Debatte Bürgerkrieg in Syrien: Waffen für die Deserteure

Die Ära nach Assad hat bereits begonnen. Aber die Welt übersieht weiter geflissentlich, dass die Zukunft von Syrien im Kampf entschieden wird.

Mitglieder der Freien Syrischen Armee in Aleppo. Bild: dapd

Während der Weltsicherheitsrat sich zum x-ten Mal uneinig ist, der UN-Sondergesandte für Syrien, Kofi Annan, vergeblich durch die Welt reist, und diverse Staatschefs das Blutvergießen mit den immer gleichen Worten verurteilen, überschlagen sich in Damaskus die Ereignisse.

Mitglieder der Führungsspitze sind tot, die Präsidentenmaschine ist gestartet, Schüsse fallen im Regierungsviertel, Wohngebiete stehen unter Artilleriebeschuss, Anwohner sind auf der Flucht, Hunderte Soldaten desertiert und hochrangige Militärs zur Opposition übergelaufen.

Der Krieg hat die Hauptstadt erreicht, die Schlacht um Damaskus tobt und die naiven Appelle des Auslands, doch „bitte endlich die vor drei Monaten vereinbarte Waffenruhe einzuhalten“, gehen im Gefechtslärm unter. Nein, das Schicksal Syriens wird nicht am Verhandlungstisch, sondern im Kampf entschieden. Eine geordnete Machtübergabe wird es – leider – nicht geben. Das hat drei Gründe: Baschar al-Assad, die Opposition und die internationale Gemeinschaft.

Assad wollte den Krieg

Präsident Assad hat von Anfang an auf eine militärische Lösung gesetzt und seine Gegner bewusst in den bewaffneten Kampf getrieben. Monatelang waren gemäßigte Oppositionelle bereit, mit Regimevertretern über einen demokratischen Übergang zu verhandeln. Ihre einzige Bedingung war, dass die Gewalt gegenüber friedlichen Demonstranten aufhört. Doch Assad ließ weiter schießen. Seit 16 Monaten hat er die Gewalt gegen Zivilisten an keinem einzigen Tag eingestellt, um einer Verhandlungslösung eine Chance zu geben.

Die verschiedenen politischen Oppositionsgruppen (der Syrische Nationalrat in Istanbul, das Nationale Koordinierungskomitee für einen Demokratischen Wandel in Damaskus, der Kurdische Nationalrat und andere Fraktionen), sind sich in einem wichtigen Punkt einig: Ein demokratischer Neubeginn in Syrien kann nicht mit Assad erfolgen. Sie sind bereit zu verhandeln, aber nur über die Machtübergabe. Assad selbst sieht sich dagegen als Retter Syriens.

Er wähnt die Mehrheit der Syrer hinter sich, muss sein Land vor Terroristen, Islamisten und ausländischen Verschwörern beschützen und darf sich deshalb nicht aus der Verantwortung stehlen. Seine eigene Entmachtung zu verhandeln kommt für ihn nicht in Frage. Es gibt folglich keinerlei inhaltliche Basis für Gespräche zwischen Regime und Opposition.

Der Tod seines Schwagers und weiterer enger Vertrauter könnte Assad jedoch aus dieser Parallelwelt reißen und ihm klarmachen, in welcher Gefahr er und seine Familie schweben. Gerüchte, er halte sich in der Küstenstadt Latakia auf (die wegen ihrer alawitischen Bewohner als zum Teil noch regimetreu gilt), und seine Frau Asma und die drei Kinder hätten das Land bereits verlassen, deuten in diese Richtung. Sollte sich die Schlinge weiter zuziehen, könnte er sich in letzter Minute auch für Flucht oder Exil entscheiden.

Die UNO? Unglaubwürdig!

Die internationale Gemeinschaft sitzt derweil auf der Zuschauerbank. Die UNO ist in Sachen Syrien handlungsunfähig. Der Weltsicherheitsrat kann sich nicht mal zur Androhung von Wirtschaftssanktionen durchringen, weil die Veto-Mächte Russland und China blockieren. Das bedeutet, es bleibt bei Appellen, die bisher am Regime in Damaskus abprallten und Assad nur mehr Zeit für seinen Krieg gegen die Aufständischen verschafften.

Die UNO hat in Syrien längst jede Glaubwürdigkeit verloren. Seit drei Monaten fordert der Annan-Plan einen Waffenstillstand, und obwohl er die Unterstützung aller Beteiligten hat, ist seit drei Monaten nichts davon umgesetzt. Im Gegenteil, die Gewalt eskaliert mit 60 bis 120 Toten pro Tag. Und die 300 unbewaffneten UN-Beobachter filmen vom Hotel aus die Rauchwolken über Homs und Damaskus oder eilen zum nächsten Massaker, um Blutspritzer und Granateinschläge zu dokumentieren.

Die meisten Oppositionellen haben deshalb schon vor Monaten realisiert, dass das Assad-Regime nur mit Gewalt zu besiegen ist und dass sie diesen Kampf allein ausfechten müssen. Daher die wachsende Zahl von „befreiten“ Gebieten und Deserteuren, die zunehmende Militarisierung des Aufstands und die immer besseren Waffen der Rebellen.

Die Opposition vorbereiten

Offiziell zögert der Westen, Aufständische zu bewaffnen mit dem Argument, mehr Waffen brächten mehr Gewalt. Aber machen wir uns nichts vor. Waffen finden ihren Weg ohnehin ins Land. Alles, was das Ausland jetzt tun kann, ist, die „richtigen“ Kräfte, also die Deserteure der Syrischen Armee zu unterstützen und damit den Einfluss radikaler Islamisten und internationaler Terrorgruppen zurückzudrängen.

Bei aller Ungewissheit über ihre Mitglieder und aller Unzulänglichkeit ihrer Organisationsstruktur ist die Freie Syrische Armee derzeit der einzige Akteur, der im Falle eines Regimesturzes das Land wieder stabilisieren könnte. Denn in ihren Reihen finden sich die meisten Überläufer und damit erfahrenes militärisches Personal, darunter 20 in die Türkei geflohene Generäle.

Die Kämpfe in Damaskus, der Anschlag auf Assads Krisenstab und massenweise desertierende Soldaten zeigen, dass die Freie Syrische Armee immer besser organisiert ist, Unterstützer in den oberen Machtzirkeln hat und den meisten Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Auch wenn sich einzelne Einheiten betont islamisch geben, bekennt sich die Kommandospitze in der Türkei zur religiösen und ethnischen Vielfalt Syriens.

Was wir in Damaskus sehen, ist der Anfang vom Ende. In den politischen Gremien der Welt muss deshalb dringend die Ära nach Assad diskutiert werden. Es geht nicht mehr darum, dem Regime mit Sanktionen zu drohen oder eine Machtübergabe zu verhandeln. Es geht um die Vorbereitung der Opposition für die Zeit nach dem Regimesturz.

Sie muss eine überzeugende politische und militärische Führung hervorbringen, die in der Lage ist, das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen, das Land zusammenhalten, für Sicherheit zu sorgen und das Funktionieren staatlicher Institutionen zu garantieren. Dafür hat sie Unterstützung verdient.

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