Debatte Deutsche Politiker: Die Stimme der Kohlsuppe
Das deutsche TV hat mehr zu bieten als die Instinktlosigkeit der Minister. Wer keine Kraft zum Polit-Fremdschämen mehr hat, sollte "Voice of Germany" schauen.
E in Geständnis vorab: Auch ich schaue neuerdings gern "Voice of Germany". Jenen Liederwettbewerb also, in dem die Jury den Sängern zunächst den Rücken zudreht, sodass auch die zeitlos Gekleideten und Dicken eine Chance haben. Die Hauptattraktion der Sendung besteht allerdings darin, dass die hier wetteifernden Menschen allesamt singen können, in dieser Show mithin Leute nicht präsentiert werden, damit sie auf die Nase fallen, sondern damit sie tatsächlich vorhandene Fähigkeiten einsetzen, zum Wohl und zur Freude der Allgemeinheit.
Das ist ein unbezahlbares Alleinstellungsmerkmal in einer Zeit, in der die Fernsehsender nicht nur überquellen vor "Formaten", in der verwirrte Seelen animiert werden, vor einem Millionenpublikum die Hosen runterzulassen. Sondern auch die Übergänge zwischen diesen Blamiershows und den Nachrichtensendungen sind ja längst gleitend geworden. Ich sage nur: unsere regierenden Minister!
Als hätte irgendwer einen Wettbewerb im Fettnapfrutschen und Porzellanzerschmeißen ausgelobt, bieten unsere Jungs und Mädels gegen Jahresende noch mal geballte politische Instinktlosigkeit in einem solchen Maße auf, dass die Menge an Fremdscham, die sich während einer durchschnittlichen "Tagesschau" über das Wahlvolk senkt, ohne professionelle Seelsorge gar nicht mehr zu bewältigen ist.
ist Journalistin und Schriftstellerin. Zuletzt erschien von ihr: "Landleben. Von einer die raus zog" (DuMont Verlag). 2010 erhielt sie von Cedar den European Muslim Women of Influence Award.
Inkompetenz, Einfallslosigkeit und Peinlichkeit
Gern möchte ich an dieser Stelle jenen Exminister übergehen, der allen Ernstes hofft, sich gleichsam trotz Fälschens seiner Abgangszeugnisse nach einem Dreivierteljahr Schmollen ("Okay, ich hab mich erwischen lassen, aber beweist das nicht, dass ich nichts Böses im Sinn hatte?") wieder in die Herzen der Wähler pomadisieren zu können.
Ich spreche auch weder von unserem Außenminister, den seine eigene Partei als Anführer abgesetzt hat und der seither gerade noch gut genug ist, unser Land mit exzellenten Fremdsprachenkenntnissen als Woiss off Dschömenie in aller Welt zu vertreten, noch von seinem Parteierben, einem chronisch unrasierten Gesundheitsminister, von dem es dank seiner beratungsresistenten Mimik mehr peinliche Videoclips auf Youtube gibt als von jedem Möchtegern-Topmodel mit angeklebten falschen Haaren.
All diese Gestalten, die einfach nur lächerlich und peinlich sind, mal beiseitegelassen: Ernste Sorgen bereiten die anderen Kabinettsmitglieder, deren Inkompetenz, Einfallslosigkeit und rechte Agenda zu einer Gefahr für uns alle geworden ist. Denken wir an Hans-Peter Friedrich, der in der stetig absteigenden Linie unserer Innenminister seit (und inklusive) Schily ein neues Untergeschoss gräbt und dessen sonstiges "Programm" sich auf die beiden Punkte Vorratsdatenspeicherung und Zentralisierung beschränkt.
Die Reflexe des Ministers F.
Das Thema Vorratsdatenspeicherung ist bei ihm gleichsam zum Reflex geworden, und selbst wenn der Mond Keuchhusten hätte oder in einem brandenburgischen Naturschutzgebiet ein neuer Borkenkäfer gesichtet würde, würde Friedrich sofort aus seinem Kellergeschoss auftauchen wie das Kasperle im Puppentheater und verkünden, mit Vorratsdatenspeicherung könne das nicht mehr passieren.
Seine Forderung nach Kontrolle aller Landesbehörden durch ein zentrales Organ wiederum ist im selben Maße überzeugend wie die Summe der bisherigen Ermittlungsleistungen im Kampf gegen den rechten Terror. Nachdenklich gestimmt hat mich in diesem Zusammenhang erst die Feststellung der jüngsten Innenministerkonferenz, dass man auch in Zukunft V-Leute braucht, weil man ohne sie weniger Informationen über die Nazi-Szene hätte. Ich habe fix nachgerechnet: Dann kämen wir ja bereits in den Minusbereich!
Statt wie bisher null verwertbare Hinweise von den V-Leuten zu erhalten, müsste der Verfassungsschutz also von sich aus Nazis mit Informationen versorgen, finanziert aus Steuermitteln! Billiger kämen wir wohl, wenn sich Friedrich bereit erklären würde, jedes Mal, wenn er "Vorratsdatenspeicherung" sagt, 2 Euro in einen Sondertopf zu zahlen; dann könnten wir BürgerInnen uns eigene V-Leute im BKA kaufen.
Schröders fehlerhafte Interpretation der Statistik zur Zwangsehe
Doch vergessen wir nicht, dass die Kernkompetenz fürs rechte Netzwerk ohnehin im Familienministerium angesiedelt ist. Unter anderem als "Expertin für Extremismus" ist Kristina Schröder einst angetreten.
Seither jagt sie auf Schulhöfen die Feinde von Saumagen und Kartoffel, verwendet den Begriff "Extremismus" großzügig - in Richtung der Linken; verlinkte von ihrer Homepage zu Politically Incorrect und wird für ihre islamophoben Tendenzen in rechten Blogs gefeiert; wollte das Budget antiextremistischer Initiativen um 2 Millionen Euro kürzen; missinterpretierte die Statistiken des Kriminologen Pfeiffer und kürzlich die selbst in Auftrag gegebene Studie zur Zwangsehe derart, dass die Wissenschaftler sie zurechtwiesen.
Höchst heterogener Beraterstab
Erstaunlich an dieser Frau ist auch ihr häufiger Tonartenwechsel; manche Leute halten Schröder für noch gefährlicher als Friedrich, für eine hinterhältige Schlange. Ich dagegen vermute, dass die Ministerin einen höchst heterogenen Beraterstab hat, und wenn der eine, der eher Forsche, Dienst hat und sagt, sie soll auf den Putz hauen, dann haut sie, und wenn ein anderer sagt: "Friss Kreide!", dann frisst sie. Die Anbahnerin glücklicher blonder Familien, die Stimme der diskriminierten deutschen Kohlsuppe: So klingt sie!
Auch vergangenen Donnerstag sollte die Familienministerin wieder irgendwo im TV auftreten und wurde als "Dr. Kristina Schröder" angekündigt. Die Moderatorin betonte das "Doktor" auf eine Weise, dass man sich noch Minuten später fragte, ob diese Betonung dem Respekt geschuldet war oder nicht doch einen süffisanten Beiklang hatte. Aber dann hatte ich keine Lust mehr, mich länger damit zu befassen, sondern schaltete zu jener bereits erwähnten Musikshow, in der Dick und Dünn und Jung und Mittelalt aus voller Kehle singen, Frauen mit pumucklroten Haaren rocken und eine Afrodeutsche mit schönstem Schmelz eine Popballade hinlegte. Die Massen tobten vor Begeisterung, und ein Juror sagte: "The Voice of Germany: Hier ist sie!" Recht hat er.
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