Debatte Altersarmut unter Frauen: Altersversorgung Ehemann
2030 werden Rentnerinnen oft weniger als als 1.000 Euro im Monat bekommen. Gegen Altersarmut hilft Heiraten mehr als das Rentensystem.
Altersarmut, mickrige Renten für Frauen und der Ehemann als Retter des Lebensabends: Die Rente hat das Zeug zum echten Streitthema in diesem Bundestagswahlkampf. Jetzt hat die Bertelsmann Stiftung auch noch Zahlen geliefert, die selbst die Schönredner verstummen lassen: Es wird noch schlimmer kommen, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht. Die, die zwischen Ende der fünfziger und Ende der sechziger Jahre so zahlreich auf die Welt kamen. Und denen manche vorhalten, sie würden, nachdem sie Jahrzehnte zuvor die Schulen und Ausbildungsstätten „überschwemmten“, demnächst die Rentenkasse plündern.
Nahezu jede dritte alleinstehende Frau, die in den 2030er Jahren in Rente geht, wird der aktuellen Studie zufolge auf Grundsicherung angewiesen sein, und schon jede zweite wird sich mit einem Alterseinkommen von maximal 950 Euro begnügen müssen. Da bleibt am Ende des Monats kaum etwas übrig für einen Kinobesuch, für ein Zeitungsabonnement, eine neue Waschmaschine oder einen Zoobesuch mit dem Enkel.
Von Teilhabe keine Rede. Dabei wurden für diese Prognosen neben der gesetzlichen Rente auch noch privat finanzierte Renten, Betriebsrenten und andere Einnahmen berücksichtigt. Und die Forscher identifizieren weitere „Risikogruppen“: Neurentner in den neuen Bundesländern; Rentner mit Migrationshintergrund, ohne Berufsabschluss, mit mindestens fünf Jahren Arbeitslosigkeit. In keiner dieser Gruppen ist der Anstieg so steil wie unter den alleinstehenden Frauen.
Ein Horrorszenario für die Zukunft einer ganzen Frauengeneration. Einer Generation, die gut ausgebildet und überwiegend berufstätig ist. Sie ist ein guter Indikator dafür, was falsch läuft mit der Rentenpolitik. Was können wir aus dem Blick auf diese Frauengeneration lernen? Erstens: Ausbildung und Erwerbstätigkeit schützen in Deutschland nicht vor Altersarmut. Zweitens: Niedrige Einkommen, Unterbrechungen der Berufstätigkeit oder Teilzeitarbeit (um Kinder großzuziehen, Angehörige zu pflegen, aber auch um sich fortzubilden oder eine Firma zu gründen) führen unausweichlich in die Rentenfalle.
Und drittens, so zynisch es klingen mag: Ein gut verdienender Ehemann ist offenbar für Frauen in Deutschland auch im 21. Jahrhundert noch immer die zuverlässigere Altersversorgung. Für viele zukünftige Rentnerinnen ist das nichts Neues, sie bekommen die „Abrechnung“ ja jedes Jahr per Rentenbescheid schwarz auf weiß ins Haus. Von Rentenpolitikern in Regierungsverantwortung werden diese Erkenntnisse seit Jahrzehnten ignoriert.
Mindestrente ab 20 Jahren Einzahlung?
Deshalb verstummt die CDU im Wahlkampf beim Thema Rente gleich ganz. Aber auch die Sozialdemokraten haben die Frauen mit den kleinen Renten nicht im Blick. Sie wollen das Rentenniveau zwar nicht wie geplant bis 2030 auf 43 Prozent absenken, sondern auf dem heutigen Stand einfrieren. Und sie wollen eine Solidarrente einführen, die 10 Prozent über dem Niveau der Grundsicherung liegt.
Ein höheres Rentenniveau bringt aber vor allem denjenigen ein sattes Plus, die sowieso schon eine gute Rente haben. Denen mit einer schmalen Rente beschert der prozentuale Zuschlag nur wenig und hebt sie im Zweifel nicht über die Armutsgrenze. Und die Solidarrente? Die Hürden liegen mit den geforderten 35 Beitragsjahren so hoch, dass nur wenige in den Genuss kommen. Offenbar war das Ziel nicht, möglichst vielen die Solidarrente zukommen zu lassen – sondern, möglichst viele davon auszuschließen.
Dabei könnte eine gut gemachte Solidarrente viele vor dem Absturz in die Sozialhilfe bewahren. Sagen wir: eine Mindestrente für Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung, die nicht 35, sondern nur 20 Jahre einbezahlt haben. Das wäre eine relativ sichere Haltelinie nach unten und sie wäre weder „systemfremd“ noch revolutionär. Denn eine Mindestrente gibt es in den meisten Ländern Europas.
Eine Mindestpension kennt übrigens auch das Beamtenrecht. Die liegt – Achtung, alle Nichtbeamten tief durchatmen – bei 1.400 Euro, entspricht also etwa der „Standardrente“, die Rentenversicherte heute bekommen – falls sie 45 Jahre lang in Vollzeit gearbeitet und durchschnittlich verdient haben.
Nicht nur das Existenzminimum
Aber eine staatlich organisierte Rentenversicherung soll ja nicht nur verhindern, dass Menschen von der Fürsorge abhängig werden – spätestens seit Adenauers Rentenreform Ende der fünfziger Jahre gilt: Eine Rentenversicherung soll denen, die fleißig Beiträge einzahlen, mehr bieten als nur das Existenzminimum.
Genau davon werden aber im deutschen Rentensystem diejenigen ausgeschlossen, die im Lauf ihres Lebens weniger verdienen als der oben erwähnte „Standardrentner“, der ein Leben lang durchschnittlich (nach heutigen Maßstäben) etwa 3.000 Euro im Monat brutto verdient hat. Die Höhe der Rente bemisst sich gnadenlos am Einkommen. Jede Abweichung vom Lebenslauf des „Standardrentners“ wird mit Abzügen bestraft.
Kristina Vaillant, geboren 1964, arbeitet als freie Journalistin und Dozentin, schreibt über Themen aus Wissenschaft und Forschung und ist Expertin für sozialpolitische Fragen. 2016 erschien ihr Buch "Die verratenen Mütter. Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt" (Droemer Knaur).
Dabei ginge es auch anders: In den neuen Bundesländern werden die im Vergleich zu den alten Bundesländern niedrigeren Löhne bisher in der Rentenversicherung aufgewertet und damit in eine höhere Rente umgemünzt. Warum hat man eine solche Regelung nicht auf ganz Deutschland ausgedehnt, anstatt sie zu streichen? In den USA wird eine ähnliche Variante der Umverteilung praktiziert: Der untere Teil des Einkommens wird höher gewertet als die darüber liegenden.
Übersetzt in das deutsche System hieße das: Das Rentenniveau wäre nicht einheitlich, es würde variieren und niedrige Einkommen zu 60 oder 70 Prozent in der Rente ersetzen, hohe Einkommen beispielsweise nur zu 30 oder 40 Prozent. So fände ein Ausgleich statt zwischen den unter- und überdurchschnittlich Verdienenden – und damit auch zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost und West, zwischen Branchen und Regionen mit hohen Gehältern wie dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie und solchen mit einem niedrigeren Lohnniveau.
So könnten Chancengleichheit und Solidarität im Rentensystem aussehen. Wenn dieses System für Frauen gerechter wird, profitieren davon am Ende alle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“