Debatte Doping im Radsport: Im Zweifel fürs Spektakel
Höher, schneller, weiter – Radfahrern wird immer mehr Leistung abverlangt und alles ohne unfaire Mittel. Die Geschichte zeigt aber, das eine geht nicht ohne das andere.
R adfahrer sind von jeher Trendsetter gewesen. Sie beherrschten schon die Kunst der Selbstoptimierung, als es noch keine Pharmakonzerne, Yogakurse und Laufbewegungen gab. Seit über 100 Jahren wird in der Szene ausprobiert, was Radler schneller macht.
Anfangs waren das meist Aufputschmittel, Alkohol oder Kokain. Später wurde es ausgeklügelter, Hormone der Nebennierenrinde und der Hirnanhangsdrüse wurden gespritzt. Nahezu jedes neue Medikament wird auf Verwertbarkeit geprüft. Hilft es, wird es in den Kanon der Fitmacher aufgenommen. Das geht eine Zeit lang gut. Dann werden die Mittel verboten. Der Selbstoptimierung der Radler, der Leistungssportler allgemein werden Grenzen gesetzt, während der Rest der Gesellschaft seinen Körper ohne größere Verbote aufmöbeln darf. Gegen den Trend der Medikalisierung der Gesellschaft müssen Spitzensportler Meister der Enthaltsamkeit sein.
Ist das ungerecht? Irgendwie schon, weil der Sport, und das ist wohl seit den Griechen so, einen grotesken moralischen Überbau verpasst bekommen hat. Die Athleten müssen sich, so lautet das Verdikt, in einem fairen Wettkampf unter gleichen Voraussetzungen messen. Der Stärkere, Schnellere, kurzum: der Bessere gewinnt. Alles Unfaire und Unnatürliche ist in dieser Sphäre des – theoretisch – Hochmoralischen verboten.
ist Sport-Korrespondent der taz.
Leistungssportler, lebten sie wirklich nach diesen strengen Geboten, müssten quasi höhere, erleuchtete Wesen sein, denn von ihnen wird nicht nur verlangt, geradezu menschenunmögliche Leistungen wie auf einer dreiwöchigen Rundfahrt zu erbringen, nein, sie müssen diese Tortur auch noch ohne hilfreiche Substanzen durchstehen.
Saubere und moralische Supermänner
Sie müssen sauber und moralische Supermänner sein, Schmerzensmenschen, die trotz der Qualen immer nur zu Wasser und Brot greifen, obwohl auf dem Buffet noch ganz andere Sachen feilgeboten werden: Epo, Kortison, Blutbeutel, Testosteron und Wachstumshormone. Welcher Hochleistungssportler hört ihn nicht, den Sirenengesang der Selbstoptimierer?
Sportmediziner locken mit ihren Mitteln und Methoden. Masseure offerieren geheimnisvolle Cocktails. Kollegen im Team wissen, wie man mit ein paar Pillen schneller wird. Funktionäre schreien Höher-schneller-weiter und fordern Goldmedaillen sonder Zahl. Und der Manager warnt in eindringlichen Worten davor, dass sich das Zeitfenster des schnellen Geldes im Sport ganz schnell schließe. Wer da nicht dopt, ist selber schuld – oder ein echter moralischer Überflieger wie der ehemalige irische Radprofi Paul Kimmage, der schon bei der Einnahme von Vitaminen ein schlechtes Gewissen bekam. Kimmage ist die Ausnahme, der Betrug die Regel.
100-jährige Betrugskultur
Der Radsport, diese besonders anfällige Disziplin, hat den hohen Ansprüchen nie genügen können. Er ist immer den Verlockungen, den Erleichterungen erlegen. Man hat zu „unterstützenden Mitteln“ gegriffen. Man hat die Öffentlichkeit beschissen. Man hat gelogen und die Deppen außerhalb des Radsportsystems glauben lassen, hier ginge alles mit rechten Dingen zu. Es gibt im Radsport eine mindestens 100-jährige Kultur des Betrugs, und es liegt nahe zu behaupten, dass es auch in 100 Jahren noch tricksende Radler und Radsportfunktionäre geben wird.
Es gibt eine tief verwurzelte Tradition der Devianz. Sie vererbt sich von Radsportgeneration zu Radsportgeneration. Wer den Inner Circle betritt, der wird mit den Riten des Radsports vertraut gemacht, mit Spritzenkuren und Medikamentenmissbrauch. Er lernt, sein Verhalten zu rechtfertigen („Alle tun es“) und es zu verheimlichen („Ich wurde nie positiv getestet“). Er gibt nur das Unvermeidbare zu (siehe Lance Armstrong), und er behauptet, der Radsport sei auf dem Weg der Besserung („Wir stehen vor einem Neuanfang“).
Die Initiation eines Novizen sah ja meist so aus: Er bekam Einblick in das System des Medikamentenmissbrauchs, er wurde Teil des Ganzen, ein getunter Ritter der Landstraße, der nach außen die hehren Werte des Sports vertrat, sich in trauter Runde aber ins Fäustchen lachte.
Warum ist gerade der Radsport zum Hort des Dopings geworden? Ganz einfach: Weil es auf der Hand lag zu dopen. In den ersten Jahren der Tour de France wurden 300 Kilometer lange Etappen gefahren, über holprige Pisten mit Rädern ohne Gangschaltung und professionelle Betreuung der Rennfahrer. Die Radler starteten nicht selten schon kurz nach Mitternacht, um dann zehn, fünfzehn Stunden auf dem Rad zu hocken – jeden verdammten Tour-Tag bis zur körperlichen Erschöpfung. In dieser Überforderung, in dieser Inszenierung eines unmenschlichen Spektakels liegt der Keim des Dopings. Das Doping hat vor allem in den letzten 30, 40 Jahren wilde Blüten getrieben.
Der Sportfan – macht er mit?
Die Bekenntniswut von überführten Radprofis in den letzten Wochen wird nicht viel daran ändern, dass die Pflanze weiter wächst und gedeiht. Um sie mit Stumpf und Stiel auszureißen, müsste sich der Sport komplett verändern, dem Dopinggewächs müsste der Nährboden entzogen werden. Die Verbände müssten sich in absoluter Transparenz üben und die Altfunktionäre vom Hof jagen.
Staaten müssten darauf verzichten, Botschafter in Trainingsanzügen loszuschicken und kleinkariert Medaillen zu zählen. Der Sport müsste seinen zirzensischen Charakter verlieren und die Event-Manager der Frankreich-Rundfahrt oder des Giro d’Italia begreifen, dass es 130 Kilometer lange Etappen mit nur einem Bergpass vielleicht auch tun.
Aber machen da die Sportfans mit? Wird es der Breitensportler gut finden, jener unentdeckte kleine Selbstoptimierer, der sich vor seinem nächsten Marathon mit Kortison fitspritzen lässt und hochdosiert Aspirin einnimmt, damit das Blut schön dünn wird? Wird es der Sesselsportler goutieren, der jetzt wie ein Rohrspatz über Lance Armstrong und all die anderen „radelnden Apotheker“ schimpft? Wohl kaum, denn sie alle wollen das Event, die ultimative Show. Aber wer das Spektakel will, der muss auch Doping in Kauf nehmen. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Das hat die Geschichte der Selbstoptimierung im Sport gelehrt.
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