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Dauerfilm„Vier Wochen übers Meer“

In ihrem zwölfstündigen Reisefilm „Chamissos Schatten“ stellt Ulrike Ottinger die entvölkerte Region an der Beringsee zwischen Asien und Amerika vor.

Reste vom Wal und dem, was man für dessen Fang braucht: Strand an der Beringsee Foto: Ulrike Ottinger
Interview von Wilfried Hippen

taz: Frau Ottinger, „Chamissos Schatten“ ist zwölf Stunden lang und wird in vier Teilen in die Kinos kommen. Warum haben Sie sich für dieses extreme Format entschieden?

Ulrike Ottinger: Für mich hat jeder Film seine eigene Länge. Für diesen Film bin ich zur Beringsee gereist, in eine Gegend, die man nicht kennt und die schwer zugänglich ist. Und da muss man schon ein bisschen ausholen. Dabei geht es auch um die Verbindungen zwischen dem amerikanischen und dem asiatischen Kontinent. Die Westküste Alaskas und die Ostküste Sibiriens gehören ja kulturell zusammen, aber das ist nur wenigen Leuten bewusst. Und da muss man auch in die Vergangenheit gehen, um zu zeigen, dass die Menschen da mit ihren kleinen Fellbooten diese Distanzen zwischen den Inseln überwunden haben und sie nicht nur eine gemeinsame Sprache und verwandte Kultur haben, sondern auch direkt miteinander verwandt sind.

Dies machen Sie mit Texten von historischen Entdeckungsreisen deutlich, etwa der dritten Reise von James Cook 1778 auf der Suche nach der Nordwest-Passage oder von Adelbert Chamissos russischer Expedition in den Jahren 1815-18. Wie haben Sie mit diesen Quellen gearbeitet?

Wir haben das, was wir heute sehen mit dem verglichen, was vor 200 oder noch mehr Jahren beschrieben wurde.

Aber Sie erzählen ja auch in Ihren eigenen Worten davon, was in der Zeit dazwischen dort geschehen ist.

Nach den Pelzhändlern, die die Menschen dort entweder versklavt oder umgebracht haben und einer ersten Missionierung durch die russisch-orthodoxe Kirche kamen in dieser Region viele geopolitische Interessen hoch. Auf der amerikanischen Seite fand eine Form der Bevormundung, fast Entmündigung der indigenen Völker statt. Man hat ihnen verboten, ihre eigenen Sprachen zu sprechen und ihre Religionen lächerlich gemacht. Und in harscherer Form ist dies auch auf der russischen, sozialistischen Seite passiert, wo die Schamanen zum Teil umgebracht wurden. Diese Gegend war ja immer einsam, aber heute ist sie wie entvölkert, denn die vielen kleinen Siedlungen, die es entlang des Meeres gab, hat man im Sozialismus zwangsumgesiedelt.

In der Zeit des kalten Krieges gab es dann ja noch eine Zäsur, weil die Region militärisch streng bewacht wurde.

Sie bezeichnen sich mit Stolz als Eskimos, sogar auf der amerikanischen Seite

Diese Siedlungen wurden dann zu Grenzposten, die nach der Perestroika wieder aufgegeben wurden und bestehen jetzt nur noch aus verfallenen Häusern, die ich ja auch zeige. Hier kann man sich gar nicht vorstellen, wie einsam es dort heute ist.

Wie sind Sie denn dort gereist?

Ich hatte zwei Assistenten dabei. In Russland waren wir vier Wochen mit einem tschuktschischen Jäger auf zwei kleinen Booten an der Küste unterwegs. Dann sind wir mit einem russischen Forschungsschiff vier Wochen lang übers Meer gefahren. Auf der amerikanischen Seite haben wir mit einer Fähre die Inseln der Aleuten besucht und dort konnten wir auch eine Weile noch mit dem Auto fahren. Aber wenn die Straße aufhört, fängt die Wildnis an und von da an mussten wir zu Fuß weiter. Es gibt dort ja überhaupt keine Hotels oder Unterkünfte. Man wohnt entweder bei Leuten, im Zelt, oder man kann in irgendeiner Ecke in einer Hütte seinen Schlafsack ausrollen. Und es ist, gerade bei den Waljägern, extrem geruchsintensiv.

Sie zeigen auch in langen Einstellungen wie ein Wal gejagt, Fische ausgenommen oder ein Rentier und ein Seehund geschlachtet werden. Warum war Ihnen dies so wichtig?

Die Menschen dort leben ja weitgehend von der Subsistenzwirtschaft. Dies bedeutet, dass sie sich jeden Tag selbst versorgen müssen. Bei uns kennt man das ja überhaupt nicht mehr. Vielleicht macht hier noch jemand Marmelade ein, aber wenn man dort etwas essen will, muss man einen Fisch fangen oder ein Tier töten, muss ihm das Fell abziehen, es ausnehmen. Und ich finde es ganz wichtig, diese Tätigkeiten zu zeigen.

Im Interview: Ulrike Ottinger

73, wurde bekannt durch ihre Virginia-Woolf-Adaption „Freak Orlando“ und durch Dokumentationen über asiatische Kulturen wie „China – die Künste – der Alltag“ und den achteinhalb Stunden langen „Taiga“.

Dabei haben sie ja auch immer eine rituelle Bedeutung.

Dort herrscht die Vorstellung, dass es einem nur dann gutgeht, wenn man die Tiere, die man isst, auch richtig behandelt und sie wertschätzt. Die Vorstellungswelt dieser Menschen ist zutiefst animistisch. So wurden bei der Robbe, gleich nachdem sie getötet wurde, ein paar Barthaare zurück ins Meer geworfen.

Sie sprechen von Eskimos und nicht, wie angeblich politisch korrekt, von Inuit. Warum haben Sie sich für diesen Begriff entschieden?

Man kann sie auch Yupik nennen, sie nennen sich aber alle selbst Eskimos und wollen auch so genannt werden. Ich habe das mehrmals hinterfragt, weil mich das auch gewundert hat, aber sie bezeichnen sich mit großem Stolz als Eskimos. Und zwar sogar auf der amerikanischen Seite, wo dies sonst verpönt ist.

Können Sie noch kurz den Titel Ihres Films erklären ?

Adelbert Chamisso hat die Geschichte des Schlemihl geschrieben, der seinen Schatten eintauscht und dann alles daransetzt, um ihn wieder zu erhaschen. Ich versetze mich nun ein wenig an seine Stelle, mache mir Chamissos Satz zu eigen und sage: „Schatten, suchst Du Deinen Herrn, der will ich sein!“ Und Chamisso wirft ja auch seinen Schatten auf meine Reise, weil er durch seine Texte präsent ist. Dies ist solch ein vielfältiges Bild, dass ich es als eine Metapher für die Art sehe, wie ich Filme mache.

Die vier Teile kommen heute, am 14. April sowie dem 5. und 26. Mai in die Kinos. Sie werden in Hamburg im Abaton und Zeise, in Hannover im Kino im Künstlerhaus sowie im Kommunalen Kino Kiel gezeigt.

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