Debatte Flüchtlingspolitik: Kontingente statt Asyl
Mit Restriktionen wird sich der Zustrom der Flüchtlinge nicht stoppen lassen. Notwendig ist eine geregelte Zuwanderung – jenseits des Asyls.
B alkanflüchtlinge schneller abschieben, für Syrer den Familiennachzug stoppen und das Dublin-Verfahren wiedereinführen. Wird das unsere „Flüchtlingskrise“ lösen? Nein. Im Gegenteil, es wird sie verschärfen.
Aus dem Westbalkan kommen inzwischen nur noch wenige, die meisten Flüchtlinge (141.000 von 181.000 im Oktober) stammen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die syrischen Asylanträge jetzt wieder als Einzelfälle zu prüfen, wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weiter lahmlegen und die Wartezeiten in überfüllten Turnhallen verlängern.
Wer nach Bulgarien oder Ungarn zurücksoll, wird klagen und noch mehr Papier produzieren. Abschrecken lassen sich die Syrer davon nicht.
Wann kapiert die Politik endlich, dass eine Million Flüchtlinge nur deshalb bedrohlich wirken, weil sie unkontrolliert kommen. Nicht die Zahl der Menschen ist das Problem, sondern das Chaos drum herum. Schuld daran ist der Missbrauch unseres Asylrechts – nicht durch Ausländer, sondern durch unsere Politiker.
Humanitäre Gründe
Mit dem Grundrecht auf Asyl verpflichten wir uns, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren. Es ist in der Verfassung verankert, kennt keine Obergrenze und ist nicht verhandelbar. Leider ist der Asylantrag für die meisten Ausländer die einzige Chance, in Deutschland Aufnahme zu finden, weil die Regierung keine anderen legalen Wege schafft. So ist aus dem individuellen Anspruch des politisch Verfolgten ein Kollektivrecht für Kriegsflüchtlinge geworden mit all den Folgen, die eine solche Aushöhlung des Asylrechts mit sich bringt.
Was wir brauchen, sind andere Wege nach Deutschland. Menschen, die vor Bomben fliehen, einen Asylantrag stellen zu lassen, ist Unsinn. Denn sie sind keine politisch Verfolgten, sondern Kriegsflüchtlinge, für die es eine andere Form der Aufnahme gibt: die des Kontingents.
ist freie Autorin. Sie berichtete von 2001 bis 2008 aus Damaskus für deutschsprachige Medien. Im Jahr 2014 erschien die erweiterte Ausgabe ihres Buchs „Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land“ bei Herder.
Bestes Beispiel sind die Syrer. Unter ihnen sind Oppositionelle, die wegen ihrer Kritik am Regime mit dem Tod bedroht sind und Anspruch auf Asyl haben. Aber die allermeisten Syrer fliehen vor Assads Luftangriffen, dem IS-Terror und den Folgen des barbarischen Krieges. Weil ihre Schutzbedürftigkeit unstrittig ist, bekommen sie drei Jahre Aufenthalt, das dauert ohne Einzelfallprüfung vier Monate. Warum bieten wir ihnen nicht andere Wege als die Balkanroute?
Gab es schon
Juristisch betrachtet, kann die Bundesregierung aus humanitären Gründen bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Solche Kontingente gab es in den 1970er Jahren für vietnamesische und in den 1990er Jahren für bosnische Flüchtlinge. Für Syrer hat die Bundesregierung seit 2013 zwei Aufnahmeprogramme mit 20.000 Plätzen beschlossen. Angesichts dessen, dass allein im Oktober 88.000 Syrer einreisten, ist das eine lächerliche Zahl.
Empfohlener externer Inhalt
Deutschland braucht dringend weitere großzügige Kontingente, mit denen Syrer, die in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien registriert sind, geordnet nach Deutschland kommen können. Damit würden keine neuen Anreize geschaffen, sondern steuerbare Maßnahmen für Menschen, die in den nächsten Jahren ohnehin kommen werden, weil sie sich weder von Stacheldraht noch von „Leistungskürzungen“ abschrecken lassen.
Auch bessere Flüchtlingslager in der Region, wie von der EU vorgeschlagen, werden die Syrer nicht aufhalten, denn wer keine Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat hat, will eine Perspektive für seine Kinder und nicht einen Container mit Wasseranschluss.
Illegale Wege austrocknen
Wer legale Möglichkeiten für ein Resettlement in Europa schafft, kann die illegalen Wege austrocknen. Die unsäglichen Überfahrten von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln, bei denen täglich Menschen ertrinken, dürfen sich nicht mehr lohnen. Jeder ankommende Syrer sollte notversorgt und mit der nächsten Fähre in die Türkei zurückgeschickt werden mit der Empfehlung, dort einen Antrag auf Resettlement in Europa zu stellen.
Aufnahmezentren der EU in der Türkei müssten diese Anträge zügig bearbeiten und die Verteilung auf die EU-Staaten organisieren.
Deutschland sollte jetzt seine Bereitschaft zur organisierten Aufnahme von 300.000 bis 500.000 Syrern innerhalb den nächsten zwei Jahre erklären, weitere EU-Staaten müssten folgen. Das hätte nichts mit naivem Gutmenschentum zu tun, denn wir wären in der Flüchtlingsfrage keine Getriebenen mehr, sondern Gestalter.
Entlastung der Bürokratie
Mithilfe von Kontingenten könnten wir die wirklich Bedürftigen geregelt und sicher nach Deutschland bringen, und zwar an Orte, wo man bereits die Voraussetzungen für Unterkunft, Integration, Spracherwerb und Bildung geschaffen hat. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Menschen würden nach humanitären Kriterien ausgewählt (keine nichtsyrischen Trittbrettfahrer mehr), sie kämen, ohne ihr Leben riskieren zu müssen (weniger ertrunkene Dreijährige am Strand), den Schleppern gingen die syrischen Kunden aus, Kommunen könnten sich und ihre Bewohner besser vorbereiten (weniger brennende Unterkünfte).
Da ein solches Kontingent auch eingereiste Syrer einschließen kann, wäre die kurzfristige bürokratische Entlastung enorm. Würde die Regierung ein Aufnahmeprogramm für 300.000 Syrer beschließen, hätten sich alle ausstehenden Asylverfahren für Syrer erledigt, und das BAMF könnte die übrigen Anträge abarbeiten.
Integration schon am Flughafen
Wollen wir also Hunderttausende Syrer, die im Grunde schon auf dem Weg zu uns sind, auf Boote und über Zäune schicken, damit sie ihre letzten Ersparnisse den Schleppern geben und traumatisiert bei uns ankommen? Um ihnen dann am Bahnhof Bananen und Kuscheltiere in die Hand zu drücken und uns wenig später über Schlägereien in überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen zu beschweren? Oder wollen wir sie mit zwei Jahren Aufenthalt, einem eigenen Zimmer, einem Deutsch- und einem Integrationskurs und einer sofortigen Arbeitserlaubnis begrüßen?
Ein solches Willkommenspaket steht jedem syrischen Kontingentflüchtling zu, es verursacht mittelfristig weniger Kosten als die dauerhafte Notversorgung frustrierter Neuankömmlinge. Denn während diese monatelange Ungewissheit erwartet, beginnt die Integration der legal einreisenden Syrer schon bei ihrer Ankunft am Flughafen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“