Debatte Europa: Immer Ärger mit Europa
Linke können sich im Recht wähnen, haben sich doch alle Vorbehalte gegenüber dem "Neoliberalismus" bestätigt. Besser regieren würden sie deshalb nicht.
D er Rest der Legislaturperiode und die kommende Bundestagswahl werden bestimmt sein von den Themen "Banken", "Europa" und "Staatsschulden". Schon jetzt profitieren SPD und Grüne in Umfragen von dem seit zwei Jahren anhaltenden Durchwursteln, mit dem die Bundeskanzlerin die Kosten der Krise in die Höhe getrieben hat.
Dagegen setzen sie das Modell einer Sanierung mittels Eurobonds, Schuldenschnitt und "konsequenter Konsolidierungsprogramme". Dies mündet in ein Plädoyer für mehr Europa, das auf drei Begründungen ruht.
Die Europa-Erpressung
ist Redakteur der Zeitschrift "Vorgänge". 1986 war er Mitgründer des Berliner Senders Radio 100. Anschließend arbeitete er im taz-Inlandsressort sowie für "Die Woche". Sein Interesse gilt der Entwicklung der Parteien.
Ökonomisch wird erstens unisono ins Feld geführt, dass Deutschland von Europa profitiere, wenn dessen Kosten Thema sind. "Natürlich müssen die Deutschen zahlen," heißt es etwa bei Peer Steinbrück, "aber das Geld ist gut investiert in unsere und die Zukunft Europas."
Die beiden anderen rhetorischen Bögen werden gern vom früheren Außenminister Joschka Fischer gespannt. Dräuend warnt der, "die Krise hat sich bis zu den tragenden Fundamenten der europäischen Nachkriegsordnung durchgefressen.
Dabei waren diese die Garantie für eine beispiellose Friedens- und Prosperitätsgeschichte unseres Kontinents: die transatlantische und die deutsch-französische Partnerschaft."
Zudem, so Fischer, bedeutet die nun sichtbar werdende neue Weltordnung eine zusätzliche Gefahr für das transatlantische Bündnis. Auch das verlange ein geeintes Europa.
Mit diesem großen Bogen schafft es die Opposition leicht, ihre Gegner in die nationale Ecke der kurzsichtigen Egoisten zu stellen. So richtig diese Argumentationen sind, so wenig verfangen sie beim Europa-Bürger.
Massive Skepsis gegenüber Europa
Nach einer Umfrage der EU-Kommission wissen ein Viertel der Bundesbürger nichts über den Binnenmarkt, knapp zwei Drittel sehen Vorteile nur bei den Unternehmen, hingegen Nachteile auf dem Arbeitsmarkt und sind der Meinung, die EU umfasse zu viele Länder.
Diese massive Skepsis gegenüber Europa korreliert mit einer geringen Bereitschaft zu finanziellen Opfern. Und der Appell an ein europäisches Wir verhallt, weil er über die Ebenen der europäischen Alltagspolitik hinwegschwebt.
Oder glaubt jemand ernsthaft, dass sich die Griechen für den ihnen auferlegten Sparkurs eher erwärmen könnten, weil damit der friedlichen Nachkriegsordnung gedient sei?
Die Unzuverlässigkeit der SPD
Auch das Ins-Feld-Führen ökonomischer Interessen Deutschlands kommt, zumal aus linkem Munde, eigentümlich daher. Nicht weil es national-eigennützig ist, sondern weil es die Interessenunterschiede zwischen deutschen Banken, deutscher Wirtschaft und deutscher Bevölkerung einebnet, die zumindest Letzterer mittlerweile durchaus bewusst sind.
Sie erkennt keinen Nutzen bei der Verlagerung der Schulden Griechenlands von privaten auf öffentliche Gläubiger - die Banken hingegen schon. Die Bevölkerung fühlt sich finanz- und europapolitisch vor einen Karren gespannt, den sie eigentlich nicht ziehen will.
Und an diesem Gefühl haben auch die Sozialdemokraten einen Anteil. Als der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sie vor drei Jahren zur Rettung der Hypo Real Estate nutzte und 35 Milliarden Euro Bürgschaft gab, sicherte er damit zugleich die 8 Milliarden Euro Kredite der privaten Banken ab, zu denen diese sich im Gegenzug verpflichtet hatten. Für diese war das ein gutes, weil risikoloses und sich verzinsendes Geschäft.
Und dass er für 18 Milliarden Euro ein Viertel der Anteile an der Commerzbank zu einem Zeitpunkt erwarb, als deren Börsenwert bei einem Sechstel des Betrages lag, ist auch nicht dazu angetan, das Vertrauen der Bürger in die Bereitschaft der SPD zur konsequenten Konsolidierung zu stärken.
Auch dürfte die von ihm ins Leben gerufene und mit 500 Milliarden Euro ausgestattete Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung kaum Vorbild für die europäischen Rettungsmechanismen sein, agiert die Behörde doch, ohne das Parlament überhaupt konsultieren zu müssen. 91,5 Milliarden Euro haben die Staaten der EU für die Rettung der Banken verausgabt, das meiste davon, 38,9 Milliarden Euro, zahlte Deutschland an seine Banken.
Mehr Demokratie - aber wie?
Am Haircut des griechischen Schuldenkontos und der daraus resultierenden zweiten Stützung der Banken wird sich zeigen, ob diese finanzpolitische Appeasement-Politik gegenüber den Banken abgelöst wird durch rechtliche Regelungen und Unternehmensbeteiligungen, die ein Optimum an Sicherung und Rückfluss der staatlichen Gelder gewährleisten.
An dem Umgang mit Griechenland erweist sich zudem, wie die parlamentarische Linke das darin liegende demokratische Dilemma handhaben will, welches sie bislang wortreich umschifft hat.
Befürwortet sie die suprastaatlichen Eingriffe der Troika in die griechische Politik, die nicht nur die Souveränität Griechenlands, sondern auch eigene programmatische Grundsätze wie Tarifautonomie und Beschäftigungssicherheit verletzt und eine wirtschaftliche Rekonvaleszenz erschwert?
Wenn nicht, wie erklärt sie dann ihren deutschen Wählern, dass diese unter anderem eine Beschäftigungsquote des griechischen Staates kofinanzieren sollen, die mit 17 Prozent weit über der deutschen liegt (11 Prozent) und von Ineffizienz, Korruption und Nepotismus geprägt ist?
Welche Summen ist sie bereit dort in die wirtschaftliche Neustrukturierung zu investieren, die zweifelsohne zulasten des gleichsam angepeilten deutschen Schuldenabbaus gingen?
Rational lässt sich dieses Dilemma nur aufheben, indem Souveränität einschließlich ihrer parlamentarischen Kontrolle von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert wird.
Auch wenn damit der richtige Weg beschritten würde, bleibt fraglich, ob die nationalen Gesellschaften ihm folgen werden. Es kann also sein, dass die Opposition recht hat, aber trotzdem nicht regieren wird.
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