Das war die Woche in Berlin II: Die Dialektik des Michael Müller
In seiner Regierungserklärung beschäftigte sich der Regierende auch mit der Zivilgesellschaft – ist dabei aber zwiegespalten.
Im Wahlkampf staatstragend aufzutreten und alle – wie es so gerne heißt – Demokraten einen zu wollen im Kampf gegen Intoleranz und politische Dummheit, ist eine schwierige Sache. Am Ende von Michael Müllers Regierungserklärung am Donnerstag im Abgeordnetenhaus war man nicht so ganz sicher, wen der SPD-Mann mitnehmen will. Und wen nicht.
Der Feind war klar, auch wenn Müller den Parteinamen der AfD nie aussprach in der Rede, deren offizieller Anlass der Hauptstadtbeschluss des Bundestages vor 25 Jahren sein sollte. Aber natürlich ging es vor allem um die Bilanz und die Ziele der SPD, knapp drei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl.
Eines davon ist Müllers in dieser Deutlichkeit bemerkenswertes Engagement, die Rechtspopulisten am 18. September an der Fünfprozenthürde scheitern zu lassen: „Wir brauchen jetzt die Engagierten und Mutigen aus Kultur, Zivilgesellschaft, Parteien, Medien und Sozialpartnern, die gemeinsam dafür kämpfen, dass Rechtspopulisten in Berlin keine Chance bekommen.“ Und voller Pathos weiter: „Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen, um aufzustehen!“ Das klang schon fast nach Klassenkampf à la SPD.
Müller ist klar, dass die Parteien allein es nicht schaffen werden, die AfD zu marginalisieren. Er wird jene brauchen, die nicht ihn, ja nicht mal Grüne oder Linke wählen, sondern jene, die ihn gerne mit direktdemokratischen Nadelstichen piksen. Und er gönnte ihnen ein Lob in Wowereit’scher Größe: „Berlin ist eine kritische Stadt mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Das ist gut so, und wir sollten uns das für die Weiterentwicklung unserer Stadt nutzbar machen.“
Fragt sich, wie Müller das meinte. Denn allzu viel herausnehmen sollten sich jene dann auch wieder nicht: „Bürgerbeteiligung ergänzt den Parlamentarismus“, sagte der 51-Jährige an anderer Stelle. „Aber sie entledigt nicht das Parlament seiner wichtigsten Aufgabe – die Stadt im Interesse und Ausgleich aller Menschen zu regieren.“ Und an die Adresse der höchst erfolgreichen Aktivisten des Volksentscheids Fahrrad gerichtet erteilte er vermeintlichen „Maximalforderungen“ eine Absage und forderte stattdessen „Kompromissbereitschaft“ ein.
Einerseits fordert Müller mehr Einsatz von den von ihm wenig geliebten (Berufs)aktivisten dieser Stadt; andererseits versucht er, sie politisch in die Schranken zu weisen. Spätestens wenn nach dem 18. September Rot-Schwarz keine Mehrheit mehr hat, sollte der Regierende diese Haltung überdenken.
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