Debatte Embryonencheck: Das lohnende Kind
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) nehmen nur wenige Menschen in Anspruch. Trotzdem ist die Aufregung über diese teure Schlüsseltechnologie groß.
E r sehe "die Gefahr eines Dammbruchs", warnte in seiner Weihnachtsbotschaft der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, "wenn sich der Mensch zum Herrn über andere Menschen macht und bestimmt, welches Leben sich entwickeln darf und welches nicht." Doch nicht nur der Vorsitzende der Deutschen Katholiken, auch Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe bot das Fest den willkommenen Anlass, um zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) Stellung zu nehmen. In der Ärzteschaft, glaubt er, habe sich die Stimmung verändert. Er rechnet damit, dass sich der nächste Ärztetag "für die Zulassung der PID in engen Grenzen" aussprechen wird.
Aufrüstung der Demografie
Hintergrund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das im Sommer die gezielte Auswahl von Embryonen im Reagenzglas grundsätzlich für rechtens erklärt hatte. Es spülte der Pressure-Group, die sich schon immer für die Freigabe der PID starkmachte und - ausgerechnet - in dem Christdemokraten Peter Hintze ihren Frontmann gefunden hat, reichlich Wasser auf die Mühlen.
Die eher Vorsichtigen, die es am liebsten beim bisherigen Status quo belassen hätten, müssen sich nun entscheiden, ob sie die PID generell verbieten oder das umstrittene Verfahren in streng umrissenen Fällen - "bei Todgeburten oder wenn zu erwarten ist, dass das Kind früh stirbt", wie es der ehemalige Enquete-Vorsitzende René Röspel (SPD) formuliert - zulassen wollen.
So brüten derzeit gleich drei interfraktionelle Abgeordnetengruppen über Gesetzentwürfen, wobei sich die Waagschale im Unterschied zum April 2002, als das Parlament seine berühmte "Sternstunde" schrieb, inzwischen eher in Richtung der Befürworter neigt.
Warum aber provoziert eine medizinische Prozedur, von der, je nach Indikation, höchstens 100 bis 200 Paare pro Jahr betroffen sein werden, eine derart hektische parlamentarische Aktivität, von der sich sogar der behäbige Ethikrat unter Zugzwang gesetzt sieht? Als über den § 218 gestritten wurde, über Organspende oder Sterbehilfe, bezogen sich die Gesetze auf relevant große gesellschaftliche Gruppen. Aber die PID?
Ulrike Baureithel, ist freie Journalistin in Berlin. Als Redakteurin und Autorin für die Wochenzeitung Der Freitag befasst sie sich seit zwanzig Jahren mit Reproduktionsmedizin und bioethischen Themen.
Zunächst einmal handelt es sich bei der PID um eine Schlüsseldiagnostik. Sie steht an der Nahtstelle zwischen Fortpflanzungsmedizin und genetischer Begutachtung und allen damit verbundenen Problemen. Deutlich wird das schon an der öffentlichen Diskussion: Während auf der einen Seite "nur" von seltenen Erbkrankheiten die Rede ist und von vermeidbarem Leid, ist mit der PID andererseits auch eine bevölkerungspolitische Dimension verbunden.
Wird sie nämlich wie in Skandinavien bei der künstlichen Befruchtung eingesetzt, wo nur ein einziger, möglichst "erfolgreicher" Embryo ausgewählt wird, um den Frauen Mehrlingsschwangerschaften zu ersparen, bewegt man sich plötzlich nicht mehr auf dem Feld der Medizin, sondern auf dem der Demografie.
Die "Baby take home"-Rate ist bei der PID noch geringer als bei der herkömmlichen In-vitro-Fertilisation (IVF). Und entgegen den Beteuerungen von Fortpflanzungsmedizinern, die sich plötzlich als Anwalt der Frauen aufwerfen, ist das Prozedere auch ziemlich belastend. Trotzdem hält sich die Vorstellung, auf diese Weise demografisch "aufrüsten" zu können.
Die Kosten-Nutzen-Rechnung
Es werden aber nicht nur mehr Kinder herbeigeredet. Der ohnehin rare Nachwuchs soll auch gesund sein, perspektivisch produktiv und möglichst keine Gesundheitskosten verursachen. Demografische Mobilisierung und gesellschaftliche (Gesundheits-)Kostenrechnung sind nur die beiden Seiten derselben Medaille.
Zwar würde sich heute, zumindest in Deutschland, kaum jemand trauen, öffentlich die Ausgaben für Krankheit und Behinderung im Zusammenhang mit der PID aufzurechnen. Doch in der Zeit, als sich die Pränataldiagnostik (PND), also der heute standardisierte vorgeburtliche Check-up, etablierte, war in EU-Forschungsprogrammen noch zu lesen, dass genetisch bedingte Erkrankungen für Familien nicht nur sehr belastend, sondern auch "für die Gemeinschaft sehr kostspielig" seien.
Verteidigte Deutungshoheit
In der utilitaristischeren Schweiz ist man mit derlei Bilanzierung weniger zurückhaltend. Der Ökonom Reiner Eichenberger zum Beispiel, übrigens eng verbunden mit Bernd Raffelhüschen, der Gesundheitsminister Philipp Rösler in Sachen Pflegereform berät, hat die lebenslangen Leistungsbilanzen von Schweizer Kindern hochgerechnet und ist zum Ergebnis gekommen, dass, wer Familienpolitik betreiben will, auch gezielt "selektionieren" muss.
Kinder, die "Sonderbetreuung" benötigen, seien teuer, am teuersten diejenigen, die später eine "kriminelle Karriere" einschlügen. Deshalb, lässt sich folgern, kommen Hartz-IV-Eltern in Deutschland auch nicht mehr in den Genuss des Elterngeldes. Man müsse vermeiden, so Eichenberger in einem Interview, "mit Maßnahmen primär die unproduktiven Kinder zu subventionieren." Die Grenznutzenrechnung für medizinische Versorgung hat das Schweizer Bundesgericht dieser Tage bekräftigt.
Von diesen demografischen und volkswirtschaftlichen Aspekten einmal abgesehen, gibt es noch einen weiteren Umstand, weshalb die PID forciert wird. Man wolle, heißt es, den Frauen die "Schwangerschaft auf Probe" und die Entscheidung einer Spätabtreibung ersparen.
Der "Entscheidungsfalle" allerdings, in die Frauen, wie die Soziologin Silja Samerski in ihrem kürzlich erschienenen gleichnamigen Buch zeigt, bei der Pränataldiagnostik geraten, entgehen sie auch durch die PID nicht. Sie müssen sich aktiv zu einem "Risiko"-Embryo im Reagenzglas verhalten, ihn gegebenenfalls "verwerfen" und damit zum Ausdruck bringen, dass "solche" Menschen unerwünscht sind.
Vielleicht erklärt diese Überforderung in Sachen Selbstbestimmung, weshalb auch der Vizepräsident der Bundesärztekammer und PID-Skeptiker, Ulrich Montgomery, die Indikationen für eine PID von einer Ärztekommission überwacht sehen will. Wenn die Ärzte schon, wie sein Kollege Hoppe formuliert, eher Ratgeber als Führer der Patienten sind, dann beanspruchen sie doch zumindest die Deutungshoheit darüber, was "krank" und "gesund" ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül