Debatte Elektroschrott: Sinnlose Selbstverpflichtung
Nicht nur Handys produzieren zu viel Müll. Damit Tablet und Co nachhaltiger werden, muss die EU endlich neue Regeln durchsetzen.
B ERLIN taz Den Prototyp gibt es schon. Hellgrau, sehr eckig im Vergleich zu dem, was man sonst von Smartphones gewohnt ist, und mit kleinen Symbolen auf der Rückseite: Unter dem Batterie-Icon befindet sich der Akku, unter der Uhr der Prozessor, unter dem Mikrofon das Audiomodul.
Hinter den Klötzchen verbirgt sich eine guter Gedanke: Warum werfen wir unser Telefon weg und kaufen uns ein neues, wenn irgendetwas zu langsam, zu alt oder es schlichtweg kaputt ist? Warum tauschen wir die einzelnen Teile nicht einfach aus?
Das Problem ist kein geringes: Laut Branchenverband Bitkom liegen bundesweit mittlerweile 86 Millionen Telefone ungenutzt in Schubladen. 86 Millionen Akkus, Prozessoren, Kabel und Kontakte, mit Materialien wie Plastik, Kupfer, Gold und Coltan. Die meisten Komponenten, selbst die Akkus, werden heute fest eingebaut – auch in Tablets und Notebooks.
Die feste Verbindung erschwert aber nicht nur das Recycling der enthaltenen Rohstoffe. Sie verkürzt auch die Lebensdauer der Geräte. Klar, man kann ein kaputtes Handy einschicken, Wochen warten, derweil eines der 86 Millionen Schubladentelefone nutzen, den Akkutausch bezahlen und dann das alte Gerät weiter nutzen. Aber lohnt sich das? Für den Hersteller bislang nicht. Und der setzt alles daran, Langlebigkeit auch für den Nutzer unattraktiv zu machen.
Niemand will dicke Handys
Ideen wie die „Phonebloks“ des Niederländers Dave Hakkens wollen dieser Wegwerfkultur ein Ende setzen. Anders als die Telefone auf dem Markt ist das eckige Smartphone aus einzelnen Modulen zusammengesetzt. Akku, Speicher, Kamera – alles in kleinen grauen Kästen verpackt, die über eine Hauptplatine miteinander verbunden sind. Vorne ein Bildschirm drauf, fertig, so präsentiert Hakkens das Ergebnis.
Die Idee klingt tatsächlich bestechend: Ist der Prozessor zu langsam, tauscht man ihn gegen einen schnellen aus. Wer kein WLAN nutzt, aber gern Fotos macht, baut eine große Kamera ein. Warum mit dieser Methode nicht mal eben den Markt revolutionieren? Selbst wenn das Gerät erst mal ein recht nischiges Produkt wäre – was heute wenige nutzen, kann es übermorgen schon Mainstream sein.
Die Probleme liegen woanders. Etwa in der Frage, ob so ein Handy tatsächlich viel nachhaltiger wäre als ein herkömmliches Smartphone. Zunächst einmal würde ein modulares Telefon nämlich mehr Material verbrauchen als ein vergleichbares Kompaktgerät. Denn die Technik in den auswechselbaren Modulen muss gut verpackt sein, um beim Umstecken nicht kaputtzugehen. Das macht das Telefon recht dick – ganz gegen den Trend zu immer schlankeren Geräten.
Fairphone ist die bessere Idee
Um einen positiven ökologischen Effekt zu erzielen, müssten die einzelnen Teile zudem länger genutzt werden als herkömmliche Telefone. Wenn also nach drei Jahren ein alter Akku ausgetauscht wird und sonst nichts, würden die Ressourcen effizienter genutzt. Wechselt ein Nutzer aber im Halbjahrestakt den Prozessor, um mehr Leistung zu erzielen, ist der Ökoeffekt dahin. Zumal offen bleibt, wie kompatibel die einzelnen Teile wären. Funktioniert die neue, leistungsfähige Kamera mit dem alten Prozessor?
Vielversprechender erscheint daher das Fairphone. Nicht, weil ein paar der rund 30 Metalle im Gerät aus fairen Quellen stammen. Sondern weil die Hersteller alles dafür tun, dass die Nutzer es lange verwenden können und dabei wenig Müll produzieren. In einer normalen Handyverpackung befinden sich nicht nur Gerät und Akku, sondern auch Ladekabel, Adapter, Kopfhörer, Polster und Ähnliches.
Fürs Fairphone muss der Kunde das Zubehör ausdrücklich bestellen und extra bezahlen. Den Akku kann der Nutzer selbst tauschen, der Slot für eine zweite SIM-Karte macht ein Zweithandy überflüssig, und das Display besteht aus zwei Schichten. Wird die äußere beschädigt, lässt sie sich ersetzen, ohne den Sensor erneuern zu müssen.
Das Fairphone, mit 25.000 Stück nur für einen Minimarkt gemacht, zeigt vor allem eines: Es ist möglich, auf vier, fünf ökologisch besonders kritische Punkte zu achten und trotzdem ein nach Leistungs- und optischen Kriterien konkurrenzfähiges Telefon zu produzieren.
Bleibt nur die Frage, wer ein Interesse daran hat. Bislang ist die Elektronikindustrie in Sachen Nachhaltigkeit nicht weiter aufgefallen. Besteht das Risiko, die kurzen Kaufzyklen zu gefährden, werden die großen Hersteller den neuen Beispielen kaum folgen – jedenfalls nicht freiwillig. Das zeigt schon der Konflikt um die Ladekabel.
Die Sache mit dem Ladekabel
Rund 30 unterschiedliche Modelle gibt es auf dem Markt, jedem neuen Handy liegt eines bei. Es wird ein Handyleben lang genutzt und landet mit dem Telefon auf dem Elektroschrott. Nach Schätzungen der EU-Kommission wächst dieser Berg EU-weit um 51.000 Tonnen pro Jahr. Die Kommission hat daraus eigentlich den richtigen Schluss gezogen: Die Hersteller müssen den Neuschrott reduzieren.
Leider beschränkt sich Brüssel dabei bislang auf Appelle an den guten Willen, mit entsprechend kosmetischen Resultaten: Als die Hersteller sich endlich auf ein einheitliches Ladegerät geeinigt hatten, war die Laufzeit der ausgehandelten Selbstverpflichtung schon fast wieder um. Als größter Querschläger gilt hier übrigens Apple: Das Unternehmen hat die – zwar erlaubte, aber eben auch mehr Müll produzierende – Variante eines Kabels plus Adapter gewählt.
Eine neue Vereinbarung gibt es bislang nicht, und so erscheint eine EU-Verordnung inzwischen fast wahrscheinlicher als eine weitere Einigung der Hersteller. Eines zeigt der Widerstand der Industrie in der vergleichsweise marginalen Kabelfrage klar: Mit gutem Willen ist auf Herstellerseite nichts zu machen.
Nun ließe sich wieder bei den Verbrauchern anfangen, etwa mit einem Handypfand. Das kann die Recyclingquote sicher erhöhen. Mindestens ebenso wichtig sind aber Maßnahmen, die greifen, bevor das Telefon in der Schublade landet. Müssen die Hersteller alles, was der Nutzer selbst austauschen und reparieren könnte, entsprechend einbauen, steigt die Lebensdauer der Geräte. Die EU sitzt hier am richtigen Hebel. Sie muss ihn nur noch umlegen.
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