Debatte Familienpolitik: Alle Mann an den Wickeltisch
Kinderbetreuung ist keine Sache der Frauen, sondern ein Auftrag an die Gesellschaft. Der notwendige Strukturwandel ist jedoch nicht in Sicht.
E rinnert sich noch jemand an die Anfänge der ersten Regierung Merkel? Da schockte Ursula von der Leyen das konservative Milieu, keineswegs nur das der eigenen CDU. Männer zum Dienst an der Wickelkommode zwingen wolle die neue Frauen- und Familienministerin, jammerte so mancher Kommentator, und - Stichwort Krippenausbau - mit stalinistischen Methoden kleine Kinder ihren Familien entfremden.
Was von der Leyen wollte, war ein längst fälliger Paradigmenwechsel, weg von der jahrzehntelangen Praxis in Westdeutschland, Frauen mit der Betreuung und Sorge für kleine Kinder allein zu lassen, hin zu frühkindlicher Förderung als gesellschaftlicher Aufgabe unter Einbeziehung der Väter. Und das alles sollte nicht nur zum x-ten Mal als schöne Idee beschworen werden, sondern endlich durch Milliarden Euro für Elterngeld als Lohnersatz und vor allem durch den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur verwirklicht werden.
Verstaubte Familienpolitik, nicht nur in den Köpfen
Die Gleichberechtigung von Frauen scheitert in Deutschland nicht an fehlenden Förderrichtlinien oder Antidiskriminierungsgesetzen. Sie scheitert, weil Frauen die Entscheidung für Beruf und Familie noch immer schwer fällt, schwer fallen muss, in einem Land, wo gute Krippen, Kitas und Ganztagsschulen mit berufstauglichen Öffnungszeiten selten sind. Oder von armen Eltern nicht bezahlt werden können.
Die Gleichberechtigung scheitert an einem verstaubten Familienmodell, das nicht nur in den Köpfen unverbesserlicher Patriarchen existiert, sondern in zahlreichen Bestimmungen des Steuer-, Sozial- und Arbeitsrechts verankert ist (Ehegattensplitting, kostenlose Mitversicherung in der Renten- und Krankenversicherung, Mini- und Midi-Jobs für "Zuverdienerinnen"). Frauen sind in Deutschland benachteiligt, weil die von einer patriarchalen Gesellschaft gesetzten Rahmenbedingungen es so wollen.
Von der Leyen hat versucht, zumindest an einem Punkt einen Strukturwandel in Gang zu setzen: bei der Betreuung der unter Dreijährigen. Bis 2013 sollen für mindestens 35 Prozent dieser Kinder Plätze entstehen. Mühevoll genug war es, die 4 Milliarden Euro dafür lockerzumachen. Sie wurden mit einem Zugeständnis an die CSU erkauft, wonach 2013 erneut über ein "Betreuungsgeld" für Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kitas schicken, verhandelt werden muss.
Der Ausbau von Krippen, Kitas und Ganztagsschulen schreitet nur langsam voran. Für die notwendige Ausweitung der Öffnungszeiten, für die massenhafte Einstellung von gut ausgebildeten und entsprechend bezahlten ErzieherInnen, LehrerInnen und SozialpädagogInnen, gar für die Kostenfreiheit der Einrichtungen und Mahlzeiten fehlt es angeblich an Geld. Dabei ist die außerhäusliche Kinderbetreuung längst nicht mehr nur ein frauen- oder familienpolitisches Thema. Regelmäßig kann man lesen, dass Deutschland in vielen Bereichen internationalen Standards hinterherhinkt, nicht nur bei der Entlohnung von Frauen, sondern auch bei der Integration von Zuwanderern und bei der Bildungspolitik.
Diese Bereiche hängen eng zusammen: Wir brauchen den Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung, nicht nur um Frauen gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben, sondern auch weil viele Familien mit der Erziehung von Kindern überfordert sind. Und weil nicht nur Reichtum, sondern auch Armut vererbt wird. Wenn von der Leyen mit dem Elterngeld die Absicht verfolgt haben sollte, die gut ausgebildeten bürgerlichen Schichten zu mehr Kindern zu animieren, so ist sie damit gescheitert.
Deutschland muss jetzt auf die Kinder setzen, die mangels frühkindlicher Förderung und dank eines elitärer Auslese verpflichteten Schulsystems bisher keine Chance hatten. Schwarz-gelbe Parteiprogramme und Wahlkampfaussagen signalisieren keinen weiteren Strukturwandel in der Frauen- und Familienpolitik. Im Gegenteil. CDU und FDP wollen für Familien mehr Steuererleichterungen und mehr Kindergeld. Das ist die Politik alten Schlags.
Schon jetzt leistet sich Deutschland einen im internationalen Vergleich stark aufgeblähten Familienetat. Gefördert werden vor allem Familien mit traditioneller Arbeitsteilung zwischen "Ernährer" und "Zuverdienerin". Je höher das Einkommen des Haupt- oder Alleinverdieners, desto höher auch die Steuersubventionen. Für die anderen bleiben Transferzahlungen, hauptsächlich Kindergeld.
Es bleibt beim negativen Erwerbsanreiz für Ehefrauen
An der Situation armer Familien ändert das nichts wirklich. Der dicke Subventionsbrocken Ehegattensplitting (über 20 Milliarden Euro jährlich) wird wahrscheinlich wieder einmal unangetastet die Legislaturperiode überstehen, auch wenn die Union für ein "Familiensplitting" eintritt. Auch wenn das "Ernährer"-Einkommen statt durch zwei durch drei oder mehr geteilt werden sollte, bevor es versteuert werden muss, ändert das allerdings nichts am negativen Erwerbsanreiz für Ehefrauen.
Bundeskanzlerin Merkel hat Bildungspolitik zum Schwerpunkt für die neue Legislaturperiode ernannt, will aber das gegliederte Schulsystem beibehalten, das bekanntlich Kinder aus "bildungsfernen" Schichten früh aussortiert. Auch die Liberalen wollen die Ausgaben für Bildung drastisch erhöhen. Wie das gehen soll, wenn man gleichzeitig die Steuern senkt und den Staatshaushalt konsolidiert, bleibt vorerst unklar. Getreu ihrer sonstigen Programmatik setzt die FDP auch in der Bildung auf "private" Lösungen: Von der Kinderbetreuung über die Schulen bis zu den Universitäten sollen Privatinitiativen und kommerziell ausgerichtete Träger mitmischen.
Wer sich diese Bildung nicht leisten kann, darf auf Bildungsgutscheine und Stipendien hoffen. Und natürlich dürfen die Papis der Kids auf den Privatschulen die Kosten dafür von der Steuer absetzen - eine Absage an Bildung als Bürgerrecht. Denn das setzt voraus, dass der Bildungssektor in öffentlicher Verantwortung bleibt und gute Qualität möglichst kostenfrei vom ersten Lebensjahr an für alle liefert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind