Datenschützerin verschickt Warnung: Volksbanken wollen gläserne Kunden
Die Volksbanken möchten Kundenprofile erstellen, um gezielter Werben zu können. Niedersachsens Datenschutzbeauftragte befürchtet Datenschutz-Verstöße.
Die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel hält dieses „Smart-Data“-Projekt der VR-Banken für problematisch. Nach Prüfung eines Pilotprojekts hat sie jetzt eine Warnung an alle weiteren 89 Volks- und Raiffeisenbanken im Land verschickt: Die den Kunden vorgelegten Einwilligungsformulare seien rechtswidrig. „Ich habe mich dazu entschieden, Warnungen auszusprechen, um die Banken davon abzuhalten, schwerwiegende Verstöße gegen das Datenschutzrecht zu begehen“, schreibt Thiel.
Die Hoffnungen der Branche und die Befürchtungen Thiels bringt ein Beitrag von Patrick Freudenstein im Bank-Blog auf den Punkt: „Die intelligente Analyse von Kundendaten aus unterschiedlichen Quellen funktioniert wie eine Lupe, mit der quer durch eine meist heterogene Kundschaft persönliche Ambitionen, Lebensvorstellungen und Präferenzen mit großer Detailschärfe sichtbar werden“, formuliert der Manager von Atruvia, dem IT-Dienstleister der Genossenschaftsbanken. Und daran könne dann eine Service-Aktion angeschlossen werden, „die perfekt auf die momentane Bedarfssituation zugeschnitten ist“.
Wenn es das Kundenprofil gerade hergibt, würden sie nicht nur einen Hauskredit anbieten, sondern nach Abschluss des Vertrages auch noch die Handwerker für den Bau vermitteln. Statt im Elektrofachmarkt auf Raten kaufen zu müssen, hätten die Bankkunden längst das Angebot für einen Konsumentenkredit im Postfach und auch das Geschäft mit dem Auto-Leasing würden die Banken in die eigene Hand nehmen. Freudenstein spricht in diesem Zusammenhang von „vollkommen neuen Wertschöpfungsoptionen“.
Barbara Thiel, Datenschutzbeauftragte
Mit dem Smart-Data-Verfahren würden Kunden herausgefiltert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Produkt interessiert seien, erläutert die Datenschutzbeauftragte Thiel. Zur Berechnung, ob jemand beispielsweise Interesse an einem Konsumentenkredit habe, würden 162 Datenfelder genutzt, etwa zum Bezug sozialer Leistungen, den Ausgaben für Haushalt und Lebensmittel, den Fahrzeugkosten und den Umsätzen im Internet. Zudem würden von externen Dienstleistern Daten zum Wohnumfeld angekauft.
„Zahlungsverkehrsdaten sind sehr sensibel, weil sie Informationen über das Konsumverhalten, Beziehungen zu anderen Menschen, die wirtschaftliche Lage und persönliche Vorlieben enthalten“, warnt Thiel. Weil sie Rückschlüsse auf das berufliche und private Leben erlaubten, müssten Betroffene die Möglichkeit bekommen, über die Verwendung ihrer Daten selbst zu bestimmen.
Der Bundesverband der VR-Banken weist darauf hin, dass Zahlungsverkehrsdaten im Bankenjargon Kontoumsatzdaten seien, und auf solche werde „im Rahmen von Smart Data nicht unmittelbar zugegriffen“. Abgesehen davon würden Kundendaten „nur nach einer umfangreichen Interessenabwägung und transparenten Information beziehungsweise einer ausdrücklichen Zustimmung des Kunden“ analysiert. Daher hält er „das Vorgehen der Datenschutzaufsichtsbehörde Niedersachsen für uns nicht nachvollziehbar“.
Eine Interessenabwägung reiche nicht aus, schreibt dagegen Thiel. Und auch die verwendeten Einwilligungsformulare nicht, „weil die Kundinnen und Kunden nicht selbst entscheiden können, ob und welche konkreten Smart-Data-Verfahren durchgeführt werden“. Stattdessen könnten sie nur allgemein in die Profilbildung für Werbezwecke einwilligen, ohne dabei den Umfang steuern zu können.
Aus Sicht von Atruvia spielt Smart Data „eine entscheidende Rolle für die Zukunftsfähigkeit des genossenschaftlichen Geschäftsmodells“. Es biete die Chance, der zunehmenden Konkurrenz von Non- und Neo-Banken etwas entgegenzusetzen. Mit Hilfe von Smart-Data-Verfahren, so die Vision, könnten die Genossenschaftsbanken zur zentralen Internet-Plattform ihrer Kunden in Gelddingen werden.
Voraussetzung dafür ist allerdings das Vertrauen der Kundschaft. Hier hätten die VR-Banken einen Wettbewerbsvorteil, findet Freudenstein: „Als echter Trumpf erweist sich das einzigartige Renommee der VR-Banken.“ Die Kunden von VR-Banken seien daher eher als die anderer Banken bereit, persönliche Informationen frei zu geben. „Selbstverständlich darf dieses Vertrauen niemals enttäuscht werden“, warnt Freudenstein, „sonst wäre es unwiederbringlich dahin“.
Der Bankenverband BVR weist auf die Vorteile für die Kunden hin. Die Analyse von Kundendaten solle sicherstellen, dass Kunden „nur Informationen, Empfehlungen und Angebote erhalten, die sie auch wirklich interessieren“. Darüber, wie das ausgestaltet werden müsste, spreche der BVR mit allen Datenschutzaufsichtsbehörden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut