetzen. Die Grünen werden es diesmal schaffen! Willkommen im künftigen Agrarland Deutschland. Zeit auzuwandern in ein Land, in der noch Vernunft statt Hysterie regiert.

  • R
    Richterlich

    Das klingt nicht nur im ersten Moment bizarr.