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Debatte EU-Reaktionen auf SchweizLinkspopulismus bringt es nicht

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Gegen die erstarkenden Rechtspopulisten in der EU hilft nur ein politisches Programm. Ängste schüren und Feindbilder aufbauen ist die falsche Strategie.

Die Schweiz: Wo will sie hin? Bild: dpa

D ie rechtspopulistische Schweizer Volkspartei (SVP) hat mit einer ausländerfeindlichen und wohlstandschauvinistischen Kampagne ein Referendum zur Begrenzung von „Masseneinwanderung“ gewonnen. Und dies, obwohl – ausweislich aktueller Studien und Statistiken der OECD, der Universität Basel und der Regierung in Bern – die Schweizer Volkswirtschaft stärker als jedes andere westliche Land vom freien Personenverkehr und von ausländischen Arbeitskräften profitiert. Gleichzeitig existiert die von der SVP-Kampagne behauptete Konkurrenz für einheimische Arbeitskräfte mit Ausnahme einiger Regionen im Kanton Tessin nicht.

Ausschlaggebend für den zählbaren Erfolg der SVP-Kampagne bei immerhin jeweils über 25 Prozent der Anhänger und Mitglieder der Grünen, der wertkonservativen Christdemokraten und der wirtschaftsliberalen FDP war der sogenannte Dichtestress: verstopfte Autobahnen, überfüllte Busse und Straßenbahnen, explodierende Wohnungsmieten, überlastete Sozialeinrichtungen, Zersiedlung der Landschaft und Umweltzerstörung – reale, eingebildete oder von der SVP-Propaganda übertriebene Probleme, für die die Partei pauschal Migranten zum Sündenbock stempelte.

Dabei ist die SVP mehr als alle anderen Parteien selbst verantwortlich für die von ihr skandalisierten Probleme. Immerhin stellt sie seit über zwanzig Jahren die stärkste Fraktion im Parlament und ist an der Regierung im Bund wie in zahlreichen Kantonen und Städten beteiligt.

Stärker als jede andere Partei frönt die SVP dem Autowahn, behindert den Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, torpediert die von der Schweizer Bevölkerung bereits 1994 beschlossene Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Ebenso blockiert sie den Bau erschwinglichen Wohnraums und betreibt den Abbau des Sozialsystems und anderer Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge.

Gemeinsam mit der wirtschaftsliberalen FDP ist die SVP die treibende Kraft hinter dem ruinösen Steuersenkungswettbewerb mit dem Ausland sowie zwischen den Schweizer Kantonen, der in den letzten Jahren für den starken Zuzug ausländischer Unternehmen in die Schweiz gesorgt hat. Das wiederum führt dazu, dass Zehntausende ausländischer Arbeitskräfte in die Schweiz migrierten.

Wer jedoch verhindern will, dass rechtspopulistische ausländerfeindliche Kampagnen demnächst auch in den EU-Staaten Erfolg haben, muss die mit dem „Dichtestress-Phänomen“ verbundenen Ängste ernst nehmen.

Kein linker Populismus

Natürlich ist es zunächst richtig, dass die EU auf Vertragsverstöße der Schweiz, wie die bereits verkündete Annullierung der bislang für 2024 vorgesehenen Einführung des freien Personenverkehrs mit EU-Mitglied Kroatien, sofort mit Gegenmaßnahmen reagiert. Aber mittelfristig wird sich die Personenfreizügigkeit in Europa nur bewahren lassen und eine menschen- und völkerrechtskonforme Politik gegenüber Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern durchsetzbar werden, wenn drei andere Freiheiten neoliberaler Globalisierung endlich enttabuisiert und anhand menschenrechtlicher, sozialer und ökologischer Kriterien eingeschränkt werden: der freie Verkehr von Kapital, Waren und Dienstleistungen.

Braucht es dafür einen linken Populismus, wie einige Stimmen in Reaktion auf den Sieg der Schweizer Rechtspopulisten jetzt fordern? Sollen nun auch Linke Ängste schüren, Feindbilder aufbauen, systematisch Lügen verbreiten und andere zum Sündenbock für selbst verschuldete Probleme stempeln? Nein, natürlich nicht.

Notwendig ist allerdings, dass sich Linke, Grüne, GewerkschafterInnen, und alle, die die negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung erkannt haben, endlich möglichst europaweit (EU + Schweiz) auf einige zentrale Forderungen einigen. Und auf eine Strategie sowie gemeinsame Kampagnen, um nicht nur zu Wahlkampfzeiten in der breiten Öffentlichkeit Unterstützung für diese Forderungen zu gewinnen.

Vorrangig sind folgende Forderungen. Erstens: Harmonisierung der Steuerpolitik, um den ruinösen Steuersenkungswettbewerb zwischen europäischen Staaten und die damit verbundenen Probleme der Verlagerung von Unternehmen und Arbeitskräften in die Schweiz und andere Steuerparadiese zu beenden.

Mindestlöhne müssen kommen

Zweitens: Die Einführung landesweiter Mindestlöhne würde es Unternehmen erschweren, ausländische und einheimische Arbeitskräfte gegeneinander auszuspielen. Diese Maßnahme würde auch den Konkurrenzdruck durch billigere ausländische Dienstleistungsfirmen mildern. Drittens: Die Einschränkung des umweltzerstörerischen europaweiten Güterverkehrs durch die Förderung lokaler und regionaler Produktion und Vermarktung insbesondere bei Nahrungsmitteln; Verbot von Lkw-Leerfahrten und Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene.

Doch sachpolitische Forderungen allein – und seien sie noch so gut begründet und überzeugend vorgetragen – reichen nicht aus, um künftige Wahl- und Abstimmungserfolge fremdenfeindlicher Rechtspopulisten zu verhindern. Denn diese Erfolge verdanken sich zu einem erheblichen Teil auch der völlig berechtigten Kritik am Demokratie- und Transparenzdefizit von Politik und Institutionen insbesondere der EU, aber auch einiger ihrer Mitgliedsländer.

Diese berechtigte Kritik lässt sich nur überwinden, wenn die EinwohnerInnen der EU-Staaten sowohl für die Entscheidungen, die in Brüssel oder vom Straßburger Europaparlament für den gesamten EU-Raum getroffen werden, wie für Entscheidungen auf nationaler Ebene endlich auch die direktdemokratischen Mitbestimmungsrechte erhalten, die die Eidgenossen haben.

Denn allein schon die Existenz dieser Rechte und Instrumente und die Möglichkeit, dass davon Gebrauch gemacht werden könnte, zwingt die politischen Entscheidungsträger in Regierung und Parlament zu mehr Transparenz. Und dazu, Gesetzesvorhaben und Beschlüsse frühzeitig öffentlich zu machen und zu begründen.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das Abstimmungsergebnis zu MEI hat mich, weil ich auf eine Annäherung der CH zur EU und damit mehr direkter Demokratie in der EU gebaut habe, besonders hart getroffen.

    Anderseits zeigt mir die Entwicklung in Ungarn und auch in der Ukraine, dass selbst der Umgang mit repräsentativer Demokratie gelernt werden bzw. wachsen muss.

    Ich hatte einfach zu viel Vertrauen in die gelebte direkte Demokratie in der CH. Trotz Minarett-Verbot und Ausschaffungsinitative, und zum Teil auch wegen der Diskussion zu diesen, hielt ich die geübte direkte Demokratie für stärker gegenüber Populismus.

    Sie beschreiben sehr anschaulich, in welcher Weise die SVP-Politik erst die Grundlage für viele der in der MEI-Initiative vereinnahmten Probleme war.

    In der Schlussfolgerung kann ich Ihnen folgen. Denn klar ist, gegen Populismus und Nationalismus, egal ob von links oder rechts, hilft es nicht, auf dem selben Niveau oder gar durch pures Aufgreifen der von Populisten vorgegebenen Argumente zu arbeiten.

    Dazu müssen positiv besetzte internationale oder zumindest europaweite Bündnisse auftreten. Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. die europäische Bürgerinitiative „Fraternité 2020“. Eine Vielzahl solcher Initiativen, die es dann auch schaffen hohe Popularität zu erreichen, wäre wünschenswert.

    Alleine mit der Angst vor Turbo-Kapitalismus und neoliberalen Auswüchsen(auch eine Form von Populismus?), ist hier nichts zu erreichen.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Ängste schüren und Feindbilder aufbauen ist die falsche Strategie."

     

    Ist aber die einzige Strategie, wenn Konsum- und Profitautist im "freiheitlichen" Wettbewerb um ... mit Plattformen in / auf UNwahrheit, Intrigen, Lügen und gepflegter Bewußtseinsschwäche arbeitet. ;-)

  • Sehr schöner Artikel, vielen Dank. Klare Analyse statt Ideologie, inhaltliche statt politische Korrektheit. Alle drei avisierte Maßnahmen, Steuerangleichung, Mindestlöhne, Basisdemokratie, sind immens wichtig.

     

    Trotzdem fehlt mir etwas, nämlich eben klare, vorurteilsfreie Analyse: Die Situation in der Schweiz ist mit fast 25% Ausländeranteil nicht mit der bei uns zu vergleichen und im Kampf gegen Rechtspopulismus die neoliberale Globalisierung angehen zu wollen ist, mit Verlaub, so altbacken linksideologisch als würde man den Faschismus (nach stalinistischer Dimitroff-Formel) weiterhin als aggressivste Form des Kapitalismus ansehen. Ich finde den zweimaligen Verweis auf die neoliberale Globalisierung in diesem Artikel so grausam und zynisch, weil es ja tatsächlich um Globalisierung geht, aber eben um eine direkt erfahrbare, tatsächlich beängstigende, um den Verlust von Heimat, um das

    Fremdwerden in der eigenen Heimat und um das Gefühl der Isolation, des Gemobbtwerdens, wenn diese Ängste als Rassismus oder kranke 'Phobie' verächtlich gemacht werden. Egal wie man das werten will, nur in einem Artikel über den Kampf gegen Rechtspopulismus weiterhin über das konkrete Erleben der Menschen und ihre gefühlten Ängste hinwegzugehen, ist zumindest taktisch ungeschickt. Das sich verhärtende öffentliche Bild des 'zynischen Gutmenschen' wird bei kommenden Wahlen im Kampf gegen Rechts weiterhin und zunehmend das Hauptproblem sein.

  • D
    D.J.

    "eine menschen- und völkerrechtskonforme Politik gegenüber Flüchtlingen aus außereuropäischen Ländern"

     

    Eine Sache, die sowohl von Rechte wie auch von manchen Linken gern mit dem völig anderen Problem der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb Europas vermengt wird.

    Und eine Sache, bei der es wenig Ehrlichkeit gibt: Sowohl auf ziemlich rechter Seite, wo man die Rechte tatsächlicher Flüchtlinge gern eingeschränkt sehen möchte, als auch auf sehr linker Seite, wo der Flüchtlingsbegriff oft so weit ausgedehnt wird, dass er jeglichen Sinn verliert (nicht hilfreich für die Akzeptanz von Flüchtlingen).

  • A
    Arne

    Um diese Wünsche in einer gemeinsamen linken Gruppe lösen zu können, müsste die EU, die ja immer noch nix anderes als eine Zollunion ist und nur so tut, als hätte sie etwas mit den Bewohnern innerhalb der EU oder assoziierter Staaten zu tun, vollständig reformiert werden.

     

    Solange dieses Grundproblem (Reformieren oder Revolutionieren per Neugründung) nicht gelöst ist, nutzen die sicherlich richtigen Vorschläge wenig.

    Ein wenig skeptisch bleibe ich bei dem landesweiten Mindestlohn. Man könnte einen europaweiten einführen und die Verpflichtung an einzelne Regionen geben, diesen entsprechend anzupassen, wenn die Produktivität in der Region weit über dem Durchschnitt Europas ist.

    Zusätzlich muss aber auch ein sozialer Mindeststandard für alle europäischen Staaten eingeführt werden, der ebenfalls für die Bewohner von produktiven Regionen höher sein muss.