Dating-Tipps von Pick Up Artists: Anbaggern oder vergewaltigen?
Gegen die Seminare sogenannter Pick Up Artists formiert sich weltweiter Protest. Auch in Deutschland wird überlegt, wie man ihnen das Handwerk legen kann.
BERLIN taz | Das Video ist nicht mehr verfügbar. Urheberrecht. Aber als es noch verfügbar war, da prahlte dort ein junger bärtiger Mann vor einem Publikum anderer junger Männer damit, dass er eine Frau penetriert habe, die das gar nicht wollte. Sie hatten am Abend zuvor Sex gehabt, am nächsten Morgen wollte er weitermachen, sie wollte nicht – aber das sei ihm egal gewesen, erzählt er stolz.
Etwas spät ist der US-Firma Real Social Dynamics, für die der junge Mann arbeitet, klar geworden, dass da jemand per Video eine Vergewaltigung gesteht. Viele haben es bereits gesehen – und so ist die Firma Real Social Dynamics, kurz RSD, die Seminare für Männer anbietet, die Frauen abschleppen wollen, plötzlich ein Begriff. #takedownrsd und #takedownjulienblanc heißen die Twitter-Hashtags, unter denen sich wütender Protest sammelt. „Ziel ist, dass diese Firma verschwindet“, sagte Initiatorin Jennifer Li aus Washington, der BBC. Und auf Change.org gibt es eine Petition, die auffordert, die Seminare von RSD zu verhindern.
Wer steht hinter RSD? Es sind Leute wie Julien Blanc, von dem sich noch Videos im Netz finden. „Wenn du als weißer Mann nach Tokio kommst“, erklärt er dort seinem Publikum, „kannst du tun, was du willst: Pack sie einfach, zieh sie zu dir, sie wird einfach nur kichern. Ich lief dort durch die Straßen und zog ihre Köpfe zu meinem Schwanz, Kopf zum Schwanz, Kopf zum Schwanz. It’s awesome.“ Ja, wirklich. Danach gibt es noch ein paar Szenen aus einer Disco, in denen er das Empfohlene vorführt. Tatsächlich kichern die Frauen. Aber wahrscheinlich eher, weil er sich wie ein Idiot verhält.
Wer tut sich so einen rassistischen und sexistischen Quatsch an? Eine Menge Leute. Die Firma bietet Seminare in 70 Ländern rund um die Welt an. RSD meint, sie sei die größte Dating-Beratung der Welt. Man kann einen Audio-Kurs buchen, einen E-course, ein DVD-Set bestellen oder gar ein mehrtägiges Bootcamp besuchen.
Bootcamps in Berlin
Am Wochenende soll angeblich eines der Bootcamps in Berlin stattfinden. Ort: noch unbekannt. Nicht Julien Blanc, sondern ein anderer Trainer soll es leiten: „Ozzie“. Er hat ein Buch über „The physical Game“ verfasst, Untertitel: „Wie man Frauen physisch führt und ins Bett kriegt“.
Das Seminar sei bereits ausgebucht, heißt es auf der Website. Es kostet 2.000 Dollar und dauert zwei Tage, Praxisübungen in freier Wildbahn inklusive. „Zurückweisung existiert für sie nicht“, wirbt Testimonial Josef G. aus Minneapolis auf der Homepage. „Ich war schockiert, dass Typen, die man wirklich als schwierige Fälle bezeichnen kann, die Frauen nur so einsammelten.“
Dass dies durch gröbste Belästigung von Frauen ermöglicht werden soll und sich einzelne Coachs offenbar für sexuelle Gewalt aussprechen, hat eine rapide wachsende Gemeinde von Kritikerinnen und Kritikern auf den Plan gerufen. Hoteliers werden aufgefordert, die Räume für die Seminare zu stornieren. In Australien trug der Protest bereits Früchte: Mehrere australische Hotels sagten Seminare ab. Schließlich reagierte auch Australiens Innenministerium: Vergangenen Donnerstag setzte es Blanc auf die Liste unerwünschter Personen und entzog ihm das Visum. Er musste ausreisen.
In Deutschland reagierte außerhalb der sozialen Netzwerke bisher vor allem die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes: „So weit wir das sehen können, wird in diesen Veranstaltungen zu sexueller Gewalt gegen Frauen aufgerufen“, sagt Birte Rohles, Referentin der Organisation. „Das ist nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt.“
Offener Sexismus
Die Politik schreckt gerade erst auf: „Nicht nur Julien Blanc ist untragbar. Auch Veranstalter sollten endlich überlegen, ob sie diesem Coach der Gewalt und des Sexismus noch Räume vermieten“, sagte die Linken-Abgeordnete Cornelia Möhring der taz. Und die Grüne Ulle Schauws sagt: „Diese Marketing-Masche ist an offenem Sexismus kaum zu überbieten. Und zwar gegenüber Frauen wie Männern.“
Die Firma reagiert erst allmählich: Sie lässt Videos sperren und Mitgründer Owen Cook, der im Netz als „Tyler Durden“ firmiert, dem Protagonisten aus dem Film „Fight Club“, soll inzwischen ein Statement zu Blancs Videos verfasst haben: „Das Video war absolut dumm“, schreibt er dort nach einem Bericht der Washington Post. „Es wurde veröffentlicht, um zu schockieren. Dabei war Blanc nicht bewusst, was daraus folgt. Es tut mir leid“, heißt es da. Sucht man das Statement jedoch auf der Homepage seiner Firma, gerät man in einen Passwort-geschützten Bereich.
Fraglich, ob das ausreicht, um die Proteste zu beruhigen. Kanada denkt ebenfalls schon über eine Einreisesperre für Blanc und Konsorten nach. Für Deutschland aber brauchen US-Amerikaner kein Visum. Und die Hotels, in denen die Veranstaltungen stattfinden, hält die Firma bislang geheim. Anfragen der taz kamen gestern nicht zu RSD durch: Der Server war überlastet.
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