Debatte Afghanistaneinsatz: Gutkrieger hinter Panzerglas
Der moralische Anspruch an den Afghanistaneinsatz war in Deutschland immer sehr hoch. Doch tatsächlich schützt sich die Bundeswehr dort heute vor allem nur noch selbst.
S cheitern kann nur, wer sich Ziele setzt. Und wer sich besonders hohe Ziele setzt, der kann besonders dramatisch scheitern. Die der Bundeswehr beim Afghanistaneinsatz verordneten Ziele waren bislang besonders ambitioniert. Dem Land sollte Demokratie gebracht werden, den Frauen das Ende der Unterdrückung und allen Menschen Zugang zu Bildung. Freie Wahlen sollten organisiert, die Grundlagen für einen Rechtsstaat sollten gelegt werden.
Keine Bundestagsdebatte zu Afghanistan, in der die Bundeswehr nicht in emotionalem Überschwang für ihre Erfolge beim Bau von Mädchenschulen und der Abhaltung freier Wahlen gefeiert wurde. Der deutschen Öffentlichkeit präsentiert man sie als Truppe leicht bewaffneter Aufbauhelfer, die nicht kämpft, sondern sich um die Sorgen der Menschen kümmert.
Doch schon im Juni 2006 gab es einen kaum beachteten, aber wegweisenden Politikwechsel. Wehrminister Franz Josef Jung gab die Order aus, die deutschen Soldaten sollten von nun an, "wenn immer es geht", nur noch mit gepanzerten Fahrzeugen unterwegs sein. Aussteigen ist seitdem nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Die Bedrohung durch Anschläge hatte sich zu dieser Zeit auch im Norden des Landes, wo der Krieg doch angeblich schon seit 2001 beendet war, deutlich verschärft. Jetzt galt es zu verhindern, dass es weitere Verletzte und Tote unter den eigenen Leuten gab. Vor allem weil jeder Anschlag auf Bundeswehrsoldaten zu Hause als Misserfolg gewertet wird - und die Unterstützung für die Mission sinken lässt.
Und genau bei der Definition dessen, was als Erfolg gelten soll, beginnt das Problem der Bundeswehr in Afghanistan. Denn je stärker die eingesetzten Soldaten abgeschirmt sind, desto weniger können sie den Kern ihres politischen Auftrags erfüllen: den Aufbau demokratischer Strukturen. Wenn sich der Eigenschutz zur obersten Priorität eines Einsatzes entwickelt, dann müssen hehre humanitäre Ansprüche zwangläufig zurückgestellt und Kontakte zur Bevölkerung gemieden werden. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass die Soldaten das eigene, hermetisch abgeriegelte Feldlager nicht mehr verlassen.
Dies ist nicht graue Theorie. Nachdem im Mai 2007 drei Bundeswehrangehörige bei einem Anschlag auf dem Marktplatz von Kundus getötet wurden, verließ über Wochen kaum noch ein Soldat das Lager. Die Zahl der sogenannten Fernpatrouillen wurde drastisch reduziert. Ein Großteil der Fahrten außerhalb des eigenen Camps dient ohnehin nur dazu, Stellungen aufzuspüren, von denen aus die Bundeswehr beschossen werden könnte. Die Mission der als Aufbauhelfer gefeierten Isaf-Truppe wird zunehmend zum Selbstzweck.
Den Bundeswehrsoldaten vor Ort ist daraus kein Vorwurf zu machen. Sie haben das berechtigte Interesse, nach vier Monaten in Afghanistan unbeschadet nach Deutschland zurückzukehren. Und auch die Kommandeure sehen es verständlicherweise als ihre erste Aufgabe an, die eigenen Leute möglichst lebend und unverletzt zurückzubringen. Ihr Erfolg wird nicht daran gemessen, inwieweit sie den Aufbau einer afghanischen Demokratie vorangetrieben haben. Ihr Erfolg bemisst sich an der geringen Zahl benötigter Zinksärge.
Wer sich aber im Umfeld der Feldlager möglichst wenig Feinde machen will, der wird sich auch nicht mit den lokalen Warlords anlegen. Ein Insistieren auf demokratischen Grundrechten, eine Intervention für misshandelte Gefangene, ein Einschreiten gegen Menschenrechtsverletzungen - all das würde die Situation komplizieren. Womöglich wird man dann nicht mehr vor Anschlägen oder anderen drohenden Gefahren gewarnt.
Die dadurch bewirkte schleichende Abwendung von den einst hochtrabenden politischen Zielen in Afghanistan dürfte mit dem angekündigten Strategiewechsel der USA eine neue Dimension bekommen. Als Vorbild soll das Vorgehen im Irak dienen. Das Geheimnis der vermeintlich erfolgreichen Wende dort bestand aus drei Faktoren: Trennung der ethnischen Gruppen, Reduzierung der Luftangriffe durch verstärkten Einsatz von Bodentruppen, Einkauf bestehender bewaffneter Gruppen. Die letzten beiden Elemente, Truppenverstärkung und Waffenbruderschaft mit lokalen Milizen, sollen nun auch in Afghanistan den Erfolg bringen.
Im Kern ist die Zusammenarbeit mit lokalen bewaffneten Gruppen für die Kriegführung in Afghanistan nichts Neues: Schon der Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 wurde durch eine solche Outsourcing-Strategie erreicht. Die USA rüsteten die Warlords der Nordallianz aus und sandten selbst nur einige Spezialeinheiten, die bei Bedarf Luftunterstützung durch die Air Force anfordern konnten.
Daran soll jetzt angeknüpft werden. Die Maßstäbe, die man an die Warlords stellt, werden weiter gesenkt werden. So ist wohl auch das Angebot von US-Präsident Barack Obama an gemäßigte Taliban zu verstehen. Selbst der von den USA vorangetriebene Aufbau einer afghanischen Armee - von deutschen Wehrpolitikern nun als Allheilmittel zur Befriedung Afghanistans gepriesen - wird nicht viel anderes sein als eine Aufrüstung bestehender Milizen.
Mit einer irgendwie demokratisch zu nennenden Gesellschaftsordnung wird das mithilfe lokaler Warlords ruhiggestellte Afghanistan sehr wenig zu tun haben. Der Erfolg wird, so der Plan tatsächlich aufgeht, im besten Fall darin bestehen, dass er den US- und Nato-Truppen einen weitgehenden Rückzug ohne Gesichtsverlust ermöglicht. Ziel ist Ruhe im Land - mehr nicht.
Wenn es der Sache dient, dürften sich die USA in einigen Gebieten sogar auf die Machtübernahme durch islamische Fundamentalisten einlassen - wie in Pakistan schon geschehen. Und auch die Nato wird kaum einen Deal ausschlagen, mit dem sie einigermaßen elegant aus dem Schlammassel herauskommt.
Schwieriger wird es für die Bundesregierung - egal welche Farbe sie zum Zeitpunkt eines Rückzugs hat. Zwar versuchte Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Februar, die Erwartungen herunterzuschrauben. Nun solle es nur noch um "Stabilität aus eigener Kraft" und die Gewährung "elementare Menschenrechte" gehen, denn schließlich wolle man in Afghanistan nicht "die Riester-Rente und die Mülltrennung" einführen. Doch in keinem anderen Nato-Staat ist die Akzeptanz des Einsatzes so stark wie in Deutschland an den Anspruch gekoppelt, dass das eigene Militär einen selbstlosen Dienst zum Wohle der Menschheit leistet. Diese moralische Überhöhung war Grundlage des Bestrebens aller Bundesregierungen seit 1992, den militärskeptischen Deutschen das Kriegführen wieder schmackhaft zu machen.
In Afghanistan lässt sich nun nicht mehr verbergen, dass dieser Anspruch an Grenzen stößt. Als Ziel bleibt nur noch die Eigensicherung - und irgendwann der leise, gesichtswahrende Rückzug. Von den hehren Ansprüchen, ohne die der Isaf-Einsatz 2001 nie beschlossen worden wäre, wird dann nichts mehr übrig sein.
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