Datenschutz bei Gentests: Gefährliches Wissen
Firmen wie „23andMe“ verkaufen Tests, mit denen man seine Gene auswerten lassen kann. Wie die Daten genutzt werden, verschleiern sie.
Auf YouTube werden die Videos millionenfach geklickt: Emotional aufbereitete Geschichten von Menschen, die über einen Gentests die Wahrheit über sich erfahren. Da sind zum Beispiel die nach der Geburt getrennten und zur Adoption freigegebenen Geschwister Mandy und Jason, die sich nach über 40 Jahren wiederfinden. Oder eine Homestory über die junge Mutter Ann, die durch einen Test von ihrem erhöhten Brustkrebsrisiko erfuhr und nun regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung geht.
Die Videos sollen wirken wie Dokumentationen. Doch sie sind Eigenwerbung von 23andMe, eines der größten von zahlreichen Unternehmen wie MyHeritage oder Ancestry, die solche Gentests zum nach Hause bestellen anbieten. Ein Wangenabstrich oder einige Male in ein Röhrchen spucken genügen, um genaue Genprofile erstellen zu lassen und laut den Unternehmen Fragen beantworten zu können wie „Woher stamme ich ab?“ und „Welche unentdeckten Krankheiten schlummern in mir?“.
Die Anbieter werben damit, die genetische Identität ihrer KundInnen auf das Prozent genau berechnen zu können, und haben damit bisher insgesamt 23 Millionen Tests weltweit verkauft. Dabei sind es vor allem die Unternehmen wie 23andMe, die von diesem Wissen in Form von DNA-Datenprofilen profitieren, um beispielsweise damit zu forschen oder an andere Forschungseinrichtungen weiterzuverkaufen. Darüber informiert werden die KundInnen beiläufig im Kleingedruckten in den Verkaufsverträgen.
„Wer liest sich schon das ganze Kleingedruckte durch“, sagt Lukas Hartmann, der 2010 einen Abstammungs- und Gesundheitstest bei 23andMe machte. Der 34-jährige arbeitet in Berlin als Programmierer und Start-up-Gründer und bereut heute, dem Gentestanbieter so bereitwillig seine DNA übermittelt zu haben.
Ein DNA-Kit: 100 Euro
Datenschutz sei vor ein paar Jahren noch kein so großes Thema gewesen und die Genanalyse „klang total futuristisch, das wollte ich einfach unbedingt ausprobieren“. Für 100 Euro bestellte er sich damals das DNA-Kit nach Hause. Seitdem hat sich seine Einstellung zur freiwilligen Weitergabe seiner Daten verändert.
Als Programmierer für verschiedene Internetdienste bekommt er regelmäßig mit, wie Unternehmen unvorsichtig mit den Daten von KundInnen umgehen und auch Datenlecks vertuschen. Die Wissensmacht der Gentestanbieter hält Hartmann deshalb für gefährlich: „Die wissen alles über meine Gene und können dieses Wissen auch weitergeben.“
Patrick Chung, Vorstand, 2013
Im Falle von 23andMe gehört Datenweitergabe sogar zum Unternehmenskonzept. Mit den DNA-Proben der KundInnen sollen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson erforscht und soll die Medizinbranche revolutioniert werden. Dafür arbeitete das Unternehmen mit zahlreichen Pharmakonzernen wie Pfizer oder P&G Beauty zusammen. Im letzten Jahr erhielt 23andMe laut eigenen Angaben 300 Millionen Dollar vom britischen Arzneimittelhersteller GlaxoSmithKline (GSK) für die Bereitstellung von insgesamt 5 Millionen Genprofilen.
Über diesen Datenverkauf belehrt wurde Hartmann bis heute nicht. Im Gegenteil: 23andMe wollte ihn dazu ermutigen, „sein Profil zu vervollständigen“ und noch weitere Informationen über sich preiszugeben, die nicht durch seinen Speichel ermittelt werden konnten. In Studien sollte er unter anderem angeben, welche Lebensmittel für ihn bitter schmecken oder ob er nachts gut schläft. Dadurch, so Hartmann, versuche das Unternehmen ein immer genaueres Profil über ihn zu erstellen.
Undurchsichtige Verfahren
Wie schützt 23andMe diese sensiblen Informationen der KundInnen, wenn gleichzeitig mit dem Verkauf Geld verdient wird? Auf seiner Internetseite erklärt das Unternehmen, sämtliche Daten würden „so zwischen den KundInnen zusammengefasst, dass die Chance auf Offenlegung persönlicher Informationen minimiert wird“. Im Vertrag würden die KäuferInnen überdies auf die Forschung zu Erbkrankheiten hingewiesen und könnten dieser im Zweifelsfall widersprechen, teilte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage mit.
„Das ist einfach gelogen, die Verfügungsmacht ist durch das Kleingedruckte massiv eingeschränkt“, sagt hingegen der Jurist Thilo Weichert. Von 2004 bis 2015 arbeitete Weichert als Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holsteins. Er kritisiert das undurchsichtige Vorgehen von Gentestanbietern wie 23andMe, da keine der Firmen offenlege, für welche Forschungsprojekte genau sie die Gendaten heranziehen: „Als Kunde habe ich keine Ahnung, geschweige denn die Kontrolle darüber, was die mit den Daten machen.“
Kritisch sieht Weichert auch die Nähe von 23andMe zum Google-Konzern. Der Hintergrund: Als 23andMe 2006 von Anne Wojcicki gegründet wird, ist Google Ventrues, die Kapitalgesellschaft von Google, einer der Hauptinvestoren. Insgesamt 3,6 Millionen Dollar werden an das Start-up gezahlt.
Genannt wurde die Summe von Wojcickis damaligem Ehemann Sergey Brin, dem Mitbegründer von Google. Die beiden ließen sich 2015 scheiden, doch änderte das nichts an der ökonomischen und personellen Verbindung zwischen den Unternehmen. So ist die Schwester von Anne Wojcicki, Susan Wojcicki, die Geschäftsführerin des Google-Videodienstes YouTube. Im Vorstand des Gentestanbieters sitzt außerdem seit 2017 Neal Mohan, oberster Werbestratege von YouTube und bis 2015 auch im Vorstand von Google tätig.
Verwicklungen mit Google
„Es würde mich nicht wundern, wenn die Gendaten von 23andMe mit den Internetdaten von Google kombiniert würden“, sagt Thilo Weichert. Dadurch könnte Google noch genauere NutzerInnenprofile erstellen, als das nur mit den Webdaten möglich ist, und auf die DNA zugeschnittene Werbung schalten. Wer erblich bedingten Haarausfall hat, müsste demnach zukünftig nicht mehr nach Haarwachstums-Shampoos suchen, um solche Produkte vorgeschlagen zu bekommen.
Auf jeden Fall vergleicht sich 23andMe bereits mit dem Suchmaschinengiganten. Auf lange Sicht sei es nicht das Ziel von 23andMe, Geld mit den DNA-Kits zu verdienen, offenbarte Vorstandsmitglied Patrick Chung im Oktober 2013 in den amerikanischen Medien. Stattdessen wolle das Unternehmen mit den gesammelten Daten „das Google der personalisierten Gesundheitsvorsorge werden“. Dafür sei es essenziell, so viele von den Tests wie möglich zu verkaufen.
Um ihr Produkt zu bewerben, investiert 23andMe deshalb auch jede Menge Geld, 21 Millionen Dollar Werbebudget fielen allein 2017 an. Dabei setzte man vor allem auf die Verbindungen zu YouTube. 2016 begann das Start-up, seine Produkte auf der Videoplattform zu bewerben; sowohl mit Eigenproduktionen, aber auch mit gesponserten Produktplatzierungen bei beliebten InfluencerInnen, die Geld dafür erhalten, ihre Testergebnisse vor der Kamera zu präsentieren. Der Kanal Buzzfeed mit 18 Millionen AbonnentInnen widmete der Marke sogar eine eigene Werbeserie mit sieben Folgen, in der MitarbeiterInnen die Ergebnisse ihres 23andMe-Tests vor der Kamera besprechen.
Die Strategie geht auf: Vier Millionen KundInnen hat das Unternehmen allein in den letzten drei Jahren hinzugewonnen. Andere Gentestanbieter werben deshalb ebenfalls verstärkt auf YouTube, nennen sich Ancestry, MyHeritage oder tellmeGen. Sie bieten keine Gesundheitstests an, sondern ausschließlich Ahnenforschung – auch, weil seit Ende 2013 in vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland, keine genetischen Gesundheitstest mehr durch Privatunternehmen verkauft werden dürfen. Ahnentests hingegen sind weiterhin erlaubt.
Gentests mittlerweile verboten
Die Anbieter wie Ancestry und MyHeritage stehen ebenfalls in der Kritik, ihre KundInnen nicht ausreichend über die Datenverarbeitung zu informieren. Immerhin wandert auch hier die DNA durch zahlreiche Hände; von den Paketzulieferern zu den meist extern beauftragten Laboren, um dann anschließend auf diversen Computerservern gespeichert zu werden.
Als reinen Ahnentest, ohne das Zusatzangebot der Gesundheitsanalyse hätte Lukas Hartmann den Test bei 23andMe damals nicht gemacht – trotzdem ist er froh, dass der mittlerweile in Deutschland verboten ist. Die Ergebnisse der Ahnenforschung hätten ihm keinen Erkenntnisgewinn gebracht, außer einer „Darstellung, zu wie viel Prozent ich dieselben Gene wie Neandertaler habe“.
Wer sich wirklich für die eigene Herkunft, Verwandtschaft oder Gesundheit interessiert, der solle einen Test unter professioneller medizinischer Betreuung durchführen lassen, meint Hartmann, anstatt Privatunternehmen die Macht über die eigenen Daten zuzugestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen