Das war die Woche in Berlin I: Diese Reform bringt nur Unheil
Das Land Brandenburg will die Landkreise vergrößern und damit auf die Bevölkerungsentwicklung reagieren. Doch der Plan birgt viele Gefahren.
Das Unheil begann 2007 in Sachsen-Anhalt. Später kam es über Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Und nun legen Thüringen und Brandenburg als letzte ostdeutsche Flächenländer ihre Hoffnung in eine Kreisgebietsreform. Brandenburgs Innenminister Schröter (SPD) hat am Mittwoch die neue Brandenburgkarte vorgestellt. 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte werden zu 9 Kreisen und der einzigen dann verbliebenen kreisfreien Stadt Potsdam geschrumpft.
Was die Landesregierung aus SPD und Linkspartei für einen Erfolg hält, schmähen andere nur als „Schnittmusterbogen“, auf dem Gebiete zerschnippelt und neu zusammengeklebt werden. Der Widerstand zieht sich durch Kreistage, Städte und Kommunen – quer durch alle Parteien. Doch Unterschriftensammlungen und Verfassungsbeschwerden dürften kaum helfen.
Die Landesregierungen – egal ob von CDU, SPD oder Linkspartei angeführt – bringen die immer gleichen Argumente vor: Geringere Einwohnerzahlen führen zu höheren Kosten, die durch Fusionen wieder gesenkt werden. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Schuldenberge der Landkreise auch nach der Reform allerdings stetig gewachsen.
In Wahrheit werden nur ein paar Landratsposten und Dienstwagen eingespart, dafür aber ganze Regionen von kommunaler Infrastruktur abgeklemmt. Abgesandte der neuen, dann „schlanken“ Verwaltungen preisen anschließend die Vorteile der E-Governance – in Gegenden mit teuren, aber leistungsschwachen DSL-Netzen.
Die politische Ernte fahren andere ein. „Neue Perspektiven entdecken“ – so wirbt Brandenburg an den Landesgrenzen. In Mecklenburg-Vorpommern lassen sich inzwischen reichlich trübe Perspektiven besichtigen. Die AfD kam bei den Landtagswahlen im September aus dem Stand auf 20,8 Prozent und ist zweitstärkste Kraft – auch wegen einer Kreisgebietsreform, die die Mehrheit ablehnte.
In Thüringen, wo Ministerpräsident Bodo Ramelow die Fusion noch schneller umsetzen will als in Brandenburg, drohen Gemeinden inzwischen mit dem Wechsel nach Bayern und träumen von einer „fränkischen Wiedervereinigung“. Auch die Brandenburger könnten für sich ganz andere, ganz neue Perspektiven entdecken. Guben schließt sich wieder mit Gubin zusammen, Frankfurt mit Słubice. Historische Bezüge gäbe es genug. Das wäre eine originelle, eine wirklich europäische Reform.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?