Debatte Flüchtlinge: Wir helfen doch gern
Wie lassen sich die Proteste der Flüchtlinge in die Mitte der Gesellschaft tragen? Es mangelt an einer Kultur der konkreten Hilfe. Eine Handreichung.
D iese Menschen, die Geflüchteten am Berliner Oranienplatz und in der besetzten Schule, sind nicht hergekommen, um politisch zu agieren. Das war für sie eine Überraschung, für viele ein Schock. Und für einige eine Herausforderung, die sie angenommen haben und die sie vor die Frage nach der eigenen Lebensorganisation, gar des eigenen Lebensglücks stellen.
Das habe ich verstanden, während ich in enger Zusammenarbeit mit Patras Bwansi, Ruth Majozi, Kokou Theophil und Mohammad Keita Anfang des Jahres ein Feature über die Proteste für Deutschlandradio Kultur erarbeitete.
Flüchtlinge werden in Europa, in Deutschland nicht als vollwertige Menschen wahrgenommen, letztendlich auch nicht von uns Unterstützern. Für uns repräsentieren sie ihre Geschichten, eine bestimmte Gruppe und unser schlechtes Gewissen, aber nie einfach sich selbst. Unsere Barmherzigkeitskultur liegt ihnen tonnenschwer auf den Schultern, auf der Seele. Das gilt auch für die Unterstützerszene in Berlin.
Wir demonstrieren mit ihnen und wir standen eine Woche lang auf der Straße, um die Räumung der besetzten Schule zu verhindern, und befriedigten damit besonders unseren Drang, gegen die Staatsgewalt zu rebellieren. Jetzt haben wir das Gefühl, etwas erreicht zu haben, denn die Schule wurde nicht ganz geräumt und die Besetzer dürfen bleiben und mitgestalten. Wir haben nichts erreicht. Die Menschen auf dem Dach taten es mit ihrer Kompromisslosigkeit. Doch so weit hätten wir es nicht kommen lassen dürfen. In Hamburg musste niemand mit Selbstmord drohen. Dort setzte sehr schnell ein Mechanismus des gegenseitigen Respekts ein, nach dem Motto: Was würde ich in der Situation wollen?– Dann machen wir das für sie!
Zugang zu den Theatern
Wir Berliner befreunden uns mit den Protestierenden, das ist viel wert, jeden Tag. Am Oranienplatz gibt es genug zu essen und zu trinken, Unterkünfte werden organisiert und Kultur findet statt. Doch die Solidarität muss auf mehr Menschen ausgeweitet und der Protest insgesamt praktikabler werden. Denn es ist noch viel Ausdauer gefragt. Aber wozu sind wir in Deutschland, wenn wir einfache Vorgänge nicht proaktiver organisiert kriegen? Neben dem Lebensnotwendigen müssen die Aktivisten regelmäßigen Zugang bekommen zu den Theatern und anderen Plattformen der Stadt, die das Interesse und Vertrauen der Mehrheit genießen. Nur dann werden sich mehr Gruppen am Protest beteiligen und nur dann kann er von den Entscheidungsträgern nicht mehr ignoriert werden.
Die Herausforderungen in Berlin sind groß, größer als in Hamburg. Die Gruppe der betroffenen Flüchtlinge war und ist hier viel heterogener und verfolgt andere Ziele, nämlich die grundsätzliche Reform des deutschen Asylrechts. Diese große Forderung ist richtig und muss auch unser Anliegen sein.
ist freie Regisseurin und Dramaturgin für Theater und Radio in Berlin und international. In der Reihe „Lila Risiko Schachmatt“ inszenierte sie u. a. mit der Kompanie suite42 Texte von Autoren der Arabellion und aus Palästina.
Jetzt ist die Zeit für die nächste Etappe gekommen. Am Oranienplatz kehrt die Einigkeit zurück, die Schule wird von Flüchtlingen selbst gestaltet – der Protest gewinnt also wieder an Kraft. Auch in der Bezirksverwaltung gibt es „weiche Stellen“, die die Forderungen nach Bleiberecht und Reform unterstützen. Da sollten wir nicht auf der Metaebene oder nur in Demos verweilen. Druck ausüben können wir nur durch viele konkrete Handlungen, die unserer Regierung zeigen, dass wir uns von ihr nicht vertreten fühlen. Dass wir mit der Gesetzgebung und der Exekutive nicht einverstanden sind. Und dass es Raum gibt für Leute, die Schutz und nach einer Lebensperspektive suchen.
Nur wenn es zum Beispiel ohne Probleme möglich ist, die Bewohner der Schule, die obdachlos geworden sind, privat unterzubringen, verleiht das den Argumenten Nachdruck. Denn das ist kein aufgeregter Protest gegen die Polizei, sondern der dringend nötige zivile Ungehorsam, um den Betroffenen konkret zu helfen. Auch müssen die Geflüchteten mehr Vertrauen zur normalen Bevölkerung fassen, damit ganz andere Interaktionen möglich werden. Denn ihre Not, ihr Sonderstatus macht das Ganze zur leichten Beute für politische Spielchen und programmatische Gewalteskalation.
Ausdauer durch konkrete Hilfe
Um dem Druck der Ordnungspolitiker etwas dauerhaft entgegensetzen zu können, muss jeder erstens die Gesetzeslage verstehen und was mit welchen Konsequenzen verändert werden soll und was verändert werden kann. Wir müssen zweitens entscheiden, wie viel der eigenen Zeit wir geben können, das kann auch wenig sein. Und die dann geben.
Während der Polizeibelagerung ist in Berlin-Kreuzberg der „Ohlauer Infopoint“ entstanden. Die Leute hier haben Ideen, nehmen andere Ideen auf, kommunizieren einfach und organisieren praktische Hilfe. Niemand muss sich politisch positionieren, sondern kann einfach helfen. Frei nach Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“
Grundsatzdiskussionen darüber, wie transparent der Protest gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik ist, sind indessen völlig müßig. Es hat auch keinen Sinn darüber nachzudenken, wer von den Flüchtlingen hier sein „darf“und wer nicht. Die sogenannten humanitären Kriterien Deutschlands sind völlig veraltet. Genau deshalb steht dringend die Reform des Aufenthaltsrechts an. Viele tun es schon seit Jahrzehnten: Organisationen, die Therapien und Patenschaften vermitteln, Anwälte, die sich auf das Aufenthaltsrecht spezialisiert haben und 200 Prozent arbeiten; es gibt viele kulturelle und soziale Initiativen und Anlaufpunkte.
Für die Flüchtlinge bedeutet das momenthafte Anerkennung, Entspannung und Hoffnung, aber da das Asylsystem sie so sehr einschränkt, wird auch in all diesen Maßnahmen das eine Detail ihrer Identität, ihre Eigenschaft als Geflüchtete, herausgehoben und überbetont. Man muss ihnen den Sonderstatus nehmen, damit sie freier atmen können. Arbeit mit ihnen muss alltäglich werden, wenn Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, irgendeine Aussicht auf Lebensglück haben sollen.
Wichtig ist also, dass die Unterstützung sich zum Massenphänomen wandelt – denn bekanntlich ist geteilte Arbeit halbe Arbeit. Genau wie mit dem Leid.
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