Debatte Doping im Fußball: Die Könige sind sauber
Voodoo-Politik, Heilsversprechen, Omertà: Der Profifußball ist ein Safe Space, der bestens funktioniert – obwohl es alle besser wissen müssten.
C ristiano Ronaldo kann nicht nur Tore schießen, er kann auch singen. Zur Feier des Sieges in der Champions League krächzte er mit heiserer Stimme vor Tausenden Fans in Madrid: „Somos los reyes de Europa, los que se dopan.“ Wir sind die Könige von Europa, die dopen. Tja, wie war das wohl gemeint? Ist ihm im Gefühl der Unantastbarkeit etwas Unüberlegtes herausgerutscht? War es nur ein Scherz, über den immerhin seine Teamkollegen herzlich lachen konnten? Oder offenbarte einer der besten Fußballspieler der Gegenwart eine tiefere Wahrheit?
Ronaldos Gesangseinlage war sicherlich nicht die Ouvertüre zu einem groß angelegten Bekenntnismarathon der Spieler und Mannschaftsärzte von Real Madrid, sondern nur die Sottise eines überdrehten Superhelden. Der Fußball hat, was Fragen des Dopings anbelangt, nichts Substanzielles mitzuteilen. Null. Nada. Niente.
Wenn das Thema doch einmal, dios mio, angeschnitten wird, dann heißt es schnell: Doping bringt im Fußball nichts. So etwas gibt es in der Branche nicht. Wer anderes behauptet, ist ein Nestbeschmutzer. Das ist in etwa so elaboriert wie die Behauptung, ein beherzter Tritt auf die Mietpreisbremse sorge für bezahlbaren Wohnraum in Ballungsräumen.
Das ist nichts anderes als Voodoo-Politik, und auch im Fußball gibt es viel Voodoo: Man glaubt an Heilsversprechen und an die Macht der Worte von Hohepriestern, die es eigentlich besser wissen müssten. Als da wäre Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Medizinmann des FC Bayern München. Der Sportarzt ist 75, taucht aber anscheinend jeden Morgen in einen Jungbrunnen und kann deshalb jugendlich-frisch in einem Interview mit der Zeit behaupten, Doping bringe im Fußball nichts.
ist seit 2005 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort Leibesübungen und schreibt regelmäßig auch über Leichtathletik und die Problematik Doping.
Eklatante Leistungssprünge
Das sagt ein Mann, der mit dem Kälberblutmittel Actovegin erstaunliche Behandlungserfolge hart am Rande der Legalität erzielte. Ein Mann, der schon mit Spritzen hantierte, als noch die berüchtigten Sportdopingärzte Klümper und Keul ihr Unwesen im westdeutschen Spitzensport und nachweislich auch in der Fußball-Bundesliga beim SC Freiburg und dem VfB Stuttgart trieben.
Der „Doc“ hat also zumindest Kenntnis davon, was man mit Muskelaufbaupräparaten wie Anabolika alles anstellen kann – und was mit Blutdopingmitteln wie Epo möglich ist. Die Leistungssprünge sind so eklatant, der Einsatz ist so verbreitet, dass man eigentlich nicht auf die Wirkung der Mittelchen verweisen müsste. Nur so viel: Anabolika, clever verabreicht, verkürzen die Rekonvaleszenz nach einer Verletzung, Epo verbessert die Ausdauerleistung, was bei Fußballern, die in einem Spiel bis zu 14 Kilometer rennen und zu Dutzenden Sprints ansetzen, eine fluffige Wirkung hat.
Der Kick hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten derart dynamisiert, und die Klubs sind dabei so reich geworden, dass der bestimmende Sport der Gegenwart als die Dopingsportart Nummer eins gelten darf.
Ammenmärchen vom dopingfreien Fußball
Aber Müller-Wohlfahrt ist in guter Gesellschaft von Verharmlosern und Fanverdummern wie Jürgen Klopp, Trainer des FC Liverpool, der gleichfalls der Meinung ist, Doping mache im Fußball „nicht wirklich Sinn“. Das sind Fake News, wie sie im Buche stehen. Aber die Bullshitter kommen damit auch deshalb durch, weil der Fußball eine Sonderrolle für sich reklamiert, einen Status, der ihm von Fans und Öffentlichkeit auch zugebilligt wird.
Fußball, das wird die kommende Weltmeisterschaft in Russland zeigen, ist der große globale Sport, der Fans in aller Welt in ihrer Begeisterung für ein Megaevent eint. Diese Stadionromantik sorgt dafür, dass selbst kritische Geister schwerste Symptome von Nachsicht und Indifferenz zeigen.
Diese Krankheit befällt so ziemlich alle: Intellektuelle, Journalisten, Fans und Politiker. Die Kolportage des Ammenmärchens vom dopingfreien Fußball funktioniert ebenso gut wie die Überführung des lebenswichtigen Fußballs in einen Schutzraum, weil die einen in Verzückung schwelgen und die anderen Geld und Einfluss haben, um ihre Narrative durchzudrücken. In dieser Black Box mag dann allerhand passieren: Medikamentenmissbrauch, Schwarzgeldzahlungen, Steuerbetrug. Aber was soll’s? Wird schon okay sein, was die da treiben, oder? Und Doping, das machen eh nur die Ski-Langläufer, Radfahrer und Leichtathleten!
Das große Schweigegelübde
Doch trotz der Omertà, einem Schweigegelübde, dem sich fast alle ehemaligen Fußballer verpflichtet fühlen, und trotz lächerlich lascher Dopingtests der nationalen und internationalen Antidopingagenturen, die zum Beispiel Spieler der deutschen dritten Liga gänzlich unbehelligt lassen, dringt manchmal doch etwas nach außen.
So wissen wir vom Epo-Missbrauch im italienischen Fußball, vom Fußball-Doping in der BRD, der DDR und in Russland, wir wissen auch von der Nähe der spanischen Liga zu einem gewissen Eufemiano Fuentes. Das war jener Gynäkologe, der nicht nur Radsportler wie Jan Ullrich mit frischem Eigenblut versorgte, sondern auch Verbindungen zu spanischen Großklubs unterhielt.
Während der Radsport als dopingverseucht gebrandmarkt wurde, kam der spanische Fußball ohne Folgen davon. Eine Aufarbeitung fand nicht statt. Als hätte sie einen Schutzheiligen mit galaktischer Energie, wurde die Branche verschont. Dabei wäre es doch verdammt interessant zu erfahren, was hinter der Erfolgsserie des spanischen Vereinsfußballs steckt. Klubs der Primera División haben seit dem Jahr 2000 dreißig von 56 europäischen Titeln gewonnen; nicht zu reden von den Erfolgen der spanischen Nationalmannschaft.
„Somos los reyes de Europa, los que se dopan.“ Ronaldo hat womöglich jenen Kritikern antworten wollen, die Reals Siegesserie in der Champions League – drei Titel hintereinander – auch auf Doping zurückführen. Er machte sich lustig über sie. Es war ein Spiel ohne Risiko. Was soll ihm schon passieren? Cristiano Ronaldo ist eine Ikone. Ein Held im Safe Space des Fußballs. Dort gibt es keine Dreckecken, sondern nur pure Verehrung.
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