Datenschwund bei linker Rechtshilfegruppe: Rote Hilfe hilflos
Eine Festplatte mit Mitgliederdaten verschwand aus der Geschäftsstelle der linke Rechtshilfeorganisation in Göttingen. Der traditionell äußerst verschwiegene Verein ist zerknirscht.
Der linken Rechtshilfeorganisation Rote Hilfe ist eine Festplatte mit Mitglieder- und Kontodaten gestohlen worden. Die Platte befand sich in einem Stahlschrank des "Roten Zentrums" in Göttingen, in dem die Bundesgeschäftsstelle des Vereins Büros hat.
Der Diebstahl wurde schon Anfang Mai begangen, ist aber erst jetzt bekanntgeworden, nachdem Mitglieder einen Brief des Rote-Hilfe-Vorstands öffentlich machten. Die Mitgliederdaten sind heikel: Neonazis und Verfassungsschutz interessieren sich seit langem für die Rote Hilfe. Und auch Politikern tut es nicht unbedingt gut, wenn bekannt wird, dass sie die als "linksextrem" eingestufte Organisation unterstützen. Noch-Juso-Chefin Franziska Drohsel hätte 2007 unter dem Druck einer Kampagne der CDU fast zurücktreten müssen, als bekannt wurde, dass sie Mitglied der Roten Hilfe war.
In einer Erklärung des Vorstandes heißt es, der Diebstahl sei möglicherweise durch einen "fahrlässigen Umgang einer anderen Gruppe mit Schlüsseln begünstigt worden". Von einem "gezielten Einbruch" könne "jedenfalls nicht ausgegangen werden". In dem Gebäude haben neben der Roten Hilfe auch die Linkspartei und die DKP ihre örtlichen Geschäftsstellen.
Es sei "unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich", dass die Diebe mit Hilfe der gestohlenen Daten unberechtigte Abbuchungen von Konten der Rote-Hilfe-Mitglieder vornehmen. Die Mitglieder wurden aufgefordert, "Kontobewegungen genau anzuschauen und falsche Abbuchungen zu reklamieren".
Ein Sprecher der Göttinger Polizei sagte, die Rote Hilfe habe den Diebstahl bis Dienstag noch nicht angezeigt.
Die 1975 gegründete Rote Hilfe ist die wichtigste Hilfsorganisation für linke Polit-Aktivisten in Deutschland. Antifas, Gipfeldemonstranten, Atomkraft- oder Hartz-IV-Gegner: Sie alle werden von ihr unterstützt, wenn sie Anwälte, Prozesskosten oder Bussgelder nicht bezahlen können.
Weil man seit jeher Ausforschung fürchtet, ist das in der linken Szene verbreitete Bemühen um Anonymität bei der Roten Hilfe besonders stark ausgeprägt: Ortsgruppen sind oft nur über Postfächer erreichbar, die Namen der Vorstandsmitglieder werden nicht veröffentlicht, geschweige denn jene von Mitgliedern und UnterstützerInnen. Umso unangenehmer ist der Datendiebstahl der Organisation auswachsen.
Der Bundesvorstand hatte erklärte, er bedaure die Ereignisse "zutiefst" und übernehme die "volle politische Verantwortung" für den Vorfall. Dennoch wolle man bis zur nächsten Bundesdelegiertenversammlung im September weiterarbeiten "um dort Rede und Antwort zu stehen und für größtmögliche Transparenz zu sorgen".
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