Debatte Integration: Der Islam ist nicht die Lösung
Es wäre falsch, sich in Fragen der Integration nur auf muslimische Verbände zu stützen. Zwar haben religiöse Initiativen Einfluss. Aber die säkularen Verbände sind wichtiger.
D ie muslimische Zivilgesellschaft ist im Kommen. In den vergangenen Jahren sind zahllose Initiativen entstanden, deren Engagement zur Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft beiträgt. Angesichts von rund 3 Millionen Muslimen in Deutschland ist dies eine längst überfällige Entwicklung.
Das Engagement dieser Initiativen ist ebenso vielfältig wie professionell: Es reicht von Kinderfreizeiten bis hin zur psychosozialen Beratung im Knast. Oft stehen Jugendliche und junge Erwachsene dahinter, denen das Tätigkeitsfeld der traditionellen Moscheevereine zwischen Gebet, Koranunterweisung, islamischen Bestattungen und Teehausangeboten längst nicht mehr ausreicht. Organisationen wie "Lifemakers" und "Lichtjugend" spiegeln die ganze Bandbreite des muslimischen Spektrums in Deutschland wider.
"Mitwelt" heißt etwa ein deutsch-arabisches Zeitungsprojekt, das sich mit ökologischen Themen beschäftigt. "Inssan" dagegen, ein bundesweit aktiver Verein junger Muslime, organisierte kürzlich in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz die erste Blutspendenaktion in einer Moschee in Berlin-Charlottenburg. Und um schulische Qualifikation wiederum geht es dem Verein Mahdi, der Ende Oktober eine öffentliche Auszeichnung von Abiturienten mit Migrationshintergrund plant. Die Botschaft lautet: Bildung ist möglich und zahlt sich aus!
Befördert wurden diese Initiativen nicht zuletzt durch den öffentlichen Druck auf islamische Organisationen, sich zu Terrorismus, Zwangsehen und Ehrenmorden zu äußern. Selbst Migranten, die den Islam zuvor nur als private Facette ihres Alltags gelebt haben, sahen sich plötzlich genötigt, sich aktiv und öffentlich zu ihren Glaubensinhalten und -praktiken zu bekennen.
Die neue Sichtbarkeit des Islam fällt mit einem neu erwachten christlichen Selbstbewusstsein zusammen, das sich in katholischer Papst-Begeisterung oder christlich begründeten Forderungen in der Bildungs- und Sozialpolitik äußert. Als Pendant zu diversen kirchlichen Trägern stehen die neu entstehenden islamischen Vereine für die viel beschworene Einbürgerung des Islam in die deutsche Gesellschaft. Dennoch werfen sie Fragen auf, die sich grundsätzlich auch mit Blick auf christliche Einrichtungen stellen.
Dabei geht es nicht nur um Vorbehalte gegenüber den Ideologien und Zielen, die von einigen dieser Organisationen vertreten werden: Vereine wie die "Muslimische Jugend", in deren Schriften mehr vom Teufel als von sozialen und politischen Themen die Rede ist, diskreditieren sich bereits mit ihrem reaktionären Menschenbild als Gesprächspartner. Angesichts des Rummels, der etwa um Wolfgang Schäubles Islamkonferenz gemacht wurde, stellt sich die viel grundsätzlichere Frage nach der Rolle, die der Religion überhaupt als gesellschaftlicher Vermittlungsinstanz zukommen sollte.
Als Ersatz für zusammengekürzte Angebote der Jugend- und Sozialarbeit bieten sich Moscheengemeinden gerade in vermeintlichen "Problembezirken" als billige Alternative an. Mit Hausaufgabenhilfe und Internetzugang ist mancher Moscheeverein heute besser ausgestattet als das Jugendzentrum um die Ecke - insofern ist die staatliche Suche nach islamischen Ansprechpartnern alles andere als selbstlos. In den letzten Jahren hat es zahlreiche Bemühungen gegeben, islamische Akteure für ordnungspolitische Ziele einzubinden.
Besonders anschaulich zeigte sich dies in Frankreich, wo bereits in den Dreißigerjahren islamische Krankenhäuser so konstruiert wurden, dass auch eine Polizeiwache dort ihren Platz fand: Anerkennung und Kontrolle gingen Hand in Hand. In dieser Tradition stand auch die Aufforderung des früheren französischen Innenministers Nicolas Sarkozy, der während der Unruhen im November 2005 die islamischen Dachverbände seines Landes aufforderte, sie sollten zur Befriedung der Banlieues einschreiten. Die Botschaft war klar: Dort, wo es dem Staat nicht gelingt, politische Lösungen für gesellschaftliche Missstände und Konflikte anzubieten, greift man auf den Islam als Ordnungsmacht zurück. Anstelle von Boxlehrern und Streetworkern wurde damit plötzlich den örtlichen Imamen die prestigeträchtige Rolle des Schlichters angetragen. Doch das Resultat war ein bemerkenswerter Flop: Auch nach der Veröffentlichung einer Fatwa, mit der die Unruhen als "unislamisch" verurteilt wurden, gingen diese munter weiter - kein Wunder, schließlich spielten religiöse Überzeugungen für die meisten Randalierer keine Rolle.
Dennoch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in Deutschland noch stärker auf Moscheen und islamische Kulturvereine zugegangen wird, um diese mit Ordnungs- und Versorgungsfunktionen zu beauftragen. Das oft vorgetragene Angebot von Moscheenvertretern, man möge sich im Falle von Konflikten mit Jugendlichen an die Verantwortlichen der Gemeinde wenden, erscheint durchaus verlockend. Und angesichts der wachsenden Bedeutung des Islam als identitärem Bezugspunkt für jugendliche Migranten könnte Imamen zukünftig tatsächlich eine immer größere Rolle zukommen. Die Frage ist nur, welche Folgen, die über die unmittelbare Befriedung des Konflikts hinausgehen, dies für die Gesellschaft hätte.
Es kann nicht oft genug betont werden, dass soziale, ökonomische und aufenthaltsrechtliche Probleme, mit denen arabische und türkische Jugendliche konfrontiert sind, meist kaum etwas mit deren muslimischem Selbstverständnis - so überhaupt vorhanden - zu tun haben. Es spricht daher nichts dafür, Religion zum Teil einer Lösungsstrategie aufzuwerten. Denn wenn jugendliche Migranten zuerst als Muslime angesprochen werden, steht der große Verlierer schon fest: Es sind die säkularen Netzwerke der migrantischen Communitys, die in den letzten Jahrzehnten vor allem im gewerkschaftlichen und menschenrechtsaktivistischen Milieu entstanden sind. Wie aus einer anderen Zeit klingen heute Parolen wie "Mach meinen Kumpel nicht an!" und "Bleiberecht für alle!", die in den 80ern und 90ern von türkischen, kurdischen, arabischen und iranischen Arbeiter- und Kulturvereinen in die Öffentlichkeit getragen wurden. Im Unterschied zu heutigen Debatten ging es damals um konkrete politische und soziale Rechte; Religion spielte noch überhaupt keine Rolle.
Trotz ihres Einflusses auch unter Jugendlichen werden diese nichtreligiösen Netzwerke als Vermittler bei Konflikten heutzutage fast regelmäßig übergangen. Wohl nicht ohne Grund: Auf ihre Forderungen einzugehen würde ja voraussetzen, sich ernsthaft mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Möglichkeiten der politischen Partizipation von Migranten zu beschäftigen. Eine institutionelle Anerkennung des Islam, die sich mit sicherheitspolitischen Überlegungen verbinden und als Zeichen einer religiösen Öffnung verkaufen lässt, erscheint so manchem Integrationsstrategen da wohl als der bessere Deal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid